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Kontroverse Debatte
Das Parlament in Havanna kommt heute zusammen, um über die Lage im Land zu beraten.
Die 614 Abgeordneten des kubanischen Parlaments debattieren am heutigen Freitag im Kongresspalast von Havanna über eine Reihe von Gesetzesvorlagen, die laut Parteizeitung Granma »von zentraler Bedeutung« für die weitere Entwicklung der kubanischen Nation sind. Zudem werden den Politikern Berichte über die Haushaltsdaten des vergangenen Jahres sowie über die wirtschaftliche Situation des Landes im ersten Halbjahr 2017 vorgelegt. Tagesordnung und Themen der heutigen Sitzung wurden von Montag bis Mittwoch in zehn parlamentarischen Arbeitsausschüssen vorbereitet. Einige Eckdaten der aktuellen Wirtschaftsentwicklung, die zur Debatte anstehen, waren bereits Ende Juni nach einer Tagung des Ministerrats bekanntgeworden.
Danach lag die wirtschaftliche Leistung Kubas im ersten Halbjahr zwar insgesamt im Rahmen der Prognosen, weist jedoch sowohl positive als auch negative Abweichungen auf. So lagen die Erträge in der Landwirtschaft bei Gemüse und Knollenfrüchten über den Erwartungen, bei Rindfleisch und Milch jedoch darunter. Die Produktion von Rohzucker konnte in den ersten sechs Monaten 2017 gegenüber dem Vorjahr zwar um 20 Prozent gesteigert werden, blieb aber dennoch um 300.000 Tonnen hinter dem Plan zurück. Als kaum zu beeinflussendes Problem stellt sich dem Bericht zufolge die anhaltende Dürre dar, die im Osten des Landes schon gut drei Jahre andauere und negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Nahrungsmittelproduktion habe. Als Wachstumslokomotive präsentiert sich dagegen auch 2017 der Tourismus. Rund 2,3 Millionen Besucher bis Ende Mai entsprechen gegenüber dem Vorjahr einem Zuwachs von 20 Prozent in diesem Wirtschaftszweig.
Positive Zahlen können die Abgeordneten heute auch im Bericht über den Staatshaushalt des Jahres 2016 entgegennehmen, dessen Defizit niedriger ausfiel, als vom Parlament genehmigt worden war. Den größten Posten nahmen mit rund 50 Prozent – wie im Vorjahr – wieder die Bereiche »Bildung, Gesundheit und soziale Leistungen« ein. Finanzministerin Lina Pedraza Rodríguez hatte dem Ministerrat bereits berichtet, dass 2016 unter anderem mehr als 200 Millionen medizinische und zahnmedizinische Behandlungen, die für die kubanische Bevölkerung kostenlos sind, aus dem Staatshaushalt finanziert wurden. Nicht vorgesehene Belastungen für den Haushalt waren durch den Wiederaufbau von Wohnungen, Schulen, Verkehrswegen, Wasserleitungen und der Kommunikationsinfrastruktur nach dem Durchzug des Hurrikans Matthew im Oktober letzten Jahres entstanden.
Spannende Debatten dürfte es vor allem über die weniger erfreuliche Situation in der Arbeitswelt geben, die am Mittwoch von der Kommission Bildung, Wissenschaft, Technologie und Umwelt und der Kommission für wirtschaftliche Angelegenheiten des kubanischen Parlaments gemeinsam analysiert wurde. Ein dort diskutierter Bericht, aus dem Granma am Mittwoch im Internet zitierte, liest sich wie eine einzige Mängelliste. Viele Betriebe und Verwaltungen litten danach unter einer hohen Fluktuation von Arbeitskräften. Ursachen dafür seien unter anderem Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne, die Unzufriedenheit hervorrufen, Mängel beim Transport, die hygienisch-sanitäre Ausstattung, Ernährung und Mobiliar, häufige Inspektionen und Kontrollen, fehlende Arbeitsmittel, Überbelastung bei Aufgaben und ein hoher Altersdurchschnitt.
Einige Abgeordnete wiesen darauf hin, dass es sich um alte und bekannte Probleme handle, die endlich neue Lösungen erforderten. Der Lohn sei zwar nicht der einzige, aber ein entscheidender Grund für Unzufriedenheit. Defizite gebe es vielerorts auch bei der Aus- und Weiterbildung und dem anschließenden Übergang ins Berufsleben. Viele Jugendliche und Fachkräfte könnten nicht die qualifizierten Berufe ausüben, die sie erlernt haben. Einige Abgeordnete appellierten an die Gewerkschaft, ihre Rolle in den Betrieben entschiedener wahrzunehmen. »Es gibt Stellen, wo die Verwaltung gegenüber den Arbeitern keine Rechenschaft ablegt«, bemängelte die Abgeordnete Nereida López aus Bayamo in der Kommission. »Die Leute müssen an uns glauben und sehen, dass wir die Aufgabe erfüllen, die uns im Sozialismus zukommt.«
Während es in den meisten der zehn Parlamentsausschüsse durchaus kontrovers zuging, fand eine Erklärung des Ausschusses für internationale Beziehungen zur aggressiven Politik Donald Trumps gegenüber Kuba einhellige Unterstützung. Niemand könne dem kubanischen Volk Vorschriften machen, heißt es darin: »Wir werden niemals Auflagen akzeptieren, die unser Verhalten, die Kriterien unserer Demokratie oder die Ordnung unseres wirtschaftlichen, politischen und sozialen Systems betreffen«, erklärten die demokratisch gewählten Abgeordneten des Parlaments. Über Kubas Zukunft, unterstrichen sie, entscheide einzig und allein das Volk Kubas.
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Volker Hermsdorf
junge Welt, 14.07.2017