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»Was heißt es, ein Mensch zu sein?«
Dokumentarfilm über einen behinderten jungen Kubaner wurde in Havanna vorgestellt. Demnächst Deutschland-Premiere. Ein Gespräch mit Tobias Kriele.
Sie haben in Havanna Ihren neuen Dokumentarfilm »Die Kraft der Schwachen« vorgestellt. Warum war die Premiere in der kubanischen Hauptstadt?
Die Aufführung war eigentlich eine zweite Premiere. Der Film wurde zuvor in der Provinzhauptstadt Camagüey vorgestellt,das ist der Wohnort von Jorgito, der Hauptperson des Films. Die Präsentation in Havanna hatte aber eine besondere Bedeutung, weil Angehörige und Freunde der in den USA inhaftierten Aufklärergruppe »Cuban Five« anwesend waren. Zu ihnen hat der Film eine besondere Beziehung, da Jorgito eine Art Adoptivsohn von Gerardo Hernández und Adriana Pérez ist.
Jorgito ist ein spastisch gelähmter Junge. Was hat Sie veranlasst, einen Film zum Thema Behinderung in Kuba zu machen?
Ich würde nicht sagen, dass das Thema »Behinderung« im Mittelpunkt steht. Eher dokumentiert er den verblüffenden Vorgang, wie eine lebenseinschränkende Behinderung unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen aufgehoben werden kann.
Jorgito wurde entscheidend davon geprägt, dass er in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die die Förderung eines schwerbehinderten Kindes in den Mittelpunkt stellt. Jorgito entschied sich bereits in der Vorschule dafür, diese Unterstützung durch Engagement für die kubanische Revolution und für die »Cuban Five« zu erwidern. Heute, mit 21 Jahren, ist er ein gefragter Journalist und Redner und wird von seinen Altersgenossen als Vorbild gesehen.
Der Titel »Die Kraft der Schwachen« ist in Kuba übrigens auf Widerspruch gestoßen. Wer Jorgito kennengelernt hat, tut sich nämlich schwer, ihn mit dem Wort »schwach« in Verbindung zu bringen.
Auch Ihr erster Film »Zucker und Salz« handelt von kubanischen Themen. Woher rührt Ihr Interesse an der sozialistischen Insel?
Sicher spielt es eine Rolle, dass ich neun Jahre in Kuba gelebt und studiert habe. Filme zu machen, bietet mir die Möglichkeit, meine Eindrücke zu verarbeiten. Die eigentlich interessante Frage ist, was von den Erfahrungen Kubas auch in Ländern wie Deutschland gültig sein könnte. Welche Antworten finden Menschen, die unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen leben, auf Fragen, die sich auf der ganzen Welt auf ähnliche Weise stellen? Was bedeutet eine Revolution für die Lebensbedingungen der Menschen, die sie erleben? Was heißt es, ein Mensch zu sein oder unter menschlichen Verhältnissen zu leben?
Wann und wo wird das deutsche Publikum »Die Kraft der Schwachen« sehen können?
Jorgito ist in Deutschland übrigens kein Unbekannter. In der Zeitschrift der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, Cuba Libre, veröffentlicht er regelmäßig eine Kolumne. Das erklärt vielleicht die Begeisterung, mit der die Idee, Jorgito zur Vorstellung des Filmes nach Deutschland einzuladen, aufgenommen wurde. Die Deutschlandpremiere findet am 23. November im Berliner Kino Babylon statt. Bis zum 7. Dezember wird der Film dann in Anwesenheit Jorgitos in acht weiteren Städten vorgeführt. Sicher werden weitere Aufführungen folgen – die Gelegenheit, Jorgito persönlich zu erleben, bietet sich allerdings nur auf diesen neun Veranstaltungen.
Veröffentlichung |
Interview: Volker Hermsdorf (Havanna)
junge Welt, 22.10.2014