Nachrichten


Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Die Entwicklung von Mercosur (1)

Eduardo G. Serra ist Professor an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (UFRJ) und Mitglied der Brasilianischen Kommunistischen Partei (PCB)

Im Zug des weltweiten Trends zur Institutionalisierung des Kapitalismus und zur Bildung regionaler politischer und wirtschaftlicher Blöcke entstand Mercosur im Jahr 1991, indem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay den Vertrag von Asunción schlossen, der einen Gemeinsamen Markt des Südens schaffen sollte. Weitere wichtige Ziele des Vertrags waren: gemeinsame Außenzölle, gemeinsame Handelspolitik, Koordinierung der Politik in makroökonomischer Hinsicht und in einzelnen Bereichen und auf dieser Basis eine Harmonisierung der entsprechenden Gesetze. Bis 1994 sollten die entsprechenden Institutionen geschaffen sein und Mercosur den Status einer internationalen Einheit erhalten. 2012 stellte Venezuela einen Aufnahmeantrag. Mit diesem neuen Partner wird der Block nunmehr ein Gebiet mit 270 Millionen Einwohnern umfassen (also 70% der Bevölkerung Südamerikas) und ein Bruttosozialprodukt von 3.3 Billionen US-Dollar (83,2% dessen ganz Südamerikas) erreichen.

Kennziffern des Handels zwischen den Mercosur-Ländern

An Kennziffern des Handels zwischen den Mercosur-Ländern wird deutlich, was sich verändert hat. Umfasste der Handel zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay 1991 noch 2,3 Milliarden US-$, waren es 2011 bereits 27,8 Milliarden, also das Zwölffache. Mit Venezuela kommt ein Markt hinzu, der Konsum- und Investitionsgüter vielfältiger Art benötigt, denn die Wirtschaft Venezuelas beruht auf dem Ölexport und fast alle im Inland verbrauchten Güter werden importiert; das entsprach im Jahr 2011 38 Milliarden US-$. Innerhalb des Blocks hat der Handel im gleichen Maß zugenommen wie der gesamte internationale Handel in den letzten drei Jahrzehnten. So hatte sich beispielsweise der Anteil brasilianischer Exporte am Welthandel (nach Daten der Welthandelsorganisation von 2012) von 0,96% im Jahr 2002 auf 1,44% im Jahr 2011 gesteigert.

Doch trotz aller Verlautbarungen und Rechtfertigungen, dass der Mercosur ein starker Hebel zur Förderung wirtschaftlicher Entwicklung in der Region, also ein von allen Mitgliedsländern zu verfolgendes Ziel sei, steht im Zusammenschluss vor ernsthaften Problemen und seine Grenzen sind zunehmend deutlicher geworden.

Grenzen sind zunehmend deutlicher geworden

Nicht nur dass eine Tradition gemeinsamer Wirtschaftsplanung fehlt und eine gemeinsame soziale Planung überhaupt nicht existiert, ist eine strukturelle Barriere auch dadurch gegeben, wie der ganze Block angelegt ist, vor allem wegen der riesigen Asymmetrie des Umfangs und der Struktur der Wirtschaft der Mitgliedsstaaten. So unterscheidet sich das Bruttosozialprodukt der Mercosur-Länder:

Land

BSP (in Milliarden US-Dollar)

Brasilien

2,234

Argentinien

726

Paraguay

37

Uruguay

52

Venezuela

379


Quelle: Weltbank 2011

Diese zahlen sprechen für sich. Die Wirtschaft Argentiniens macht 1/3 der von Brasilien aus, die von Venezuela gerade 1/6, die von Uruguay 1/43 und die von Paraguay 1/60.

Die Werte des Außenhandels innerhalb des Blocks lassen erkennen, dass der Mercosur ein wichtiger Partner Brasiliens ist – machen doch die Importe aus Argentinien dem Hauptpartnerland im Mercosur, 7,4% der Importe aus. Doch das ist deutlich weniger als die Importe aus China (15,4%) oder aus den USA (14,6%). Auch der Handel mit Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien macht nach angaben des brasilianischen Entwicklungs-, Industrie- und Außenhandelsministeriums (2) insgesamt 15,1% aus. Ähnlich verhält es sich beim Export. Entsprechend sind die Proportionen für Argentinien.

