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Sozialistische Zweisamkeit
Statt verordneter Prüderie investiert Kuba in das Intimleben seiner Bürger mit der Eröffnung staatlicher »Posadas«.
In Kuba will das staatliche Beherbergungsunternehmen »Empresa Provincial de Alojamiento de La Habana« (EPA-Habana) wieder eine Reihe von Hotels eröffnen, in denen Paare auch stundenweise Zimmer mieten können. Die Gewerkschaftszeitung Trabajadores erinnerte am Montag in einer Reportage daran, dass fast alle über 40 Jahre alten Kubaner noch solche »Posadas« genannten Häuser kennen. In der Krise nach dem Untergang der Sowjetunion zu Beginn der 1990er Jahre waren die Einrichtungen dann aber bevorzugt Menschen zur Verfügung gestellt worden, die durch Hauseinstürze oder Hurrikans obdachlos geworden waren. Für die Liebe wie für vieles andere habe einfach das Geld gefehlt, kommentierte die Zeitung. Künftig wolle der Staat aber wieder investieren, um Bürgern in beengten Wohnverhältnissen und jungen Leuten ein ungestörtes Intimleben zu bezahlbaren Preisen zu ermöglichen.
»Heute wird diese Dienstleistung von Privatleuten angeboten, die nach dem Verschwinden der berühmten Posadas eine Marktlücke für sich entdeckt haben«, zitiert das Zentralorgan des Gewerkschaftsdachverbandes CTC den Direktor von EPA-Habana, Alfonso Muñoz Chang. Er kündigte an, dass sein Unternehmen den Service auch aus sozialen Gründen wieder aufnehmen und weiterentwickeln wolle. Laut Trabajadores verlangen die privaten Vermieter mittlerweile für kubanische Verhältnisse horrende Preise. Für drei Stunden müssten die Paare mindestens fünf Pesos convertibles (4,50 Euro) und häufig mehr hinblättern. Auch die Preise für Speisen und Getränke seien oft überhöht.
Bei einem Durchschnittsgehalt von knapp 30 Euro im Monat sei die Miete ein zu hoher Tribut für ein ungestörtes Liebesleben, kritisiert Trabajadores. Die Konsequenzen seien nicht nur für die Betroffenen, sondern für die gesamte Gesellschaft negativ. Wer die Preise nicht zahlen könne oder wolle, dem blieben nur noch Parks, Treppenhäuser, Strände oder die Küstenpromenade Malecón. Laut Alfonso Muñoz Chang dürften die Tarife der staatlichen Einrichtungen deutlich unter denen der privaten Anbieter liegen.
Als erstes wolle seine Firma das vielen Kubanern noch aus früheren Zeiten als Posada bekannte Hotel »Vento« im Stadtteil »10 de Octubre« von Havanna wiedereröffnen, kündigte der EPA-Habana-Chef an. Das zweigeschossige Gebäude sei frisch renoviert und verfüge über 16 Zimmer mit Bad, Telefon, Fernseher, Kühlschrank und Klimaanlage. In einem kleinen Restaurant würden zudem Speisen und Getränke angeboten. Später sei die Eröffnung weiterer historischer Posadas geplant. Westliche Medien bezeichnen die traditionsreichen Häuser oft herablassend als »Liebeshotels«. In Zentral- und Südamerika, in Japan und überall dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben, sind sie indes eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
In Kuba wurde das erste Stundenhotel dieser Art bereits Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Namen »Carabanchel« in Havanna errichtet. Bis zur Revolution wuchs die Zahl entsprechender Gasthäuser auf einige Dutzend. Im Jahr 1973 existierten laut Trabajadores bereits 60 Posadas in der Hauptstadt. Mit Beginn der Sonderperiode reduzierte sich ihre Zahl dann aber immer weiter, bis sie schließlich bei Null angelangt war.
EPA-Habana sieht in den Investitionen zum Wiederaufbau der Traditionseinrichtungen jedoch nicht nur eine soziale Aufgabe, sondern auch eine Gewinn versprechende Anlage. Es gebe kein sichereres Geschäft als Beerdigungsinstitute und Posadas, scherzt ein Angestellter, denn der Tod und die Liebe seien unvermeidlich. Neben dem Engagement auf dem Lebensmittelmarkt und im Personenverkehr versucht der Staat damit jetzt auch in diesem Bereich Wucherpreise im privaten Sektor einzudämmen.
Die Gestaltung der Preise nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage wird in der Bevölkerung zunehmend kritisiert. Im Transportsektor hat sich das sanfte staatliche Eingreifen bereits bewährt. Nachdem sich Beschwerden über Preiserhöhungen privater Kollektivtaxis häuften, lässt eine staatlich geförderte Kooperative rund 100 Taxis zu festgesetzten, günstigen Fahrpreisen die gleichen Routen fahren. Ihre gelben Ladas machen den Spekulanten, die das schnelle Geld machen wollten, bereits mächtig zu schaffen.
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Volker Hermsdorf
junge Welt, 08.07.2017