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Nachrichten aus und über Kuba


Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Kuba im Wandel

Vorabdruck. Der Machismo hat auch im sozialistischen Inselstaat eine mächtige Tradition. Aber das Land hat große Fortschritte gemacht. Über Gleichberechtigung und Homophobie.

Am 18. Mai erscheint im Verlag Wiljo Heinen ein Band mit Eindrücken junger Kuba-Besucher. Sie schildern, wie sie den karibischen Sozialismus erlebt haben: im Alltag, beim Studium und bei der Arbeit. Die Redaktion hat drei der insgesamt 16 Beiträge ausgewählt. Wir danken dem Verlag und den Autorinnen und Autoren für die freundliche Genehmigung zum Vorabdruck. (jW)


Havanna, 8. März 2013: Ich bin nun seit knapp sechs Wochen in Kuba und fühle mich immer mehr »zu Hause« in dieser Stadt. Ich schnappe mir ein bisschen Kleingeld und laufe hinunter zum Bus, der direkt vor dem Haus hält, in dem ich wohne. Ich möchte ein paar Freunde auf einem Sportplatz treffen, auf dem heute ein Baseball-Match stattfindet. Allerdings komme ich zu spät – der Bus ist restlos überfüllt, und ich kann mich unmöglich dazuquetschen, weshalb ich auf den nächsten Bus warten muss. Als ein älterer Mann an mir vorbeigeht und etwas zu mir sagt, verstehe ich anfangs kein Wort und blicke ihn fragend an. Der Mann wiederholt seine Worte: »Feliz día de la mujer!« Er lächelt und geht weiter. Ich rufe ihm noch ein »Gracias!« hinterher und frage mich, ob ich ihn vielleicht kenne, ob er ein Nachbar ist oder ein Professor an der Uni. Doch wahrscheinlich hat mir gerade ein völlig Fremder einen glücklichen Frauentag gewünscht – und damit ist er an diesem Tag nicht der einzige.

In den nächsten Bus schaffe ich es hinein. Als er sich laut und behäbig in Bewegung setzt, weht eine angenehme Brise durch das offene Fenster, die es erträglich macht, so dicht gedrängt zu stehen. So steige ich irgendwann aus dem Bus, und ein Junge in Schuluniform, nicht älter als zehn, hält mir seine Hand hin, um mir die Stufen hinunterzuhelfen. Ebenso macht er dies mit der Schülerin vor und der alten Frau hinter mir. Anfangs hat mich das sehr irritiert. Warum wird mir ein Sitzplatz angeboten, obwohl ich jung und gesund bin? Warum nehmen mir Freunde meine Tasche ab, die doch gar nicht so schwer ist? Wieso zum Teufel lassen sie mich in der Nacht nicht alleine nach Hause fahren? Letzteres war ein häufiges Streitthema, denn ich habe mich in meiner Freiheit stark eingeschränkt gefühlt. Es ist in Havanna – auch nachts – einfach nicht »gefährlich«, und ich bin es mein ganzes bisheriges Leben gewohnt gewesen, allein und unabhängig meinen Heimweg anzutreten, wann und von wo auch immer ich will. Irgendwann haben meine kubanischen Freunde es wohl als »ausländische Spinnerei« akzeptiert und die Diskussionen hatten ein Ende. Doch sie haben mir das Versprechen abgerungen, mich telefonisch noch mal zu melden, wenn ich gut zu Hause angekommen bin. Ich habe mich nie an diese »Bemutterung« gewöhnen können und mich statt dessen gefragt, wieso die selbstbewussten, starken und klugen Kubanerinnen diesen Verhaltensmustern im Alltag nicht mehr entgegensetzen. Denn auch wenn hinter diesen Gesten oft die besten Absichten stecken – sie haben ihren Ursprung in der Vorstellung von einem starken und einem schwachen Geschlecht.

