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Diplomatische Offensive
Raúl Castro empfängt heute nach seinen Besuchen in Algier, Moskau und Rom François Hollande in Havanna.
Der kubanische Präsident Raúl Castro gönnt sich keine Verschnaufpause und setzt die diplomatische Offensive seines Landes fort. Nach einem einwöchigen Besuchsmarathon, bei dem er Algerien, Russland und Italien besuchte, trifft Castro am heutigen Montag in Havanna bei einem Abendessen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande zusammen. Am Sonntag war der kubanische Staats- und Regierungschef noch von Papst Franziskus zu einer Privataudienz im Vatikan und danach in Rom vom italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi in dessen Amtssitz, dem Palazzo Chigi, empfangen worden. Einen Tag zuvor hatte der Vertreter der sozialistischen Karibikinsel auf dem Roten Platz in Moskau der Militärparade zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland beigewohnt. Castro hatte seine Auslandstour am 3. Mai mit einem Staatsbesuch in Algerien begonnen. Medien und Politiker in aller Welt, darunter auch solche, die Havanna noch im vergangenen Jahr als »isoliert« bezeichnet hatten, werteten die Mission durchweg als Erfolg der kubanischen Außenpolitik.
Der Besuch des französischen Präsidenten, der am gestrigen Sonntag in Havanna landete, wird von Vertretern der internationalen Presse bereits als »historisch« bezeichnet. Es ist der erste Aufenthalt eines französischen Staatsoberhaupts auf der Karibikinsel. Deren Außenminister, Bruno Rodríguez, hatte die Visite bereits vorab als »Meilenstein in den bilateralen Beziehungen« gewürdigt. Havanna hofft, dass der Gast aus Paris die im April 2014 begonnenen Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Kuba beschleunigen kann. Die kommen – im Vergleich zu den Verhandlungen mit den USA – nur schleppend voran. Kuba ist das einzige Land Lateinamerikas, mit dem die EU kein Kooperationsabkommen abgeschlossen hat. Seit 1996 wird das Verhältnis durch den »Gemeinsamen Standpunkt der EU«, der auf Initiative des rechtskonservativen früheren spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar beschlossen worden war, bestimmt. In diesem Dokument wird ein Systemwechsel in Kuba zur Bedingung für die Aufnahme normaler Beziehungen gemacht. Während viele EU-Mitgliedsländer sich längst von der Doktrin verabschiedet haben und einen Annäherungskurs betreiben, behindern einige konservativ regierte Staaten noch immer den Normalisierungsprozess. Das verärgert Wirtschaftsvertreter in der EU mittlerweile mehr als die Politiker auf der Karibikinsel. Die Firmenlobbyisten machen in Brüssel Druck für einen Politikwechsel der EU. Francois Hollande, der bei seinem Besuch in Havanna von führenden Managern wichtiger französischer Unternehmen begleitet wird, könnte dabei eine Schlüsselrolle spiele.
Auch der Empfang Castros durch den italienischen Ministerpräsidenten Renzi ist ein Signal für das schnell wachsende Interesse vieler EU-Länder an besseren Beziehungen. Die Einladung hatte Außenminister Paolo Gentiloni im März bei seinem Besuch in Havanna überbracht. Roms Chefdiplomat hatte dort unter anderem über bilaterale Kooperationen in den Bereichen Biotechnologie, erneuerbare Energieträger, Kultur, Bildung und Tourismus verhandelt. Vor dem Gespräch mit Renzi hatte Raúl Castro einen – vom Vatikan ausdrücklich als »privat« bezeichneten – Besuch bei Papst Franziskus gemacht. Es war die erste persönliche Begegnung der beiden und der zweite Besuch eines kubanischen Präsidenten im Vatikan seit dem Sieg der Revolution. Im November 1996 war sein damals regierender Vorgänger Fidel Castro von Papst Johannes Paul II. empfangen worden. Beim gestrigen Besuch im Vatikan ging es vor allem um die für den 23. September geplante Visite des Papstes in Havanna.
In Rom war Castro am Sonnabend in den Abendstunden aus Moskau kommend eingetroffen, wo er am Dienstag den längsten und bedeutendsten Teil seiner Reise begonnen hatte. Höhepunkt seines Aufenthalts in Russland, bei dem er unter anderem mit Präsident Wladimir Putin, Premierminister Dmitri Medwedew und dem Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., zusammentraf, war die Militärparade zum 70. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus am Sonnabend in Moskau. Revolutionsführer Fidel Castro hatte dazu in einem Beitrag aus Havanna seine »tiefe Bewunderung für das heldenhafte sowjetische Volk, das der Menschheit einen riesigen Dienst erwiesen hat« ausgedrückt (jW berichtete). Neben der Teilnahme an der Feier und anderen Veranstaltungen zum »Tag des Sieges« hatte sich der kubanische Präsident in den Tagen zuvor mit seinen russischen Gesprächspartnern über gemeinsame Projekte in den Bereichen Energie, Transport, Gesundheit, Biotechnologie und Pharmazeutik ausgetauscht. Der 8. Mai war zudem in Moskau und Havanna als 55. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Russland und Kuba gefeiert worden.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 11.05.2015