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Brüssel hinkt hinterher
USA geben Tempo bei Verhandlungen mit Kuba vor. Havanna besorgt über Menschenrechtslage in EU-Staaten.
Am heutigen Mittwoch wollen die Vertreter Kubas und der Europäischen Union in Havanna die Verhandlungen zur Normalisierung ihrer Beziehungen fortsetzen. Das auf zwei Tage angesetzte Treffen ist die dritte Runde der im April vergangenen Jahres begonnenen Gespräche. Deren Ziel ist eine »Vereinbarung für politischen Dialog und Zusammenarbeit«.
Der Termin war ursprünglich für Januar angekündigt, von Havanna dann aber wieder abgesagt worden. Kuba ist das einzige Land in Lateinamerika, mit dem die EU kein Kooperationsabkommen abgeschlossen hat. Die angestrebte Vereinbarung könnte am Ende den »gemeinsamen Standpunkt der EU« ablösen, der 1996 auf Initiative des damaligen rechtskonservativen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar beschlossen worden war und seitdem die Kuba-Politik der Europäer blockiert. In dem Dokument wurde ein Systemwechsel auf der sozialistischen Karibikinsel zur Bedingung für die Aufnahme normaler Beziehungen gemacht.
Nachdem die europäischen Regierungen am 17. Dezember 2014 durch die von den Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama angekündigten Verhandlungen über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kuba und den USA offenbar überrascht worden waren, stehen sie nun in Havanna als letzte in der Warteschlange. Seit Beginn der Gespräche hat sich die Position Kubas gegenüber der EU zudem deutlich verbessert. In Lateinamerika suchen mittlerweile selbst die engsten Alliierten Washingtons ein gutes Verhältnis zu Kuba, um in der Region nicht isoliert zu sein.
Langfristige Wirtschaftskooperationen mit Brasilien, Russland, China und den beiden anderen Ländern, Indien und Südafrika, der an Bedeutung zunehmenden BRICS-Staaten, die Sonderwirtschaftszone und der neue Tiefwasserhafen in der Bucht von Mariel und dessen gute Lage zum Kanalprojekt in Nicaragua machen das Land für Investoren in aller Welt interessant. Die USA haben dies erkannt und ganz pragmatisch das Scheitern ihrer bisherigen Politik eingestanden. Washington hat die Europäer bei der Annäherung an Kuba überholt ohne sein Ziel, dort einen Systemwechsel zu inszenieren, aufzugeben.
Die EU, die sich von ihrem rechten Flügel in der Kuba-Politik vor den Karren der USA hat spannen lassen, hat jetzt das Nachsehen. Brüssel hat Banken und Unternehmen der EU mit der devoten Haltung gegenüber Washington einen Bärendienst erwiesen. So drohen europäischen Firmen, die gegen die noch nicht aufgehobene US-Blockade gegen Kuba verstoßen, weiterhin Bußgelder in Millionenhöhe, während die US-Konkurrenten ihre Ansprüche im Kubageschäft abstecken.
»Dies schafft ein Ungleichgewicht, über das wir mit unseren Freunden in den USA sprechen müssen«, erklärte der EU-Botschafter in Havanna, Herman Portocarero, gegenüber der Agentur IPS. Weiter klagt er: »Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass der europäische Finanzsektor weiterhin Sanktionen und hohen Bußgeldern ausgesetzt ist, während im Fall der USA Beschränkungen aufgehoben sind.«
In der zweitägigen Verhandlung stehen neben wirtschaftlichen Themen auf Drängen der EU auch die Menschenrechte auf der Agenda. Kubas Außenminister Bruno Rodríguez bekräftigte am Montag zu Beginn der Frühjahrssitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf die Bereitschaft seines Landes, über alle Fragen »auf der Basis der Gleichheit, der Souveränität, des gegenseitigen Respekts und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« zu sprechen.
In Kuba gilt die EU indes in diesem Punkt nicht gerade als Musterknabe. »Wir machen uns große Sorgen um die Bürger- und Menschenrechte in einigen europäischen Ländern. Uns beunruhigen das Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten, die Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Spanien, Kinder- und Altersarmut, zunehmender Rassismus, der Umgang mit Flüchtlingen und die Diskriminierung von Muslimen«, erklärte Oscar Martínez, der stellvertretende Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas, gegenüber junge Welt. Auch die mittlerweile eingestandenen Folterpraktiken in CIA-Gefängnissen auf dem Territorium osteuropäischer Staaten, lassen die EU in den Augen vieler Kubaner nicht als glaubwürdigen Lehrmeister in Sachen Menschenrechte erscheinen.
Doch während die nach Havanna gereisten Diplomaten den Auftrag und den Willen zur Aushandlung eines Kompromisses haben, versuchen Ultrarechte in Europa und Kuba noch immer, eine Annäherung zu verhindern. Für diesen Zweck wird wieder einmal Berta Soler, die – inzwischen von zahlreichen eigenen Gefolgsleuten abgelehnte – selbsternannte Führerin der Dissidentengruppe »Damen in Weiß«, bemüht. Kurz vor Beginn der dritten Verhandlungsrunde kündigte sie am Montag in Havanna eine Reise nach Brüssel an, wo sie nach eigenen Angaben »auf Einladung« an einer Sitzung des EU-Parlaments teilnehmen und sich gegen die Normalisierung der Beziehungen aussprechen will.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 04.03.2015