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»Kuba verteidigt seine Würde«
Warum der Kampf um die Freilassung aller »Cuban Five« aus US-Gefängnissen so wichtig ist – und die Chancen heute so groß sind wie nie zuvor. Ein Gespräch mit Fernando González.
Sie waren 15 Jahre, fünf Monate und 15 Tage in den USA eingesperrt, weil Sie ihre Landsleute vor Terroranschlägen schützen wollten. Ende Februar sind Sie nach Kuba zurückgekehrt und kämpfen seitdem für die Freiheit Ihrer drei noch festgehaltenen Genossen. Woher nehmen Sie nach der langen Haft die Kraft dafür?
Vor allem aus der Verpflichtung für unsere Sache. Ich habe die Zeit des Gefängnisaufenthaltes auch als Vorbereitung auf die Zeit danach verstanden. Bei meiner Entlassung hatte ich den Wunsch, für mein Land und unsere Gesellschaft weiterhin nützlich zu sein, und das Gefühl, mich dafür gut vorbereitet zu haben. René und ich wurden zwar aus dem Gefängnis entlassen, aber unser Ziel war und ist die Freiheit und die Rückkehr von allen »Fünf«. Ich sehe es als meine wichtigste Aufgabe an, dafür mit all meiner Energie zu kämpfen. Das ist das ganze Geheimnis der Kraft.
Trotzdem sind fast 16 Jahre in der Isolation eine Belastung, die sich niemand vorstellen kann, der das nicht selbst durchgemacht hat. Hat das Gefängnis Sie nicht verändert?
Ich war jemand, der physisch im Gefängnis eingesperrt war und dort bestehen musste, aber meine tatsächliche Welt war immer die außerhalb des Gefängnisses. Mein Leben war nicht das eines inaktiven Gefangenen, der vor sich hinvegetiert, sondern das eines in seiner Bewegungsfreiheit vorübergehend eingeschränkten Aktivisten. Natürlich muss man seine Aufmerksamkeit auch dem widmen, was einen im Gefängnis täglich umgibt. Da muss man immer sehr präsent sein. Meine Art, mit der Haft umzugehen, bestand aber darin, den größeren Teil meiner Aufmerksamkeit und meine Energie Dingen außerhalb des Gefängnisses zu widmen, wie den aktuellen Veränderungen in unserem Land, dem Kampf für eine andere Welt, dem Einsatz für die Befreiung der »Fünf« und der Arbeit der weltweiten Solidaritätsgruppen. Außerdem habe ich natürlich viel gelesen, studiert, mich mit Dingen beschäftigt, die mich interessiert haben und die ich für die Zeit nach meiner Entlassung für nützlich hielt. Die vielen Freunde aus Kuba und der weltweiten Solidaritätsbewegung haben mir sehr dabei geholfen, immer auf dem Laufenden zu sein. Das hat mir über all die Jahre die Kraft und Energie gegeben, die ich jetzt in den Kampf für die Freiheit der »Fünf« einbringe.
War Ihnen während dieser ganzen Zeit Ihr individuelles Schicksal nie wichtig?
Seit unserer Verhaftung haben wir uns immer für die Rückkehr der »Cuban Five« eingesetzt. Es ging und geht nicht um die Freiheit einzelner, sondern um die der »Fünf«. Wir sind eine Einheit. Den Sinn meines Lebens sehe ich – wie viele Kubaner – nicht in meiner eigenen Individualität. Natürlich sind wir alle Individuen. Natürlich hat jeder von uns eine individuelle Entwicklung, die man gestalten und pflegen muss, und natürlich sind wir alle verschieden voneinander, haben unterschiedliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Gefühle. Aber all dies kann sich aus meiner Sicht nur in einem gesellschaftlichen Zusammenhang entfalten.
Wir »Fünf« wurden ja nicht eingesperrt, weil wir uns persönlich etwas haben zu Schulden kommen lassen, sondern für unser gesellschaftliches Engagement. Das beantwortet auch die oft gestellte Frage, woher wir die Energie nehmen, so lange durchzuhalten. Ich denke, ein Grund dafür ist der, dass wir unsere Situation nicht als individuelles Schicksal sehen. Wir sind uns bewusst, dass wir Teil eines historischen Prozesses sind. Wir sind Teil einer Gesellschaft, die versucht, ein Projekt aufzubauen, eine Alternative zu dem, was seit 500 Jahren auf unserem Kontinent existiert und zu Armut, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und einer kriminellen Politik geführt hat. Denn der Terror gegen unser Land und die Kriege, die diese Gesellschaftsordnung hervorbringt, sind Verbrechen. Wir stellen dem in Kuba als Alternative den Sozialismus entgegen. Unser politischer Kontrahent, die USA, sind das mächtigste Land der Welt. Sie engagieren sich gegen das kleine Kuba wegen dessen Entscheidung, ein unabhängiges Land zu sein.
