Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
Stärkere Anbindung
Fidel Castros Reise im Juni 1972 war eine Vorbereitung für den geplanten Beitritt in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).
Hans Modrow ist 17 Monate später als Fidel Castro und im selben Jahr wie Che Guevara geboren. Seit 45 Jahren ist der ehemalige Vorsitzende des Ministerrats der DDR Kuba in Solidarität und Freundschaft verbunden. Darum bietet das zum Jahresanfang im Berliner Verlag Wiljo Heinen erscheinende Buch »Amboss oder Hammer« neben einem Überblick über die verschiedenen Entwicklungsphasen der beiden sozialistischen Staaten auch spannende Vergleiche.
Niedergeschrieben sind Modrows Erfahrungen und Erlebnisse als Interview mit dem jW-Kuba-Berichterstatter Volker Hermsdorf. jW veröffentlicht einen Auszug aus dem Kapitel »Wirtschaftsbeziehungen und gegenseitige Vorteile«, in dem auf den ersten Besuch Fidel Castros in der DDR eingegangen wird. (jW)
Vom 13. bis 21. Juni 1972 besuchte Fidel Castro die DDR. Was waren Ziel und Ergebnis dieser Reise? Welche Wirkung hatten seine Auftritte in den Betrieben und in der Öffentlichkeit? Und was war für Sie der nachhaltigste Eindruck?
Der Aufenthalt Fidel Castros in der DDR dauerte länger, als es bei derartigen Besuchen üblich ist. In der Regel waren für Staatsbesuche einige Tage vorgesehen, aber der Repräsentant Kubas hielt sich acht Tage in der DDR auf. Daran wird sichtbar, dass Castro ein Interesse daran hatte, die sozialistischen Länder Europas gründlicher kennenzulernen. Denn er war ja nicht nur in der DDR, sondern besuchte auch andere Länder. Der Grund dafür war, dass Kuba seine wirtschaftliche Entwicklung stärker mit den sozialistischen Ländern verbinden wollte.
In dieser Zeit war ich Leiter der Abteilung Agitation im ZK der SED und verantwortlich für die Darstellung des Besuchs in den Medien. Mein Chef, der für Agitation und Propaganda zuständige Sekretär und Mitglied des Politbüros Werner Lamberz, war zum Ehrenbegleiter Fidel Castros ernannt worden. Ich kannte Lamberz seit unserem gemeinsamen Studium an der Hochschule des Komsomol (Kommunistischer Jugendverband der KPdSU; jW) in Moskau. Castro und er verstanden sich ausgezeichnet und waren sich in ihrer Persönlichkeit in vielen Punkten ähnlich. Später verband die beiden eine jahrelange Freundschaft.
In dieser Zeit war das Ansehen Walter Ulbrichts, der auf Betreiben einer Mehrheit der Mitglieder des Politbüros – die sich der Unterstützung Moskaus versichert hatten – am 3. Mai 1971 von den meisten seiner Ämter zurückgetreten war, noch sehr groß. Er wurde Vorsitzender der Partei, was ein Ehrenamt war, und blieb Vorsitzender des Staatsrats der DDR. Sein Nachfolger Erich Honecker hatte dagegen als Erster Sekretär – später hieß es Generalsekretär – des Zentralkomitees der SED die politische Macht. Castro erlebte also einen Übergang im Machtgefüge und konnte sich auch unmittelbar ein Bild davon machen, wie sich die Wirtschaft der DDR innerhalb des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in dieser Übergangsphase entwickelte, was für die Kubaner bestimmt sehr wichtig war.
Wenig später beschloss Kuba den Beitritt zum RGW. Nachdem die USA bereits die Blockade verhängt hatten, war Kuba 1962 auf Betreiben der USA auch aus der Organisation Amerikanischer Staaten ausgeschlossen worden. Die Anbindung der eigenen Wirtschaft an ein Gefüge in Europa war, angesichts des Wegfalls von bisherigen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen auf dem eigenen Kontinent, eine logische Konsequenz. Und es war sicher eine weitsichtige Entscheidung Fidel Castros, sich vorher gründlich umzusehen und einige Abläufe auch in der Praxis kennenzulernen. Daraus erklärt sich auch, dass Fidel Castro einen relativ großen Teil der DDR von der Küste bis zum Süden und die unterschiedlichsten Einrichtungen besucht hat. Er hat sich die Gesamtstruktur der Wirtschaft der DDR angesehen, und nicht von ungefähr hat er auch Wert darauf gelegt, den Norden einzubeziehen, denn über Rostock und Wismar wurde ja der Seeverkehr zwischen unseren Ländern abgewickelt.