Wer sich mit lateinamerikanischen Gesellschaften beschäftigt, kommt am sogenannten »Machismo« nicht vorbei. Die über Jahrhunderte geprägte, gefestigte und ganz bewusst von Kirche und Eroberern vorangetriebene Unterdrückung der Frau durch den Mann ist im Denken beider Geschlechter vorhanden. Er besagt – und selbiges kennen wir auch aus den Gesellschaften Europas sehr gut –, dass die Frau dem Mann grundsätzlich unterstellt ist. Sei es im Bereich der Ausbildung und der Arbeit, im Haushalt und der Kindererziehung, in der Sexualität und der Partnerschaft oder in der Politik. In Österreich wirkt sich dies auf geradezu erschreckende Art und Weise noch immer – und immer stärker – aus: Frauen verdienen deutlich weniger als Männer und sind demnach weit häufiger von Armut betroffen. Ebenso nimmt häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder wieder zu, zeitgleich werden Einrichtungen, die den Betroffenen Schutz bieten, kaputtgespart und geschlossen – um nur einige Beispiele zu nennen. Aber auch Frauen, die nicht unmittelbar von diesen schlimmsten Auswüchsen des Kapitalismus, gepaart mit Machismo, betroffen sind, erfahren sexistische Diskriminierung fast täglich. So häufig, dass sie von vielen schon als ganz »normal« und nicht mehr als das angesehen werden, was sie sind: eine Herabwürdigung aufgrund des Geschlechts.

Aber zurück nach Kuba: Den Machismo hat die Revolution geerbt und ihn als »Instrument der Unterdrückung« noch nicht überwinden können. So etwas in den Köpfen der Menschen tief Verankertes zu beseitigen bedarf mehr als einer Generation der Anstrengung. Jedoch sind die Bestrebungen des kubanischen Staates geradezu vorbildhaft – nicht nur für die Region –, ich würde meinen: für die ganze Welt.

So gibt es heute in Kuba in keinem einzigen staatlichen Bereich strukturelle Benachteiligung von Frauen. Sie haben das gleiche Einkommen wie Männer, gleichen Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, sind in jedem Berufsfeld tätig, haben Einfluss auf absolut jeden Teil des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und stellen einen beinahe gleichen Anteil in politischen Ämtern, nämlich 48,9 Prozent.

Der Frauenanteil der Studierenden an den Universitäten beträgt 62 Prozent, und der Anteil an weiblichen Ärzten, Anwälten und Forschern ist der höchste der Welt. Auch im technischen bzw. naturwissenschaftlichen Bereich hat Kuba eine Frauenquote, die jedes andere Land in den Schatten stellt.

Als Beispiel, wie ernst es der jungen kubanischen Regierung mit der Gleichberechtigung unmittelbar nach dem Sieg der Revolution war, sei die »Föderation der kubanischen Frauen« (FMC) genannt. Diese wurde 1960 als Nichtregierungsorganisation gegründet und vereint heute ca. 3,6 Millionen Kubanerinnen (mehr als 85 Prozent aller Mädchen und Frauen über 14 Jahren) – so eine Interessenvertretung wünsche ich mir auch in meiner Heimat!

Des weiteren gibt es in Kuba ein im Familienrecht verankertes Gesetz, das als eine Art Moralkodex zu verstehen ist. Es besagt, dass Frau und Mann zu gleichen Teilen verpflichtet sind, sich um Haushaltsführung und Kinderversorgung zu kümmern. Auch wenn in der Realität sicher hunderttausendfach dagegen verstoßen wird, zeigt das Gesetz sehr wohl die Richtung an, in die die kubanische Gesellschaft geht.

Angekommen am Sportplatz treffe ich Kubaner und Kubanerinnen, die mich sofort umarmen und mich zum Frauentag beglückwünschen. Ich bin fasziniert davon, wie präsent die Bedeutung des heutigen Tages ist. Von meinem besten Freund bekomme ich eine kleine Grußkarte und eine Packung »Mani«, Riegel aus Honig und Erdnüssen. Ich bin gerührt und denke daran, ob die Mädchen und Frauen in Österreich auch beschenkt, umarmt und geküsst werden. Doch ich kenne die Antwort: Den allermeisten ist nicht einmal bewusst, dass der heutige Tag ein Tag zum Feiern ist. Und die, die es wissen, sind ohnehin diejenigen, die im ganzen restlichen Jahr genauso für Gleichberechtigung und gegen Chauvinismus und Sexismus einstehen. (Eva Aigner)

Queer? Keine Selbstverständlichkeit

Die Anfänge der Diskriminierung von LGBT (1) in Kuba lassen sich nicht konkret auf einen bestimmten Zeitpunkt zurückverfolgen. Fakt ist jedoch, dass 1938 erstmals ein Gesetz erlassen wurde, welches das öffentliche Auftreten von LGBT unter Strafe stellte. Somit hatten diese nun nicht mehr nur mit fehlender Akzeptanz im Alltag, sondern zudem noch mit staatlicher Repression zu kämpfen. Dieses Gesetz wurde auch nach dem Sieg der der Revolution im Jahr 1959 lange Zeit nicht geändert. Die gesellschaftliche Diskriminierung bestand weiterhin.