Welche Rolle spielt für Sie »Würde«?
Eine ganz entscheidende. Unser Land ist über Jahrhunderte von Eroberern, Kolonialmächten und Imperialisten beherrscht worden. Mit dem Sieg der Revolution hat das kubanische Volk auch seine Würde verteidigt. Das wurde zum Fanal für den gesamten Kontinent. Unsere Würde lassen wir uns nicht wieder nehmen. Diese Haltung war auch im Gefängnis wichtig. Abgesehen von unseren politischen Überzeugungen und unserer Verbundenheit zu dem sozialen Projekt, für das Kuba steht, ging es für uns immer auch um unsere Würde. Schlimmer als das Gefängnis wäre es für jeden von uns gewesen, uns vor den Herrschern eines Landes zu beugen, das für eine ungerechte Sache wie den Terror gegen Kuba steht. Unsere Haltung vor Gericht, unsere Haltung im Gefängnis war in jedem Moment auch von dem Bewusstsein geprägt, dass es um die Verteidigung der Würde unseres Volkes und unserer eigenen geht. Das Eintreten dafür verleiht eine große Kraft, denn ein Mensch kann seine Würde nur einmal verlieren, und wer sie verteidigt, ist stärker als der Gegner.
Wie beurteilen Sie die Chancen, dass noch vor dem Ende von Präsident Obamas Amtszeit eine Lösung im Fall der »Fünf« erreicht werden kann?
Dies ist angesichts der Ergebnisse der Kongresswahlen schwer einzuschätzen. Allerdings spricht einiges dafür, es zumindest zu versuchen. Präsident Obama, seine Berater und Mitarbeiter kennen den Fall der »Cuban Five«. Niemand weiß, wer nach Obama kommt, aber in jedem Fall werden wir dann mit vielen Aktivitäten von vorn beginnen müssen. Deshalb sollten wir in den kommenden Monaten alle Anstrengungen darauf konzentrieren, einer Lösung näherzukommen. Die Chancen dafür sind heute besser als vor ein oder zwei Jahren. Ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass die totale Medienblockade über den Fall der »Fünf« in den USA bröckelt. Die New York Times, eine der größten und einflussreichsten Tageszeitungen der USA, hat ausführlich über den Fall berichtet und einen Austausch mit dem in Kuba inhaftierten US-Spion Alan Gross angeregt. In den letzten Wochen haben die Herausgeber dieser wichtigen, meinungsbildenden Zeitung in fünf Leitartikeln eine Änderung von Washingtons Kuba-Politik gefordert. Viele regionale Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender greifen die Argumente auf. In den USA ist mittlerweile – laut Meinungsumfragen – die Mehrheit der Bevölkerung für einen Politikwechsel gegenüber Kuba. Zahlreiche Persönlichkeiten, Künstler, Religionsführer und Politiker, einschließlich einiger konservativer, fordern die Normalisierung der Beziehungen. Hillary Clinton tritt – offenbar gezielt vor ihrer Bewerbung als Präsidentschaftskandidatin – plötzlich für die Aufhebung der Blockade ein. Dies bedeutet, dass sie sich von einem Kurs in Richtung Normalisierung mehr Nutzen als Schaden für ihr Wahlziel verspricht und dass die mächtigen Interessengruppen, die in den USA die Wahlkämpfe der Politiker finanzieren, diesen Kurs offenbar stützen. Auch die positiven Äußerungen von Außenminister John Kerry über den Einsatz kubanischer Mediziner in den Ebola-Regionen Afrikas sind bemerkenswert. Das alles sind politische Gesten.
Aber den Gesten ist noch keine Veränderung der Politik gefolgt. Sehen Sie dafür Chancen?
Im April 2015 findet der Amerikagipfel in Panama statt, an dem Kuba zum ersten Mal teilnehmen wird. Die USA sind gezwungen, das zu akzeptieren, weil die Länder Lateinamerikas, einschließlich der engsten Verbündeten der USA, darauf bestehen. Viele sind gespannt, was dort passieren wird. Klar ist, dass keine Entscheidung von US-Politikern aus sozialen oder humanitären Gründen oder wegen ihres Sinns für Gerechtigkeit gefällt wird, sondern immer aus eiskaltem politischen Kalkül und zum eigenen Nutzen. Die USA werden sich im Fall der »Fünf« nur dann bewegen, wenn der Preis dafür, sie weiter im Gefängnis einzusperren, höher als der dafür ist, sie freizulassen. Ich bewerte die Situation so, dass wir in den nächsten 18 Monaten so gute Chancen für einen Erfolg im Kampf für die Freiheit der »Fünf« haben werden wie nie zuvor. Wir sollten sie nutzen und die Anstrengungen verstärken, um unsere Kampfgefährten freizubekommen.
Veröffentlichung |
Interview: Volker Hermsdorf; Havanna
junge Welt, 19.11.2014