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Aufschwung in Sicht
Das kubanische Parlament in Havanna zieht Halbjahresbilanz: Die Wirtschaft wächst.
Das kubanische Parlament in Havanna hat am Freitag eine Halbjahresbilanz der wirtschaftlichen, außenpolitischen und sozialen Situation des Landes gezogen. Außerdem fasste es neue Beschlüsse, die laut Parteizeitung Granma »von zentraler Bedeutung« für die Entwicklung der Nation sind. Präsident Raúl Castro hob in der letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause die Fortschritte bei der Umsetzung des »Tarea Vida« (Lebensaufgabe) genannten Planes gegen die Folgen des Klimawandels hervor. Die Nationalversammlung hatte dazu ein neues Gesetz zum Schutz der Binnengewässer verabschiedet. Im Zentrum der Debatten stand allerdings die ökonomische Entwicklung.
Nach einem Rückgang um 0,9 Prozent im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt in der ersten Hälfte 2017 um 1,1 Prozent gewachsen, was auch den Prognosen entspricht. Der Wirtschaftsminister Ricardo Cabrisas Ruiz rechnet im zweiten Halbjahr mit einem ähnlichen Ergebnis. Auch 2018 soll laut kubanischen Ökonomen einen leichten Aufschwung bringen. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland (GTAI) prognostiziert sogar ein Wachstum von 2,1 Prozent, was über der Schätzung für die BRD (1,7 Prozent) liegt.
Hauptmotoren für das Wachstum seien der Tourismus und die Sonderentwicklungszone Mariel bei Havanna. Auch der Privatsektor trug mit mittlerweile 535.000 Selbstständigen und 429 Kooperativen außerhalb des Agrarsektors dazu bei. Auf der Negativseite stehen geringere Einnahmen aus dem Export von Raffinerieprodukten und Zucker, hohe Ausgaben zur Beseitigung von Hurrikanschäden, die bereits seit Jahren andauernde Dürreperiode sowie ein Rückgang von Öllieferungen aus Venezuela. Obwohl die Regierung in Caracas betone, ihren Verpflichtungen nachkommen zu wollen, müsse man sich auf weitere Schwierigkeiten einstellen, dämpfte Castro allzu positive Erwartungen.
In seiner Rede ging der Regierungschef auch auf öffentliche Kritik an der Rolle von privaten Unternehmen in der kubanischen Gesellschaft ein. Er betonte, dass dieser Sektor unverzichtbar sei, um den Staat von Aktivitäten in strategisch weniger relevanten Wirtschaftsbereichen zu entlasten. Auch würden dort zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, was zum Wachstum beitrage. Zugleich wies Castro jedoch darauf hin, dass es Fälle von Steuerhinterziehung und anderen Gesetzesverstößen gebe. Der Ministerrat habe deshalb Maßnahmen zur besseren Regulierung des Sektors beschlossen.
Während die deutsche GTAI schon zuvor eingeschätzt hatte, dass Selbstständigkeit wohl eine Nische bleiben wird, reagierten einige Kreise in den USA hysterisch. »Die Kommunistische Partei Kubas schreibt vor, dass man nicht reich werden darf«, kommentierte die den exilkubanischen Contragruppen in Miami nahestehende Tageszeitung Nuevo Herald am Freitag. Der Artikel bezog sich auf drei in Havanna beschlossene Konzepte zur Weiterentwicklung des sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Darin ist unter anderem festgelegt, dass die »Konzentration von Eigentum und materieller oder finanzieller Reichtümer« für Privatpersonen und Firmen außerhalb des staatlichen Sektors weiterhin nicht gestattet ist. Die weltreisende kubanische Bloggerin Yoani Sánchez, deren US-Dollar-Vermögen auf eine sechsstellige Summe geschätzt wird, gab sich betroffen, es sei ein »Schritt zurück«, twitterte sie am Sonnabend. Auch kritisierte sie die Unterstützung für Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro, den Sánchez einen »Diktator« nennt. Raúl Castro unterstrich dagegen in seiner Rede die Solidarität der Mehrheit des kubanischen Volkes mit der demokratisch gewählten Regierung in Caracas: »Die Aggression und die Gewalt der Putschisten gegen Venezuela schadet uns allen in Unserem Amerika«, sagte er. Castro warnte diejenigen, die Konflikte anheizten, vor »unabsehbaren Konsequenzen« für die gesamte Region.
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Volker Hermsdorf
junge Welt, 18.07.2017