1965 wurden sogenannte UMAP (Unidades Militares de Ayuda a la Producción), Einheiten des Militärs zur Unterstützung der Feldarbeit, ins Leben gerufen, an welchen sich Schüler, Studenten sowie Militärs beteiligten, um den Sozialismus aufzubauen. Die Teilnahme an diesen Einheiten war jedoch für einige Randgruppen, unter ihnen auch Schwule, obligatorisch. Die harte körperliche Arbeit sollte nicht nur der Produktion der dringend benötigten Lebensmittel dienen, sondern im Falle der homosexuellen Männer zu einer »Umerziehung« führen, an die man damals noch glaubte.

Drei Jahre später wurden die UMAP wieder aufgelöst, womit jedoch die institutionelle Diskriminierung nicht beendet wurde. So hieß es beispielsweise 1971 in einem Beschluss des staatlichen Ersten Kongresses zur Bildung und Kultur, dass Homosexualität eine Krankheit sei, die es zu bekämpfen gelte. Solche staatlichen Beschlüsse waren zu dieser Zeit weltweit nichts Ungewöhnliches: Die Weltgesundheitsorganisation beispielsweise hatte Homosexualität bis 1992 als Krankheit eingestuft. Zu den UMAP sagte der am 25. November 2016 verstorbene Fidel Castro: »Wenn einer verantwortlich ist, dann bin ich es. (…) Es ist wahr, dass ich mich in diesen Momenten nicht um diese Angelegenheit habe kümmern können. (…) Ich ertrank in Arbeit und war befasst mit Krisen, mit Krieg und anderen politischen Fragen.« (2)

Die ersten wesentlichen Verbesserungen für LGBT waren in Kuba ab 1979 erkennbar. Das immer noch bestehende Verbot von Homosexualität wurde weitestgehend aufgehoben. Sexuelle Handlungen gleichgeschlechtlicher Paare waren nicht länger untersagt. In der BRD – dies nur zum Vergleich – wurde das Gesetz zur Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität erst 15 Jahre später, nämlich 1994 beschlossen. (Die DDR hingegen hatte den Strafparagraphen 175 bereits 1968 gestrichen.) Ende der 1980er Jahre wurden in Kuba die ersten gesundheitlichen Aufklärungskampagnen für Homosexuelle gestartet, und das Gesetz gegen öffentliches Auftreten von Homosexuellen wurde 1987 aufgehoben. Jedoch erst der im Jahre 1994 uraufgeführte kubanische Film »Fresa y chocolate« (»Erdbeer und Schokolade«), in dem die Freundschaft zwischen einem homo- und einem heterosexuellen Mann dargestellt wird, führte dazu, dass das Thema breiter diskutiert wurde. »Fresa y chocolate« löste eine Welle weiterer Filme, Bücher und Theaterstücke aus, in denen Homosexualität thematisiert wurde. Einen anderen entscheidenden Faktor für den Umschwung der kubanischen LGBT-Politik stellt der Zusammenbruch des sozialistischen Blocks 1989/90 dar. Die zu dieser Zeit wichtigsten Herausforderungen für Kuba bestanden darin, den Sozialismus und die Souveränität des Landes zu erhalten, so Alberto Roque vom »Nationalen Zentrum für sexuelle Aufklärung« (Cenesex).³ Dieses gemeinsame Ziel hat die Gesellschaft vereinigt, sie hat es geschafft, die letzten Spaltungslinien zu überwinden und zur realen Integration von Homosexuellen und Transgender beigetragen.