Die DDR-Führung hatte ein großes Interesse daran, den Austausch mit Kuba zu verstärken, und bemühte sich, Fidel Castro den Kontakt zur Bevölkerung zu ermöglichen, worum er auch ausdrücklich gebeten hatte. Es gab viele Begegnungen und Gespräche mit Werktätigen in Betrieben, mit Bauern, Soldaten, Schülern, Studenten und natürlich Kubanern, die bereits in der DDR ausgebildet wurden oder studierten. Er interessierte sich eben nicht nur für wirtschaftliche Fachfragen, Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen und suchte den direkten Kontakt. Das ging bis zu den Freizeitangeboten an der Ostsee, denn es wurde ja schon Sommer.
Wir waren bemüht, Fidel Castro das Gefühl zu vermitteln, dass die Bevölkerung der DDR sehr aufgeschlossen und solidarisch auf Kuba schaut, was nach meiner Überzeugung auch den Tatsachen entsprach. Diese Reise Fidel Castros bildete nach dem Besuch Che Guevaras und neben dem Ansehen Tamara Bunkes in Kuba einen weiteren Grundstock für die Beziehungen der beiden Länder, die innerhalb der sozialistischen Gemeinschaft einen besonderen Stellenwert hatten. Und das lag eben nicht nur daran, dass die DDR mit ihren Leistungen innerhalb des RGW den vorderen Platz einnahm, obwohl auch das für Kuba sicher wichtig war.
Die DDR und Kuba hatten – bei allen Irritationen im sozialistischen Lager – immer gute Beziehungen. Schon Che Guevara und jetzt auch Fidel Castro schienen sich mehr für die DDR als für andere Länder zu interessieren. Wie erklären Sie das?
Das besondere Interesse Fidel Castros an der DDR hing sicher auch mit der von kolonialistischer und imperialistischer Vorherrschaft geprägten Geschichte Kubas zusammen, für das aus dieser Sicht die kleine, in der sozialistischen Staatengemeinschaft nicht dominant auftretende, aber erfolgreiche DDR der interessanteste Partner war. Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, der eher für uns interessant war. Die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zur Sowjetunion hatten ja in der Besatzungszeit begonnen. Damit war klar, dass es eine Arbeitsteilung gab, die für die DDR ungünstig war. Dazu gehörte zum Beispiel ein gewaltiger Schiffbau, der große Mengen Stahl erfordert, oder der Waggonbau, der ebenfalls viel Stahl verarbeitet. Das war für unsere Wirtschaft wegen des hohen Materialeinsatzes und der dazu notwendigen Investitionen nicht vorteilhaft. Wir waren ja wie Kuba ein Land, das nicht über ausreichende eigene Ressourcen verfügte. Trotzdem waren die Aufgaben der DDR im RGW nicht auf eine Industrie ausgelegt, die mit geringem Einsatz von Material produziert.
Aber mit Kuba gab es für uns andere Möglichkeiten: zum Beispiel eine stärkere Entwicklung in Richtung Landwirtschaft, in Richtung Landmaschinenbau, und es gab die Möglichkeit, unsere Erfahrungen in Gebieten wie der pharmazeutischen Industrie miteinander auszutauschen. Die heutige Leistungsfähigkeit und das hohe Niveau Kubas auf dem Gebiet der pharmazeutischen Forschung und Produktion haben eine ihrer Wurzeln auch in der damals beginnenden Kooperation mit der DDR. Dies wurde auch aus der Überlegung gefördert, die Transporte zwischen den Ländern nicht mit großen Volumina und Lasten zu verteuern und zu überfordern. Natürlich war Zucker das wichtigste Exportprodukt Kubas, das wir brauchten. Aber Gegenlieferungen waren Ausrüstungen, die den Kubanern halfen, ihre Wirtschaft zu modernisieren.
Im Juli 1972 – kurz nach dem Besuch Fidel Castros in der DDR und anderen sozialistischen Ländern Europas – wurde Kuba Mitglied im RGW. Welche Konsequenzen hatte das für Kuba?
