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»Obama kann Prozeß politisch entscheiden«
Aktionswoche für Havannas Antiterrorkämpfer: Solidaritätsbewegung für Freilassung der »Cuban Five« will Druck auf US-Präsident verstärken. Gespräch mit René González.
Wir hatten auf ein Gespräch mit Ihnen während der Internationalen Anhörung zum Fall der »Cuban Five« Anfang März in London gehofft. Aber obwohl Sie der Hauptzeuge des Hearings waren, verweigerte Großbritannien Ihnen die Einreise. Hat Sie das eigentlich überrascht?
Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Die Übereinstimmungen zwischen der britischen und der US-amerikanischen Regierung, die tiefe historische Wurzeln und auch ökonomische Gründe haben, sind ja jedem bekannt. Allerdings war das Verhalten der britischen Behörden höchst widersprüchlich. Ein Kubaner mit Wohnsitz in Miami, der wegen terroristischer Aktivitäten viele Jahre in Kuba im Gefängnis saß, jetzt aber ein Anhänger der Revolution ist, hat an der Konferenz in London teilgenommen. Er hat mir später eine E-Mail geschickt und meinte, es sei wirklich kurios: »Ich war als Terrorist rechtmäßig verurteilt und inhaftiert und durfte einreisen, während Dir das Visum abgelehnt wurde, obwohl Du lediglich dafür eingesperrt worden bist, weiteren Terror verhindern zu wollen.« Dahinter steckt die einfache Logik der USA, daß sie ihre eigenen Terroristen schützen.
Zu der Anhörung in London hatten über 6000 Menschen aufgerufen, darunter rund 200 bekannte Persönlichkeiten wie Nobelpreisträger, Juristen, Politiker, Künstler, Wissenschaftler und andere Prominente aus aller Welt. Die 300 Teilnehmer kamen aus 27 Ländern. Trotzdem wurde die Anhörung ebenso wie der Fall der »Cuban Five« von den großen Medien verschwiegen. Was kann die Solidaritätsbewegung tun, um diese Mauer des Schweigens zu durchbrechen?
Auf die Medien der westlichen Länder sollten wir nicht viel Hoffnung setzen. Damit sie überhaupt Notiz von dem Fall und unseren Positionen nehmen, muß man etwas Außergewöhnliches machen. Trotzdem werden die großen Medien weiterhin über den Fall der »Cuban Five« schweigen. Das ist ja eine bewußte politische Strategie. Statt zu sehr auf die Medien zu hoffen, sollten wir auf die Kraft unseres Tuns setzen. Das Wichtigste in diesem Jahr ist die Solidaritätswoche vom 4. bis 11. Juni in Washington, dem Zentrum der politischen Macht in den USA. Ich halte eine gelungene Aktion dort für Erfolg versprechender, als zuviel Kraft in den Kampf gegen Manipulationen der großen Medien zu stecken.
Der preußische General Carl von Clausewitz hat vor 200 Jahren den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bezeichnet. Heute sind Gewalt und Terror Ersatz für Politik, wie in der Ukraine, in Venezuela und in Kuba. Sie haben für den Kampf gegen den Terror im Gefängnis gesessen. War Ihre Mission trotzdem erfolgreich?
Seit Clausewitz hat sich das Szenario verändert. Damals wurden zur Eroberung vor allem Kriege geführt. Heute bedienen sich die Aggressoren differenzierterer Methoden, zum Beispiel über die neuen Medien und soziale Netzwerke. Das ist subtiler und viel gefährlicher. Gewalt, Terror, Invasionen und Kriege werden über das Internet vorbereitet. Die aktuellsten Beispiele erleben wir in der Ukraine und in Venezuela, und niemand weiß, wie das endet. Wir in Kuba haben seit mehr als 50 Jahren alle Facetten dieses Krieges kennengelernt: Terrorismus, direkte Invasion, Vernichtung von Ernten und Tierbeständen, ökonomische Blockade, den Medienkrieg und in der letzten Zeit eine zunehmende subtile Aggression über die sozialen Medien und Netzwerke. »ZunZuneo« ist ein Beispiel dafür. Unsere Mission in den USA konnte Anschläge verhindern, hat Leben und Gesundheit der Bürger geschützt. Aber Projekte zur Destabilisierung unseres Landes wie zum Beispiel »ZunZuneo« werden weiterhin von dort betrieben. Ich halte derartige geheimdienstliche Operationen gegen die Regierungen und die Stabilität anderer Länder, egal ob von der CIA oder der USAID initiiert, für sehr gefährlich, weil sie Vorbereitungen von Gewalt und Terror sind. Menschen, die uns davor schützen, leisten eine wertvolle Arbeit.