Cenesex entstand im Jahre 1989 im Laufe der sich intensivierenden sexuellen Aufklärung. Mit dieser Einrichtung wurde der LGBT-Bewegung in Kuba ein neues, entscheidendes Instrument an die Hand gegeben: eine staatliche Institution mit Rückhalt in der Regierung. Das Cenesex besteht aus einer Gruppe von Fachleuten, welche Forschungen im Bereich der Sexualität betreiben und zudem Personen unterstützen und versorgen, die auf Grund ihrer Sexualität von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind. Mit der Wahl Mariela Castros, der Tochter des Staats- und Regierungschefs Raúl Castro, zur Direktorin des Cenesex im Jahre 2001, verschob sich der Fokus des Instituts auf die Arbeit zur Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. So begann 2007 unter anderem eine Kampagne gegen Homophobie. Zudem veranstaltet die Organisation seitdem jedes Jahr am 17. Mai eine Parade der Schwulen, Lesben und Transgender. Im Cenesex gibt es mehrmals wöchentlich Seminare sowie Aufklärungsstunden zum Thema Safer Sex, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilen regelmäßig kostenlos Kondome.

Die Arbeit des Cenesex liegt jedoch nicht nur im Bereich von Bildung und Aufklärung, auch die juristische Ebene stellt einen festen Bestandteil dar. So sind etwa die Forderungen nach rechtlicher Anerkennung von Lebenspartnerschaften im Familiengesetzbuch und nach einem Gesetz zur Geschlechtsidentität Teil des Programms. Die Bildungsarbeit des Staates gegen Homophobie bewegt sich mittlerweile jedoch in einem deutlich weiteren als nur in dem vom Cenesex abgesteckten Rahmen. Medien- und Bildungseinrichtungen sind die wichtigsten Bereiche, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Von besonderer Bedeutung sind die Auseinandersetzung in Schule und Studium sowie die progressive Thematisierung in Fernsehen, Kino, Theater und Zeitungen. So hat etwa die Tageszeitung mit der zweithöchsten Auflage in Kuba, die Juventud Rebelde, eine eigene Rubrik zur Sexualaufklärung, in der versucht wird, Diskriminierung durch Konfrontation und Bildungsarbeit zu bekämpfen. Auch die vom Kommunistischen Jugendverband (UJC) organisierten »Dragqueenpartys« sind – zumindest in Kubas Queermetropole Santa Clara – keine Seltenheit mehr.

Die Regierung fördert ebenfalls zunehmend eine progressive LGBT-Politik. Seit einer Resolution des kubanischen Ministeriums für öffentliche Gesundheit (Ministerio de Salud Pública) von 2008 sind Geschlechtsumwandlungen in Kuba gratis. Notwendig für all diese Änderungen war eine wachsende Akzeptanz der Regierung gegenüber der Queerszene. Dies manifestierte sich bereits eindrücklich durch das Mandat der transsexuellen Adela Hernández im Parlament. Fidel Castro entschuldigte sich zudem – wie bereits erwähnt – in der Öffentlichkeit für die Ungerechtigkeiten, die vor allem Homosexuellen in der Vergangenheit erleiden mussten. Homosexualität, stellte er klar, sei eine vollkommen natürliche und normale Art der Sexualität.

Dennoch gibt es hinsichtlich der LGBT-Politik noch viele Hürden zu überwinden. Eine der größten besteht im konservativen Geschlechterbild, welches sich durch das katholische Familienkonzept und dem immer noch stark in der kubanischen Gesellschaft verwurzelten »Machismo« ausdrückt. Trotzdem können Homo- und Transsexuelle heutzutage besonders in den Großstädten Kubas ohne Anfeindungen und Diskriminierung öffentlich auftreten. Sie scheinen oftmals sogar schon eine Art Trendbewegung darzustellen. Die Durchsetzung der homosexuellen Ehe und die gründliche Aufarbeitung der Geschehnisse in den UMAP – beides Forderungen Mariela Castros – stehen jedoch bis heute noch aus. (Lorenz Künstler und Kjell Hlawaty)

Die Mühen mit dem Internet

Internationale Medien berichten häufig über die schlechte Verfügbarkeit von Internetzugängen in Kuba. Und nach Darstellung vieler US-Politik­institute ist das Internet dort in hohem Maße unfrei. In einem von der neoliberalen US-Stiftung »Freedom House« erstellten Index über die »Freiheit des Internets« wird Kuba mit 84 von 100 Punkten (wobei 0 die bestmögliche Bewertung darstellt) ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Begriffe wie »Zensur«, »Abschottung« und »Gängelung« prägen die Terminologie vieler Medien in bezug auf die Internetpolitik der kubanischen Regierung. Doch wie ist es auf der Insel tatsächlich um die Verfügbarkeit des Internets bestellt?