Castros Reise in die DDR war eine Vorbereitung für den geplanten RGW-Beitritt. Er wollte, wie gesagt, zum einen persönlich die Art des Wirtschaftens und der Beziehungen kennenlernen. Zum anderen vermittelte er den Wirtschaftsexperten und politischen Entscheidern der führenden RGW-Länder auch die besonderen Bedürfnisse und Anforderungen Kubas. Er machte deutlich, dass sein Land keine Integration anstrebe, in der sich das innere Wirtschaftsgefüge Kubas den Anforderungen des RGW anpassen müsste, sondern eine, die es ermöglichte, die eigenen Strukturen so einzubringen, dass für die beteiligten Länder ein gegenseitiger Nutzen entstehe.
Wenn ich es richtig erinnere, war ein Punkt, dass die Wasserversorgung in der Landwirtschaft problematisch war. Da hatte dann Bulgarien mehr Erfahrungen als die DDR und lieferte Know-how und Technik. Wir nannten uns ja Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, und obwohl der Nutzen nicht immer wirklich gegenseitig war, ist dies in bezug auf Kuba meiner Wahrnehmung nach allerdings sehr ausgeprägt gewesen.
Der RGW-Beitritt war für Kuba in dieser Zeit sicher die wichtigste politische Entscheidung, und die Erfahrungen beim Besuch Fidel Castros bestätigten, dass er immer ein – im positiven Sinne – Pragmatiker war. Einer, der sich selbst ein Bild machte und die Dinge sehr genau anschaute. Castro gab sich nicht mit dem zufrieden, was ihm von Experten und Funktionären auf der wirtschaftlichen und politischen Ebene vorgestellt wurde, sondern überprüfte – im Rahmen seiner Möglichkeiten – das, was ihm erzählt worden war. Nach dem Beitritt zum RGW zeigte sich, dass diese Entscheidung für alle Beteiligten, vor allem aber für Kuba selbst, vorteilhaft und richtig war. Unter anderem profitierte Havanna von festen Zuckerpreisen und Abnahmequoten, und im Gegenzug wurden verlässliche Lieferungen von Öl und Materialien vereinbart. Das beförderte einen zwar noch bescheidenden, doch stetigen Wohlstand für die Bevölkerung der sozialistischen Karibikinsel. (…)
NÖS und Kuba
Seit dem 3. Mai 1971 war Ulbricht nicht mehr Vorsitzender des Zentralkomitees. Ein Grund für seinen erzwungenen Rücktritt soll Moskaus Misstrauen gegenüber dem von ihm eingeführten Neuen Ökonomischen System, dem NÖS, gewesen sein. Einiges davon erinnert an heutige Diskussionen in Kuba. Können Sie die Grundideen des NÖS mit wenigen Sätzen beschreiben?
Das Neue Ökonomische System war der Versuch, den Besonderheiten der Entwicklung der DDR Rechnung zu tragen und aus den Strukturen, die sich ja zunächst aus den Bedürfnissen und Vorgaben der Besatzungsmacht auch im Interesse der Reparationen ergeben hatten, zu lösen. Es wurde zunächst Volkseigentum geschaffen, damit das Kapital aus dem Westen keinen Einfluss mehr auf den Wirtschaftsraum der Besatzungsmacht nehmen konnte.
Dadurch entstanden in der DDR Verhältnisse, die sich aus den Vorgaben der Besatzungsmacht ergaben. Denn die Besatzungsadministration dauerte ja vier Jahre, bevor die DDR gegründet wurde. In dieser Zeit wurde ein neues Bildungswesen entwickelt, und es war insgesamt eine Phase, in der neue Strukturen für die gesamte Gesellschaft geschaffen wurden. Alle Entwicklungen standen unter dem Einfluss der sowjetischen Militäradministration. Erst mit der Übergabe großer Teile der Souveränität an die DDR bei deren Gründung konnte sich ein eigenes Planungssystem entwickeln.
Der Ansatz von Ulbricht bestand darin, die aus der Situation der 1950er Jahre entstandene Entwicklung zu analysieren, um notwendige Anpassungen mit dem Ziel zu erörtern, neue Konflikte zu verhindern. Die erste Aktion nach dem Schließen der Grenzen bestand darin, dass in einem Berliner Betrieb, dem VEB Elektrokohle Lichtenberg, eine Bewegung mit dem Motto »In der gleichen Zeit, für das gleiche Geld, mehr produzieren« ausgerufen wurde. Heute würde man sagen, die Arbeitsproduktivität sollte gesteigert werden. Dafür sollte durch Überzeugungsarbeit die gewünschte Leistungsbereitschaft entwickelt werden. Man wollte aus den Fehlern von 1953 lernen, als die bloße administrative Erhöhung von Normen in der Arbeitsleistung ja zu erheblicher Unzufriedenheit geführt hatte, die sich dann auch in Aktionen ausdrückte. Ulbricht wollte deshalb jetzt für eine Zustimmung von unten werben und das Bewusstsein der Beschäftigten ansprechen. Das war der Ausgangspunkt, der zunächst auch für Stabilität sorgte. Später entwickelten sich daraus dann weitere Überlegungen, die zum Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung führten.