Amnesty International klagt an, daß Politik und Justiz in den USA den Fall der »Cuban Five« für ihre politischen Ziele mißbraucht und daß Sie und die anderen vier nie die Chance auf ein faires Verfahren gehabt haben. Wie wichtig ist dieser aktuelle Report von Amnesty International?
Ich halte diesen Bericht von Amnesty International für außerordentlich wichtig. Es ist das zweite Mal, daß diese Organisation sich zu dem Fall äußert. Sie hat dazu die Vorgeschichte unserer Verhaftung, die Einmischung der US-Regierung bei der Vorbereitung des Prozesses, die Bezahlung von Journalisten zur Beeinflussung des Verfahrens, die Behinderungen der Verteidigung und viele weitere Umstände sehr gründlich analysiert und kommt zu dem Ergebnis, daß keiner von uns fünf einen fairen Prozeß hatte. Die jeweils verhängten Strafen, besonders die zweifache lebenslange Haft für Gerardo Hernández nennt Amnesty eine »offensichtliche Ungerechtigkeit«.
Die Amtszeit von Präsident Barack Obama endet im Januar 2017. In London war immer wieder zu hören, daß die nächsten beiden Jahre für die Freilassung der noch in den USA inhaftierten drei Aufklärer entscheidend sind. Was bedeutet das?
Das ist genau das Zeitfenster, das wir nutzen müssen. Wenn Obama seine Amtszeit beendet und den Fall bis dahin nicht durch seine Entscheidung gelöst hat, wird die Angelegenheit komplizierter werden. Um es mit einem astrologischen Begriff zu sagen, standen die Sterne für eine positive Lösung nie so günstig wie jetzt. Damit will ich nicht sagen, daß alles in trockenen Tüchern ist, aber der gegenwärtige Zeitpunkt ist günstig. Es gibt wachsenden inneren Druck auf die US-Regierung, das Verhältnis zu Kuba zu verbessern, und die Stimmung gegenüber uns hat sich dort in den letzten Jahren verändert. Viele Interessenvertreter begreifen, daß die bisherige feindliche Haltung zu Kuba den USA mehr geschadet als genützt hat. In Lateinamerika und vielen anderen Regionen der Welt haben sie sich dadurch selbst isoliert. Zahlreiche US-Politiker, darunter eine Reihe von Senatoren, fordern eine Verbesserung der Beziehungen. Zudem spielen die ultrarechten kubafeindlichen Gruppierungen eine immer geringere Rolle, ihr Einfluß auf die Politik schwindet. All diese Faktoren begünstigen eine Entscheidung zur Freilassung unserer drei Kampfgefährten. Obama kann den Prozeß politisch entscheiden. Er muß dafür nur ein Stück Papier unterschreiben.
Wie kann die Solidaritätsbewegung in Europa Sie in Washington unterstützen?
Ich halte diese Aktionswoche für sehr wichtig und wünsche mir, daß die Leser der jungen Welt und viele weitere Freunde in Europa deren Bedeutung verstehen und sich für ihren Erfolg einsetzen. Die Entscheidung über die Freilassung unserer noch inhaftierten Brüder muß schließlich in Washington gefällt werden. Dies ist seit 2012 die dritte derartige Aktion dort. Am Anfang gab es bei den Organisatoren Unsicherheit, ob ein so anspruchsvolles Projekt überhaupt realisiert werden kann. Dennoch wurde schon die erste Aktionswoche – trotz noch geringer Beteiligung – ein Erfolg. An der zweiten Aktionswoche beteiligten sich im letzten Jahr bereits mehr Menschen. Es gab mehr Veranstaltungen, Besuche im Kongress, Kontakte mit Abgeordneten und eine stärkere Beachtung in der Öffentlichkeit. In diesem Jahr hoffen wir, daß die dritte Aktionswoche, die vom 4. bis 11. Juni stattfindet, eine noch größere Beteiligung und Wirkung hat. Ich appelliere an Abgeordnete im Europaparlament, in den nationalen Parlamenten, denen der Provinzen, Städte und Gemeinden, sich daran nach ihren Möglichkeiten zu beteiligen. Nach der Anhörung in London setzen viele Aktivisten in den USA und Kanada große Erwartungen in die Solidarität und Unterstützung der Europäer. Ich halte auch den Versuch für wichtig, den Kreis der Unterstützer über die klassische Solidaritätsbewegung und die Linke hinaus zu erweitern. Wir werden in diesem Jahr sicher nicht alle Ziele erreichen. Aber wir können in Washington etwas tun, was nicht zu überhören ist. Das ist im Moment einer der wichtigsten Beiträge im Kampf für die Freilassung unserer Genossen Antonio Guerrero, Ramón Labañino und Gerardo Hernández.
Veröffentlichung |
Interview: Volker Hermsdorf, Havanna
junge Welt, 07.05.2014