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Die Insel im Netz des WLAN

Internetzugang im eigenen Zuhause ist für die meisten Kubaner weiter eine Utopie, aber öffentlich tut sich was.

WLAN

Überall, wo ein Internetsignal zu empfangen ist, gehen Kubaner und Kubanerinnen online.
Foto: Yoel Mayor


Es gibt neue Treffpunkte auf Kuba: Seit die Regierung im Juli dieses Jahres 35 öffentliche WLAN-Spots eingerichtet hat, sind die entsprechenden Straßen und Parks fast rund um die Uhr dicht bevölkert.

Dutzende Menschen drücken sich an diesem Vormittag in Havannas Stadtteil Vedado in den schmalen Schatten, den das Hotel Habana Libre wirft. Sie tippen auf ihren Laptops, starren auf Tablets oder sitzen auf den Treppenstufen mit ihren Handys, während ab und zu Straßenkreuzer aus vorrevolutionärer Ära vorbeirumpeln. Ein paar Meter weiter stehen die Leute an der Coppelia nach Eis an.

Raúlito* sitzt auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf einem kurzen Mauerstück vor dem Kino Yara und verfolgt scheinbar unbeteiligt das Treiben. »Tarjetas, tarjetas« (Karten, Karten) raunt er den Vorbeieilenden zu, als biete er illegale Drogen an. Ein kurzer Blickkontakt und das Geschäft wird in Sekundenschnelle über die Bühne gebracht: 3 CUC** (rund 2,70 Euro) gegen eine Stunde Internetzugang.



Anfang Juli hatte die kubanische Regierung über die Insel verteilt 35 öffentliche WLAN-Spots eingerichtet und die Tarife für die Internetbenutzung von ehemals 4,50 CUC um mehr als die Hälfte gesenkt. Seitdem sind die betreffenden Straßen und Parks fast rund um die Uhr bevölkert mit Kubanern, die wie hypnotisch in ihre elektronischen Geräte vertieft sind. Gleichzeitig sind rund um die öffentlichen Internetpunkte neue, nicht immer legale Geschäftszweige entstanden. Raúlito ist einer von jenen, denen das öffentliche Internet eine neue Einnahmequelle verschafft hat. Er verkauft Internet-Zeitkarten unter der Hand weiter.

Für Europäer mag es anachronistisch anmuten, aber Internetzugang von zu Hause aus ist für die meisten Kubaner eine Utopie. Auch am Arbeitsplatz haben nur wenige Zugang. Bis zum Sommer gab es WLAN-Netze nur in Touristenhotels - zum Teil zu horrenden Preisen. So blieb vielen nur, sich in die oft langen Warteschlangen vor den Computersälen der staatlichen Telefongesellschaft ETECSA (Empresa de Telecomunicaciones de CUBA S.A.) einzureihen.

Der Zugang zu den nun eingerichteten neuen Wifi-Spots erfolgt über den persönlichen E-Mail-Account beim staatlichen Telefonanbieter. Dafür lädt man ein Zeitkonto zum Tarif von zwei CUC/Stunde auf - oder über anonymisierte Zeitkarten zum selben Preis.

Mit dem Weiterverkauf eben jener Karten gegen ein kleines Aufgeld verdient Raúlito seit einigen Wochen seinen Unterhalt. Wer sich die lange Warterei an den ETECSA-Zweigstellen ersparen will oder keine Karten bekommen hat, weil die mal wieder ausverkauft waren, kommt zu ihm oder einem seiner Kollegen.

Raúlito ist einer von vielleicht 30, 40 Leuten, wie er sagt, die die gesamte La Rampa kontrollieren. Das ist jener etwa 300 Meter lange Abschnitt der 23. Straße zwischen Calle L und Malecón, auf dem das Internetsignal zu empfangen ist. Es sind vor allem junge Männer wie Raúlito, die den Handel abwickeln, aber auch Frauen, Rentner. »Hier kennt jeder jeden. Neue können nicht einfach herkommen und anfangen, Karten zu verkaufen. Das ist alles genau abgesteckt«, sagt er. Dann zeigt er auf eine junge Frau auf der anderen Straßenseite, die gerade ein paar Karten an den Mann bringt. »Das ist meine Freundin. Die verkauft hier ebenfalls Karten.« Familienbusiness also.

»Ich habe nie viele Karten bei mir«, erzählt Raúlito weiter. »Entweder bewahrt sie jemand auf, der nicht direkt am Verkauf beteiligt ist, oder wir verstecken sie im Gebüsch, unter Steinen oder verbuddeln sie in der Erde - wegen der Polizei.«

Wer von der Polizei erwischt wird, muss Strafe zahlen. Raúlito zieht ein kleines Stück Papier aus dem Portemonnaie. »Gestern erst haben sie mich drangekriegt.« 1500 Kubanische Pesos oder rund 60 CUC Bußgeld - ein halber Wochenverdienst. Es ist bereits die zweite Geldbuße innerhalb kurzer Zeit. »In gewisser Weise arbeite ich also für den Staat«, sagt Raúlito mit einem Grinsen. »Um die hier zu bezahlen, muss ich nun mehr verkaufen.«

Das Geschäft an diesem Vormittag läuft allerdings eher lau. An normalen Tagen verkauft Raúlito 30 bis 40 Karten, verdient also 30 bis 40 CUC (27 bis 36 Euro). In Kuba, wo die Leute in der Regel keine Miete zahlen, da sie ihre Wohnungen besitzen, Bildungs- und Gesundheitssystem kostenlos und ein Teil der Grundnahrungsmittel, Transport und Kultur vom Staat subventioniert sind, ist das viel Geld. In einem staatlichen Job müsste er dafür knapp einen Monat arbeiten.