Ziel war, eine Wirtschaft in der DDR zu etablieren, die von außen nicht mehr angreifbar war. Das Motto dazu lautete damals: »störfrei machen«. Das bedeutete, dass wir eine Produktion entwickeln wollten, die nicht von Importen aus dem Westen abhängig war. Und damit stand die Frage an, wie die Wirtschaft strukturiert, geführt und weiterentwickelt werden musste, um diese Vorgaben zu erreichen. Ulbricht gab grünes Licht für die Suche nach Alternativen. Er förderte den halbstaatlichen Betrieb, den Honecker 1972 wieder abgeschafft hat. Er wollte auch, dass der halbstaatliche Betrieb eine bestimmte Größe bekam, aber kein Konzern wird.
In dieser Phase wurde nicht nur über Vorgänge diskutiert, die die Wirtschaft im engeren Sinne betrafen, sondern es wurden auch eine Reihe anderer Fragen in die Debatte eingebracht. Dazu gehörten Themen wie Demokratie im Betrieb, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Fragen der Leitung und Kommunikation. Wir hatten seit den 1950er Jahren keine Betriebsräte mehr, aber jetzt wurden wieder Arbeiterräte gebildet, aus den Brigaden gab es Wortmeldungen, die Beschäftigten hielten Reden.
Es war der Versuch, das Neue Ökonomische System so aufzubauen und zu entwickeln, dass das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und Eigenerwirtschaftung auch durch die Belegschaften kontrollierbar würde. Es ging um eine Verbindung der Ebenen Leitung, Investitionsplanung und Beteiligung der Beschäftigten. Eigenerwirtschaftung bedeutete, nicht alles geht nach oben, es gibt eigene Budgets, damit der VEB ein Interesse hat, die eigene Entwicklung zu verbessern. Es wurde auch auf die Refinanzierung der Betriebe Wert gelegt. Das war schon beachtlich, zumal Ulbricht mit der Beförderung dieser Konzepte ja auch eine Bereitschaft zeigte, sich selbst zu korrigieren. Es war das Ergebnis einer jahrelangen, sehr offenen und sehr pluralistischen Debatte. Daraus erwuchs die Möglichkeit eines gemeinsamen Herangehens an Veränderungen in Planungs- und Leitungsstrukturen. Das Neue Ökonomische System war kein von Anfang an vorhandenes Konzept, sondern entwickelte sich aus vielen Fragestellungen und Diskussionen. Das war eine Phase der Suche, eine Phase der Öffnung und der offenen Debatten. Das sind teilweise Ansätze, die heute in ähnlicher Art auch in Kuba diskutiert werden. (…)
Vieles von Ulbrichts Plänen klingt nach der von Lenin entwickelten Neuen Ökonomischen Politik, der NÖP. Warum hat Moskau darin eine Gefahr gesehen?
Mit dem Ende des Neuen Ökonomischen Systems in der DDR beginnt im Verhältnis der DDR zur Sowjetunion zugleich die Periode, in der Breschnew die durch Chruschtschow geprägte Phase zu Ende gebracht hat. In Deutschland geht damit parallel die Phase zu Ende, die noch von der Generation geprägt worden war, die in der kommunistischen und der Arbeiterbewegung und im antifaschistischen Widerstandskampf die entscheidende Rolle gespielt hatte und im Exil in der Sowjetunion war. Honecker kam auch aus dem antifaschistischen Widerstandskampf, hatte aber unter den Nazis zehn Jahre im Zuchthaus gesessen, während Ulbricht noch aus einer Generation stammte, in der etliche Funktionäre Lenin persönlich gekannt hatten. Er hatte in der Sowjetunion gelebt und dadurch einen anderen Bezug. Ulbricht war ein enger Vertrauter Ernst Thälmanns gewesen und hatte damit in der kommunistischen und Arbeiterbewegung einen eigenen Platz. Er ist auch einer, der Mao Tse Tung noch persönlich kennengelernt hatte. Das alles konnte Breschnew, der Jahrgang 1906 war, nicht vorweisen. Er befand sich nicht mit dem 1893 geborenen Walter Ulbricht, wohl aber mit Erich Honecker auf Augenhöhe, der erst im Jahr 1912 geboren worden war.
