Nachrichten aus und über Kuba
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Permanenter Rechtsbruch
US-Präsident Obama will das Gefangenenlager Guantánamo schließen. Doch die gesamte Militärbasis hat auf kubanischem Boden nichts zu suchen.
Zu Beginn der derzeit laufenden bilateralen Verhandlungen zwischen Havanna und Washington hatte US-Präsident Barack Obama am 17. Dezember öffentlich das Scheitern der 1962 gegen Kuba verhängten Blockade eingestehen müssen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran anzukündigen, seine Regierung werde sich »weiter für Demokratie und Menschenrechte auf Kuba einsetzen«. Seit dem Sieg der kubanischen Revolution im Jahr 1959 tragen US-Contras und ihre Verbündeten in Europa den Popanz vor sich her, das neue Kuba verletze permanent die Menschenrechte. Allerdings denkt die nicht ideologisch verblendete Weltöffentlichkeit bei diesem Thema vor allem an eines: Es sind die USA selbst, die auf der Karibikinsel gegen Menschen- und Völkerrecht verstoßen. Denn sie unterhalten nicht nur gegen den ausdrücklichen Willen Kubas ihre Militärbasis Guantánamo Bay (militärisches Kürzel GTMO, gesprochen »Gitmo«). Sie internieren und foltern außerdem in dem dort 2002 errichteten Militärgefängnis »Terrorverdächtige«, die aus zahlreichen Ländern entführt wurden, im rechtsfreien Raum.
Über Jahre gefoltert
Jüngstes Zeugnis darüber legte der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi in seinem »Guantánamo-Tagebuch« ab, das am Dienstag zeitgleich in den USA und in der BRD erschien. Der Veröffentlichung des von der Zensur an vielen Stellen geschwärzten Textes war ein sechs Jahre dauernder juristischer Kampf vorausgegangen. In seinen Aufzeichnungen schildert Slahi detailliert, wie er zunächst vor 13 Jahren aus seinem Heimatland über Jordanien nach »Gitmo« verschleppt und zwei Jahre lang gefoltert wurde. Unter endlosen Quälereien durch Schlafentzug, Beschallung, Verharren in schmerzhaften Körperhaltungen, Scheinhinrichtungen, sexuellen Mißbrauch, Zwangsernährung während des Ramadan und der Androhung, seine Mutter ebenfalls nach Guantánamo zu verschleppen, war Slahi schließlich zusammengebrochen und hatte seinen Peinigern erzählt, was sie hören wollten. Dieses »Geständnis« wurde 2010 zwar von einem US-Bundesgericht als Beweismittel abgelehnt, weil es unter Folter erpresst worden war, und Slahis Freilassung angeordnet. Doch bis heute sitzt er immer noch im Folterlager. Seine Anwältin Nancy Hollander forderte deshalb im britischen Independent, der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld müsse als damals Verantwortlicher wegen »Verschwörung zur Folter« angeklagt werden.
Slahis Fall ist keine Ausnahme, wie der im Dezember veröffentlichte 6.700 Seiten starke »offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA« belegt (siehe jW-Thema vom 19. Januar 2015). Und dass Gefangene die CIA-Folter in »Gitmo« nicht immer überlebten, statt dessen als »Selbstmörder« hingehängt wurden, bekräftigte der ehemalige US-Soldat und Wärter Joseph Hickman in seinem jetzt erschienenen Buch »Murder at Camp Delta« (siehe jW vom 17. Januar 2015).
Die wachsende zahl von Veröffentlichungen aus der Hölle von »Gitmo« ist Ausdruck der seit Jahren größer werdenden Kritik an diesem Militärgefängnis. Schon 2006 hatte die UN-Menschenrechtskommission gefordert, es müsse aufgelöst und die Gefangenen müssten in einem fairen Gerichtsverfahren zugeführt werden. Im Jahr darauf verlangte auch der Europarat die sofortige Schließung des Lagers, da es »eine Verletzung der Menschenrechte« darstelle. Seit der Amtsübernahme durch US-Präsident Obama im Jahr 2009 führte die Nichteinlösung seines Versprechens, Guantánamo zu schließen, auch in den USA zur Verschärfung der Proteste (siehe »13 Jahre Folterlager Guantánamo Bay sind genug«). Seinen Widersachern unter Republikanern, in Militär und Medien, die sich bis heute vehement gegen die Auflösung des Lagers stemmen, hielt Obama am Dienstag abend (Ortszeit) in seiner »Rede zur Lage der Nation« entgegen, er werde nicht nachlassen in seiner Entschlossenheit, »das Gefängnis, das die Welt verurteilt und die Terroristen zur Rekrutierung nutzen«, zu schließen. Es sei »Zeit, den Job zu Ende zu bringen«.
Koloniales Überbleibsel
In Washington hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich das sozialistische Kuba weder durch US-Blockade, Invasionsversuche noch terroristische Anschläge in die Knie zwingen lässt. Nun könnten die begonnenen Veränderungen in den Beziehungen zwischen den USA und Kuba auch in der Frage der Schließung von »Gitmo« als Katalysator wirken. Präsident Raúl Castro signalisierte, dass Havanna dabei aus einer Position der Stärke handelt. Er erklärte vor der Nationalversammlung, Kuba sei besorgt darüber, was in den USA in Sachen Demokratie und Menschenrechte vor sich gehe. Man sei jedoch offen, »über jegliches Thema zu sprechen«. Wie bisherige Erklärungen vermuten lassen, wird die kubanische Delegation dabei klug genug sein, die US-Marinebasis Guantánamo Bay nicht vorrangig zu thematisieren, auch wenn Fidel Castros Worte unvergessen sind, dass sie ein »Stachel im Herzen der kubanischen Heimat« sei. Die von der errungenen Freilassung der »Cuban Five« ermutigte Solidaritätsbewegung könnte indes vor diesem Hintergrund überlegen, wie freigewordene Kapazitäten beispielsweise dazu genutzt werden, Kuba dabei zu unterstützen, das Überbleibsel des Kolonialismus, das der Marinestützpunkt mitsamt seinem Folterlager darstellt, für immer loszuwerden. Das käme einerseits unmittelbar den völlig entrechteten Gefangenen zugute und würde andererseits die Position Kubas als anerkannten Verteidiger der Menschenrechte in Lateinamerika enorm stärken.
Veröffentlichung |
Jürgen Heiser
junge Welt, 22.01.2015