Raúlito arbeitet jeden Tag der Woche, allerdings nur tagsüber. Noch mehr Geld verdient man abends, wenn die ETECSA-Verkaufsstellen geschlossen haben und die Leute von der Arbeit kommen oder am Wochenende. »Dann ist es hier richtig voll. An einem Sonntag kann man auch schon mal bis zu 200 Karten verkaufen.« Gerade jenen, die keinen WLAN-Spot in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft haben, bleibt oft nur das Wochenende, um dann über Facebook oder die Videochat-App Imo mit ihren Angehörigen und Freunden im Ausland zu chatten.

Zweieinhalb Monate nach Einrichtung der öffentlichen Wifi-Spots hatten rund eine Million Kubaner eine Nauta-Email-Adresse auf ihrem Telefon, die den Zugang zum Internet ermöglicht, wie Vize-Kommunikationsminister Wilfredo González Vidal in der Fernsehsendung »Mesa Redonda« (Runder Tisch) mitteilte. Zudem seien 3,8 Millionen temporäre Internetkarten verkauft worden. Wie viele davon unter der Hand - dazu machte er keine Angaben.

Es werden eine Menge sein. Allerdings sind die Zahlen nur schwer zu erheben, denn nach außen läuft das Geschäft meist legal ab. »Wir kaufen die Karten direkt bei ETECSA für 2 und verkaufen sie für 3 CUC weiter«, erklärt Raúlito. Doch da man immer nur begrenzt Karten kaufen könne, sei dies der beschwerlichere Weg. »Oder wir bekommen die Karten ›geliefert‹. Von Leuten, die direkten Kontakt zu ETECSA haben.« Er bestätigt, was die Reportage der Sendung »Cuba dice« (Kuba sagt) des kubanischen Fernsehens ein paar Tage später enthüllen soll: »Oft sind es die Leiter von ETECSA-Zweig-stellen selbst, die die Karten abzweigen. Der reguläre Verkauf wird gestoppt, und sie sagen den Leuten: Es gibt Probleme mit den Karten, wir können heute keine mehr verkaufen. Oft tun sie das, um mehr unter der Hand verkaufen zu können. In den Büchern wird das Ganze als normaler Verkauf geführt.«

Bevor er in das Geschäft mit den Internetkarten eingestiegen ist, hat Raúlito Militärdienst geleistet. Einen »richtigen« Job hatte er nie. »Aber ich habe einen Computer zu Hause, auf dem überspiele ich das Paket der Woche auf USB-Sticks oder Festplatten.« Das sogenannte »Paket der Woche« (paquete de la semana) ist eine Auswahl an Filmen, Seifenopern, Fotos, Zeitschriften, Ratgebern bis hin zu Wikipedia-Artikeln und wird über USB-Sticks und andere Datenträger auf der Straße weiterverkauft. In Ermangelung des Internets haben die Kubaner eigene Wege des Informationsaustausches geschaffen - eine Art Offline-Internet. Resultat des sprichwörtlichen Improvisationstalentes der Kubaner.

Rund um die öffentlichen WLAN-Spots ist eine ganze Reihe von Geschäftszweigen entstanden - nicht nur der Handel mit Internetkarten blüht. Es gibt Leute, die über die App Connectify lokale Hotspots einrichten und den Zugang minutenweise verkaufen. Gerade für diejenigen, die sich den Kauf der Internetkarten nicht leisten können, ermöglicht dies den Internetzugang zu reduziertem Tarif. »Andere installieren gegen einen kleinen Obolus Applikationen, die unbegrenztes Surfen erlauben oder verkaufen geknackte Zugangscodes, beispielsweise zum Netz des Hotels Habana Libre.« Die Arbeitsteilung funktioniere, sagt Raúlito, niemand mische sich in das Geschäft des anderen ein.

Die Regierung hat derweil angekündigt, den Internetzugang in Kuba auszubauen. Es sollen weitere WLAN-Spots eingerichtet werden, heißt es. Dafür würden »geeignete Stellen« mit den Behörden der jeweiligen Provinz abgestimmt, Orte, »an denen die Nutzer sich setzen können und nicht dem Wetter ausgesetzt sind«, wird ETECSA-Geschäftsführerin Mayra Arevich Marin in der Tageszeitung »Granma« zitiert.

Mehr öffentliche WLAN-Spots könnte auch mehr Geschäft für Raúlito und seine Kollegen bedeuten. Reich werde man damit aber nicht, sagt er. »Jeder muss halt sehen, wie er über die Runden kommt: Die Leute bei ETECSA mit ihrem staatlichen Gehalt und wir selbst auch.«

* Seinen wirklichen Namen und sein Alter will er nicht verraten.

Neues Deutschalnd

Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 21.12.2015