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Widerstand gegen Sanktionen wächst
Führende Medien in den USA plädieren für eine Normalisierung der Beziehungen zu Havanna.
Wenige Tage vor der Abstimmung über den Antrag Kubas zur erneuten Verurteilung der seit über 50 Jahren von Washington aufrechterhaltenen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade am Dienstag in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York forderten einflussreiche Medien und Experten in den USA deren Aufhebung. Gemeinsames Anliegen aller Vorstöße ist eine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Das Startsignal gaben die Herausgeber der angesehenen Tageszeitung New York Times am 11. Oktober mit einem weltweit beachteten Leitartikel, in dem US-Präsident Barack Obama zur Beendigung der Blockade aufgefordert wurde. Zwei Tage danach präsentierte die US-amerikanischen Analysten William M. Leogrande und Peter Kornbluh gemeinsam mit ihren kubanischen Kollegen Elier Ramírez und Esteban Morales in der Zentrale des Schriftsteller- und Künstlerverbandes (UNEAC) in Havanna ihre jeweils aktuellen Buchveröffentlichungen über die Beziehungen zwischen Kuba und den USA. In dem am gleichen Tag erschienenen Werk »Back Channel to Cuba« beschreiben die US-Autoren geheime Treffen zwischen Vertretern beider Länder zur Zeit der Präsidenten Kennedy, Ford und Johnson. Die weitestgehenden Versuche einer Annäherung hatte es demnach zur Amtszeit von Präsident James Carter in den Jahren 1977/1978 gegeben. Leogrande und Kornbluh sagten, dass die Chancen zur Normalisierung der US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen für Obama so groß seien wie nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten. Die Experten empfahlen dem Präsidenten, dafür das 7. Gipfeltreffen Amerikanischer Staaten im April nächsten Jahres in Panama zu nutzen, zu dem Kuba erstmals eingeladen ist. Den gleichen Vorschlag hatten auch die Herausgeber der New York Times gemacht.
Deren Vorstoß griff Revolutionsführer Fidel Castro am 14. Oktober in einem längeren Artikel in der Tageszeitung Granma auf, dem Zentralorgan der kubanischen KP. Castro bewertete die Vorschläge als »nützlich« und unterstrich die Vorteile einer Zusammenarbeit bei globalen Problemen wie dem Klimawandel und der Beseitigung von Waffen, die das Überleben der Menschheit gefährdeten. Gemeinsame Herausforderungen seien auch die ausreichende Versorgung der Weltbevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser. In einem weiteren Artikel bot Castro den USA eine sofortige Kooperation bei der Bekämpfung des Ebola-Virus an (jW berichtete). Dies wiederum wurde von zahlreichen Medien der USA positiv hervorgehoben. Große überregionale Tageszeitungen, wie die Washington Post, abermals die New York Times und die nationalen TV-Sender bezeichneten die Hilfe Kubas im Kampf gegen Ebola als »vorbildlich«. Als erster ranghoher Politiker lobte auch US-Außenminister John Kerry den kubanischen Einsatz in Afrika vor Diplomaten in der US-Hauptstadt und nannte ihn »beeindruckend«.
Die neuen Töne einiger US-Medien und Politiker in Washington gegenüber Kuba deuten einerseits auf eine Chance zur Verbesserung der Beziehungen hin, sollten andererseits aber nicht über die wahren Motive für eine Annäherung auf US-amerikanischer Seite hinwegtäuschen. »Die Gründe sind weit davon entfernt, humanitär zu sein«, kommentiert José Manzaneda, Koordinator des Onlineportals Cubainformación, die Avancen. So fordere die New York Times das Ende nicht etwa deswegen, um die Angriffe auf die kubanische Wirtschaft und Bevölkerung einzustellen, sondern weil sie mittlerweile den ökonomischen Interessen der US-Unternehmen selbst mehr schade als nütze. »Die USA überlassen den kubanischen Markt ihren Konkurrenten Russland und China«, begründete die New York Times ihren Appell. Als zweiter Grund wird die Verbesserung der Chancen für die politischen Einflussnahme in Kuba genannt. Eine Normalisierung »eröffne neue Möglichkeiten, um die Zivilgesellschaft in Kuba zu stärken«, heißt es weiter. Den Begriff »Zivilgesellschaft« verwenden US-Medien in der Regel zur verharmlosenden Beschreibung von Systemgegnern. Nach dem aus der bundesdeutschen Außenpolitik gegenüber der DDR bekannten Muster »Wandel durch Annäherung« setzt Washington also nur scheinbar auf eine neue Politik gegenüber Havanna. Das Ziel bleibt das Gleiche wie immer: die Veränderung des Gesellschaftssystems und die Beseitigung des Sozialismus auf Kuba.
Trotzdem liegt eine Normalisierung der Beziehungen zum nördlichen Nachbarn auch im Interesse Havannas. Ob es dafür in den USA eine Bereitschaft gibt, dürfte nicht zuletzt vom Ergebnis der dortigen »Zwischenwahlen« am 4. November abhängen. Charlie Christ, Gouverneurskandidat der Demokratischen Partei in Florida, dem Zentrum der ultrarechten Exilkubaner, fordert in seinem Wahlkampf die Aufhebung der Blockade. Wir er mit dieser Aussage gewählt, dürfte das auch die Obama-Administration beeinflussen. Laut New York Times sind mittlerweile gut 52 Prozent der US-Bevölkerung für die Beendigung der Blockade gegen Kuba.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf, Havanna
junge Welt, 27.10.2014