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Weichen stellen in Kuba
Parlament plant Auswertung und Erweiterung der Wirtschaftsaktualisierungen.
Das kubanische Parlament will in dieser Woche eine wirtschaftliche Bilanz der letzten eineinhalb Jahre ziehen und die Weichen für den Kurs der kommenden Monate stellen. Das Land stehe vor der Umsetzung der »anspruchsvollsten und entscheidendsten Leitlinien«, kündigte der Vizepräsident des Ministerrats, Marino Murillo, auf einer Sitzung dieses Gremiums am 21. Juni in Havanna an. Die »Lineamientos«, die Leitlinien zur »Aktualisierung des sozialistischen Modells«, waren im April 2011 vom sechsten Kongreß der Kommunistischen Partei Kubas beschlossen worden.
Am kommenden Mittwoch beginnt eine zweitägige Anhörung der zur Umsetzung der Leitlinien eingerichteten zehn Ständigen Kommissionen. Für Freitag ist der Rapport des Landwirtschaftsministeriums vorgesehen. Danach werden die 612 Parlamentarier der Nationalversammlung über die Berichte diskutieren und wirtschaftspolitische Beschlüsse fassen.
Eine erste vorläufige Halbjahresbilanz löste in Havanna bereits Alarmsignale aus. Wie die Tageszeitung Granma am Montag vergangener Woche berichtete, waren in der Ministerratssitzung am vorhergehenden Sonnabend bereits akute Defizite angesprochen worden. Hauptproblem sei das schwache Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, das im ersten Halbjahr 2014 lediglich 0,6 Prozent betrug, zitiert Granma den Minister für Wirtschaft und Planung, Adel Izquierdo Rodríguez. Statt der anvisierten 2,2 Prozent sei in diesem Jahr höchstens ein Plus von 1,4 Prozent zu erreichen. Der Minister nannte drei Gründe für die schwächelnde Wirtschaft: Die Auslandseinnahmen seien niedriger ausgefallen als erwartet, Kälteperioden und heftige Regenfälle hätten zu nicht kalkulierten Problemen geführt, und schließlich hätten die USA ihre gegen Kuba verhängte Blockade massiv verschärft.
Trotzdem habe es auch deutliche Zuwächse gegeben, zum Beispiel in den Bereichen Transport, Kommunikation, Landwirtschaft, Zuckerindustrie sowie Tourismus und Gastronomie. Starke Rückgänge seien dagegen in der Industrieproduktion zu verzeichnen. Als größte Wirtschaftsbremsen bezeichnete Izquierdo Rodríguez verspätete Lieferungen von Materialien, Personaldefizite, niedrige Produktivität und fehlende externe Finanzierung. Dies habe dazu geführt, daß der Warenverkehr im Land zwar insgesamt funktioniere, es aber bei einigen Produkten mit besonders hoher Nachfrage zu Versorgungsproblemen komme, die in der Bevölkerung zu Recht kritisiert würden.
Obwohl die Einnahmen im ersten Halbjahr um 1,3 Prozent höher ausfallen als erwartet, kündigte Finanzministerin Lina Pedraza Rodríguez in der Sitzung des Ministerrats Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben mit einem Volumen von 2,2 Prozent an. Als Gründe nannte sie höhere Aufwendungen für Importe, die durch Produktionsausfälle verursachten Versorgungsmängel ausgleichen müßten. Das Haushaltsdefizit bezifferte sie auf 1,17 Milliarden Pesos (rund 37 Millionen Euro). Die Ministerin wies in dem Zusammenhang auch auf die mangelhafte Effizienz einiger Betriebe hin. Zum Stichtag hätten 124 Unternehmen mit Verlusten abgeschlossen. Pedraza Rodríguez erklärte, daß 66 Prozent des laufenden Haushalts für Bildung, Gesundheit, Kultur, Sport und Sozialhilfe aufgewendet würden.
Mit der Aussage »Wir haben eine riesige Aufgabe vor uns, aber wir dürfen nicht zulassen, daß uns die Probleme überwältigen, und dürfen uns nicht vor ihnen fürchten« hatte Präsident Raúl Castro in der vorletzten Woche die Öffentlichkeit auf weitere Umstrukturierungen eingestimmt, von denen einige am kommenden Sonnabend im Parlament diskutiert werden. Als wichtiges Zukunftsprojekt steht die Erhöhung des Anteils der aus Solar- und Windkraftanlagen gewonnenen Energie an, um teure Erdölimporte und damit auch die staatlichen Subventionen verringern zu können. Wie Marino Murillo mitteilte, werden den kubanischen Kunden derzeit nur ein Sechstel der Energiekosten in Rechnung gestellt, die der Staat für deren Erzeugung aufwenden muß. Weitere Schwerpunktprojekte sind die schrittweise Vereinheitlichung der Doppelwährung und der weitere Rückzug des Staates aus einfachen Service- und Dienstleistungsbereichen wie etwa der Gastronomie und des Reparatursektors. Parallel zu dieser Entwicklung sollen die Aufgabenbereiche der Gewerkschaften erweitert werden. Der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes CTC, Ulises Guilarte de Nacimiento, kündigte für die zweite Jahreshälfte eine Reihe von Seminaren an, um die Gewerkschaftsvertreter mit der Handhabung von Tarifverträgen und anderen Instrumenten des neuen Arbeitsrechts vertraut zu machen.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 01.07.2014