Nachrichten aus und über Kuba
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»Wachstum von vier Prozent ist sehr ehrgeizig«
Kuba will sich von Abhängigkeiten lösen und zugleich sozialistische Errungenschaften festigen. Ein Gespräch mit Heinz Bierbaum.
Heinz Bierbaum ist Mitglied des Parteivorstandes und Vorsitzender der Internationalen Kommission der Partei Die Linke.
Sie kennen eine Reihe von Ländern Lateinamerikas, waren im Februar aber zum ersten Mal in Kuba. Was war der Grund Ihres Besuchs?
Eine Einladung, die ich gern angenommen habe, um mir ein eigenes Bild zu machen. Denn um zu verstehen, was sich in Lateinamerika in den antiimperialistischen Bewegungen tut und welche Konzepte für eine nicht neoliberale Wirtschaftspolitik und sozialistische Perspektive entwickelt werden, muss man in Kuba gewesen sein.
Können Sie Ihren ersten Eindruck zusammenfassen?
Ich habe Kuba als Land in einer Umbruchsituation wahrgenommen und war beeindruckt davon, wie einerseits versucht wird, sich von früheren Abhängigkeiten zu lösen, einen eigenen Weg zu gehen, und andererseits, welch großer Wert darauf gelegt wird, sozialistische Prinzipien und soziale Errungenschaften zu erhalten und zu festigen. Persönlich hat mir die Verankerung dieses Prozesses in der Gesellschaft imponiert. Veränderungen werden nicht einfach von oben diktiert, sondern es gibt eine sehr breite Diskussion. Im Gespräch mit Oscar Martínez, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas, PCC, habe ich den Eindruck gewonnen, dass man sich bemüht, die Diskussionskultur zu verbessern, also zu einem wirklichen Meinungsaustausch zu kommen.
Mit wem haben Sie sonst noch Gespräche geführt?
Unter anderem mit dem früheren Gesundheitsminister José Ramón Balaguer, er ist jetzt Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen des Zentralkomitees der PCC. Dann mit Raymundo Navarro, im Gewerkschaftsdachverband CTC für Beziehungen zum Ausland zuständig; schließlich mit Elio Gómez, einem der Vizepräsidenten des Instituts für Völkerfreundschaft ICAP und einem Vertreter der Wirtschaftsabteilung des ZK der PCC.
Alles hochrangige Funktionäre. Haben Sie sich ein Bild von der Basis machen und mit einfachen Arbeitern, Bauern und Bürgern sprechen können?
Dazu hatte ich unter anderem auf der Buchmesse in Havanna, bei verschiedenen Stadtbummeln und beim Besuch der Cuba-Sí-Projekte in der Provinz Sancti Spíritus Gelegenheit.
Was haben Sie sich dort angesehen und wie bewerten Sie diese Hilfsaktionen?
Wir haben ein Landwirtschaft- und ein Archivprojekt besucht. Beim letzteren geht es darum, das nationale Kulturgut zu bewahren. Cuba Sí und Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin haben technische Ausrüstungen nach Kuba gebracht und helfen bei der Digitalisierung historischer Dokumente. Genauso konkret ist das Landwirtschaftsprojekt. Hier geht es unter anderem darum, die Milchproduktion zu steigern. Ziel ist es, Kuba bei seinen Anstrengungen zur Erreichung der Ernährungssouveränität zu unterstützen. Das sind tolle Projekte, die keinen symbolischen Charakter haben, aber zu konkreten Verbesserungen führen.
Wie beurteilen Sie den wirtschaftspolitischen Kurs Kubas?
Hier liegt nach meinem Eindruck die entscheidende Herausforderung. Das Ziel, 2015 ein Wachstum von mehr als vier Prozent zu erreichen, ist sehr ehrgeizig. Seine Erreichbarkeit hängt sehr stark davon ab, ob die Kubaner es schaffen, die Produktivität der staatlichen Betriebe deutlich zu erhöhen.
Warum weigert sich die EU bis heute, ihren »Gemeinsamen Standpunkt« zu revidieren, der die Beziehungen zu Kuba belastet?
Ich kann mir das nur mit noch immer bestehenden politischen Ressentiments erklären, die aus der Zeit des Kalten Krieges stammen. Die EU wäre gut beraten, den »Gemeinsamen Standpunkt« so schnell wie möglich aufzugeben und sich gegenüber den USA mit Nachdruck für die Beendigung der Blockade einzusetzen.
In Ihrer Partei, der Linken, gibt es unterschiedliche Positionen zu Kuba. Wie steht es mit der Solidarität zum revolutionären Prozess in Lateinamerika?
Eine Grundsolidarität ist schon daran erkennbar, dass Cuba Sí ein Teil der Linken ist. Ansonsten sind das Wissen und die Diskussion über Kuba und insgesamt über Lateinamerika in der Partei wohl unterentwickelt. Viele Genossinnen und Genossen arbeiten sich an eher nebensächlichen Themen ab.
Veröffentlichung |
Interview: Volker Hermsdorf
junge Welt, 10.03.2015