Trotz gegenteiliger Behauptungen sind Netzwerke und Internet für Kubaner kein Neuland. Die Anfänge reichen zurück bis ins Jahr 1983. Damals wurde die Insel erstmals mit einem internationalen Netzwerk verbunden. Via Satellitenverbindung nach Moskau hing Kuba am dortigen IASnet. Im selben Jahr wurde das kubanische Netzwerkinstitut CENIA aus der Taufe gehoben und 1987 – auf Initiative Fidel Castros – der »Joven Club de Computación y Electrónica« (JCC) gegründet. Die Jugendcomputerklubs sollten zu einer gleichmäßigen Verbreitung von PC- und Internetkenntnissen auf der Insel führen. Zu Beginn hatten sie Einrichtungen in 130 Städten des Landes, heute gibt es gut 600 solcher Klubs. 1992 bekamen 30 der JCCs einen Onlinezugang via Modem, kubanische Jugendliche erhielten die Möglichkeit, sich kostenlos eine E-Mail-Adresse einzurichten. Das Budget der JCC betrug über 500.000 US-Dollar pro Jahr.

Bis Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich Kuba so zu einer der »führenden Kräfte des Netzwerkens in der Karibik«, bestätigt der US-amerikanische Informatiker Larry Page. Doch die Auswirkungen der US-Blockade machten sich bemerkbar. Kuba wurde der Anschluss an die Unterseekabel in der Karibik verweigert. Die Insel war auf teure Satellitenverbindungen angewiesen, die zudem über geringe Bandbreite verfügten. In der Folge verlor das Land langsam, aber sicher den Anschluss an die weltweite Entwicklung. So war die gesamte Up- und Download-Bandbreite Kubas noch im Jahr 2009 vergleichbar mit der einer deutschen Kleinstadt. In den 2000er Jahren konzentrierte das Land sich vor allem auf den Ausbau des eigenen Intranets, das mit dem Wikipedia-ähnlichen »EcuRed« inzwischen über eine eigene Enzyklopädie mit über 100.000 Artikeln verfügt. Der Ausbau des Zugangs zum weltweiten Netz stagnierte jedoch, und die hohen Preise von bis zu neun US-Dollar pro Stunde machten das Internet für die meisten Kubaner unerschwinglich und unattraktiv.

Das änderte sich erst 2013, als Kuba mit einem aus Venezuela verlegten Unterseekabel verbunden wurde und damit erstmals die Satellitenverbindungen durch eine tausendfach höhere Bandbreite ablösen konnte. Wenig später gab die staatliche Telefongesellschaft Etecsa die Eröffnung von mehreren Dutzend WiFi-Netzen bekannt, die Preise wurden auf zwei US-Dollar pro Stunde gesenkt. Mittlerweile gibt es landesweit mehrere Hundert öffentliche WiFi-Hotspots.

Obwohl der Preis von zwei US-Dollar pro Stunde noch immer extrem hoch ist, zählt das Land heute Millionen Nutzer. Die Regierung erklärte, das Internet sei »ein Recht aller«. Diese Ressource müsse »verfügbar, erreichbar und für alle erschwinglich« gemacht werden, sagte der erste Vizepräsident Miguel Díaz-Canel. Hierzu zähle auch die Einrichtung von privaten Hausanschlüssen, die als Pilotprojekt zunächst in Havannas Altstadt eingerichtet werden. Trotzdem kommt der Ausbau des Internets verhältnismäßig langsam voran. Die Priorität liegt auf gesellschaftlichen Institutionen wie Schulen, Krankenhäusern, Behörden und Universitäten, weniger auf Privatzugängen. Das hat meist praktische Gründe: Neben technischem Knowhow fehlen schlichtweg die materiellen Ressourcen, um erschwingliche Heimanschlüsse für die mehr als vier Millionen Haushalte zu garantieren.