Ich glaube, man muss auch solche Dinge beachten, weil das in Kuba anders ist und eben dies auch ein Mosaiksteinchen mehr für das Verständnis von Kubas besonderer Rolle ist. Fidel Castro hat schließlich nicht nur elf US-Präsidenten, sondern seit Chruschtschow auch alle Führer der Sowjetunion erlebt. Sie hatten es in Kuba immer mit der gleichen Person zu tun, die ein hohes internationales Ansehen genießt. Castro ist zudem nicht damit belastet, durch Personenkult die Zustimmung des Volkes gesucht zu haben, und er hat auch sein Land nie mit derartigen Ansprüchen und Eitelkeiten belastet.
Das alles sind Erscheinungen, die in der DDR anders verliefen. Honecker hatte den Kult um Ulbricht erst kritisiert, baute den um seine eigene Person aber später selbst auf. Das ging ja soweit, dass zu bestimmten Anlässen, wie zum Beispiel einer Messe im Zentralorgan der SED, dem Neuen Deutschland, bis zu 40 Fotos von Honecker erschienen. Dies sollte eigentlich vor allem die Rolle des Mannes an der Spitze gegenüber dem Ausland, seine Bedeutung und die Akzeptanz bei internationalen Ausstellern und Besuchern unterstreichen, bewirkte bei den Lesern und in der Bevölkerung aber eher Abneigung als Identifikation. Solche Extreme hat es in Kuba nicht gegeben.
Eigendynamik der Wirtschaft
Die Berichterstattung über Kuba konzentrierte sich damals stark auf Fidel Castro. Auch wir haben schon viel über ihn gesprochen. Welche anderen Persönlichkeiten spielten damals eine wichtige Rolle?
In dieser Zeit muss auch die Rolle von Carlos Rafael Rodríguez hervorgehoben werden. Er war Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Kubas, stellvertretender Ministerpräsident und hatte die Verantwortung für die Arbeit im RGW. Rodríguez war auch Leiter der für wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständigen Delegation beim Besuch Castros in der DDR. Ich habe ihn persönlich erst 1990 auf einer RGW-Konferenz in Sofia kennengelernt. Ich denke, wir müssen später noch ausführlicher darüber sprechen, dass die Widersprüche, die es in Kuba zu Wirtschaftsfragen gab, nie ausgetragen worden sind.
Möglicherweise hat die starke Persönlichkeit Fidel Castros die Dinge immer wieder ins Gleichgewicht gebracht. Aber die Widersprüche waren da. Carlos Rafael Rodríguez hatte zu vielen Fragen die Sichtweise Che Guevaras übernommen. Che hatte, nachdem er aus der Sowjetunion zurückgekehrt war, ja gesagt, dass dort vieles nicht richtig liefe. Er hatte die dortige Bürokratie offen kritisiert und auf die weitverbreitete Korruption hingewiesen. Ich hatte den Eindruck, dass Carlos Rafael Rodríguez diese Zusammenhänge immer beobachtet hat und stärker bemüht war, den Prozess auf Kuba nicht abbrechen zu lassen. Er wollte immer eine bestimmte Eigendynamik der Wirtschaft beibehalten und nicht eine zu starke Abhängigkeit vom bürokratischen System zulassen. Das war zumindest – im Rückblick betrachtet – mein Eindruck.
Der 1997 verstorbene Carlos Rafael Rodríguez hat schon früh Ideen entwickelt, die heute in Kuba breit diskutiert werden, und nach meiner Wahrnehmung genoss er auch das Vertrauen Fidel Castros. Er war auch ein Politiker, der von beiden – von Fidel Castro und von Che Guevara – stark beeinflusst war. Es ist wichtig, Kuba nicht nur mit einigen wenigen Persönlichkeiten gleichzusetzen, und wir sollten auch nicht die unterschiedlichen Positionen und Konflikte verkennen, die es gab und gibt.
Volker Hermsdorf/Hans Modrow: Amboss oder Hammer.
Gespräche über Kuba.
Verlag Wiljo Heinen, 429 Seiten, 20 s/w-Fotos, 16 Euro
Veröffentlichung |
Interview: Interview: Hans Modrow
junge Welt, 30,12.2014