Doch wie sieht es mit der Zensur in Kuba aus? Ich habe mir zu diesem Thema – während meines knapp einjährigen Aufenthalts – an verschiedenen WiFi-Hotspots ein eigenes Bild machen können: Während die Website der aus dem Ausland finanzierten Systemgegnerin Yoani Sánchez blockiert war, ließ sich über das staatliche WiFi-Netz auf praktisch jede andere oppositionelle Website zugreifen. Auch gab es keinerlei Schwierigkeiten, internationale Nachrichten abzurufen. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Youtube sowie die ausländischen Websites der BBC, der New York Times, des Economist, der spanischen El País und von Wikipedia waren zu keinem Zeitpunkt blockiert. Suchergebnisse nach regierungskritischen Inhalten ließen sich ohne Probleme aufrufen, und auch zu kritischen Fragen wie »Korruption in Kuba« oder »Gerüchte über die Castro-Familie« konnte recherchiert werden – ausländische Websites, die sich mit diesen kontroversen Themen befassen, waren stets abrufbar. Doch es gibt auch Einschränkungen. Da Pornographie in Kuba verboten ist, sind zum Beispiel Websites mit pornographischen Inhalten nicht abrufbar.

Während von kubanischer Seite also kaum Inhalte blockiert werden, lässt sich beim Surfen auf der Insel eine andere Beobachtung machen, die Fragen mit Blick auf die USA aufwirft. Sucht man von Kuba aus nach Produkten US-amerikanischer Softwarehersteller, offenbart sich die digitale Dimension der Wirtschaftsblockade. Versucht man beispielsweise einen Treiber von der Seite des Chipherstellers Intel herunterzuladen, erscheint die Fehlermeldung, der gewünschte Service sei »aufgrund von US-Exportbestimmungen« nicht verfügbar. Auch Software aus den Vereinigten Staaten kann aus diesem Grund nicht in Kuba bezogen werden. Vom Onlinehandel sind Kubaner komplett ausgeschlossen, da Pay-Pal – mit Verweis auf US-Gesetze – ebenfalls blockiert ist. Über E-Bay dürfen bis heute weder kubanische Produkte vermarktet noch Waren nach Kuba geliefert werden. Der Einkauf von digitalen Inhalten wird dadurch praktisch unmöglich. Einziger Ausweg ist der Erwerb von im Land zirkulierenden Raubkopien.

Während die kubanische Regierung bemüht ist, das Internet günstiger und breit verfügbar zu machen, blockieren die Vereinigten Staaten noch immer deren Entwicklung. US-Technologiegiganten wie Google, Microsoft und Apple können ihre Dienste nur unter starken Einschränkungen anbieten, während andere Hersteller ganz außen vor bleiben. Weder lässt sich von Kuba aus ein Mac-Book aktualisieren noch ein Intel-Treiber herunterladen. Mit absurden Gesetzen verhindern die USA so, dass die wachsende Zahl kubanischer Internetnutzer normale Erfahrungen im Netz machen kann. Von einem »freiem Internet« kann in Kuba aus diesem Grund tatsächlich nicht die Rede sein. Ob die digitale Netzblockade der USA im Ranking des »Freedom House« berücksichtigt wurde, ist fraglich. Für die Mehrzahl der kubanischen Internetnutzer dürften diese Einschränkungen jedoch weitaus schwerer wiegen als Sperrlisten der eigenen Regierung.(Marcel Kunzelmann)

Anmerkungen:
1 LGBT: Abkürzung aus dem Englischen für: (L)esbian, (G)ay, (B)isexual and (T)ransgender
2 Zit. n.: Thomas Knecht: Cuba queer, in: Cuba libre 1/2015
3 »Homophobie ist gegen die Prinzipien der Revolution«. Ein Gespräch mit Dr. Alberto Roque Guerra, Mitarbeiter des kubanischen Nationalzentrums für sexuelle Aufklärung, Unsere Zeit, 13.8.2010


Kuba im Wandel. 16 Erfahrungsberichte, hg. von Volker Hermsdorf, Paula Klattenhoff, Lena Kreymann und Tobias Salin. Verlag Wiljo Heinen, Berlin/Böklund 2017, 10 Euro.

Veranstaltungshinweis: »Kuba im Wandel«. Buchpremiere mit den Herausgebern, Donnerstag, 18. Mai 2017, jW-Ladengalerie, Torstraße 6, 10199 Berlin, Beginn 19.00 Uhr, Eintritt: 5 Euro/ermäßigt: 3 Euro. Um Anmeldung unter mm@jungewelt.de oder 030/53 63 55 56 wird gebeten.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Eva Aigner, Lorenz Künstler, Kjell Hlawaty, Marcel Kunzelmann
junge Welt, 15.05.2017