Eine weitere Barriere

Eine weitere Barriere ist die unterschiedliche Struktur der Volkswirtschaften. Eine Ausnahme stellen der Import argentinischen Weizens durch Brasilien (0,9 Milliarden US-$ - 5,37% aller Importe Brasiliens) und der Export von brasilianischem Eisenerz nach Argentinien das (0,4Milliarden US-$ - 1,96% aller Exporte). Grundsätzlich von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch Exporte von in Brasilien und Argentinien hergestellten Konsum- und Investitionsgütern an die anderen Mitgliedsländer, die dafür Nahrungsmittel liefern. Doch zeigt sich das Problem der Unvereinbarkeit beispielsweise daran, was Brasilien und Argentinien untereinander austauschen: Brasilien exportiert nach Argentinien Autos und andere Fahrzeuge, Komponenten und Teile im Wert von 7,2 Milliarden US-$ und importiert zugleich Produkte ähnlicher Art im Wert von 6 Milliarden US-$ (3), wobei fast alle diese Produkte von Ablegern derselben internationalen Konzerne stammen.

Die Industrie der Mercosur-Länder wir im Wesentlichen beherrscht von großen, international tätigen Konzernen. Von diesen werden die Autos, Medikament, Haushaltsgegenstände, eigentlich fast alle Arten dort hergestellter und gehandelter Güter geliefert. Vor allem diese Konzerne sind die Nutznießer des Mercosur. Dieses Muster geht zurück bis in die frühen 1950er Jahre, als Brasilien, Argentinien und andere lateinamerikanische Länder mit einer Politik zur Beschleunigung ihrer Entwicklung begannen. (4)

Über die Frage, nach welchem Muster die Entwicklung beschleunigt werden könne, wurden wissenschaftliche und politische Debatten geführt. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (5) verwies auf die tendenzielle Verschlechterung der Lage der lateinamerikanischen Länder (der Peripherie) aufgrund ihres Handels mit dem »Zentrum« (also den industriell entwickelten Ländern), da vorherrschend Primärgüter im Tausch für Industriegüter exportiert würden, deren Wert durch die technische Entwicklung ständig steige, während landwirtschaftliche Produkte und mineralische Rohstoffe im Grund immer die Gleichen bleiben, was zu einer ständigen Abhängigkeit führe. Wissenschaftler aus dem Umfeld der erwähnten Wirtschaftskommission (6) leiteten daraus den Vorschlag ab, in den lateinamerikanischen Ländern einen autonomen nationalen Kapitalismus zu entwickeln.

Einen autonomen nationalen Kapitalismus entwickeln

Speziell für Brasilien wurde der Weg zur Beschleunigung der Entwicklung in verschiedenen Gesellschaftskreisen erörtert, wobei sich unterschiedliche Ansätze abzeichneten; einerseits ein »Verteidigungspakt« zwischen den gesellschaftlichen Klassen, also der Arbeiterklasse und »nationalen« Unternehmern, gegen ausländisches Kapital, für soziale Gerechtigkeit; (7) andererseits wurde plädiert für rasche direkte Investitionen durch ausländisches Kapital, (8) wobei auch hier die Absicht zugrunde lag, Importe industriell produzierter Güter durch einheimische Erzeugnisse zu ersetzen. Ende der 1950er Jahre verfolgte die Regierung unter Juscelino Kubitschek die letztgenannte Politik, die vorgeblich »nationale Bourgeoisie« Brasiliens begann, sich als Juniorpartner in den internationalen Kapitalismus einzufügen. Ähnliches geschah in anderen Ländern der Region.

Mit einem Maßnahmepaket wurden Unternehmen finanziert, eine Infrastruktur geschaffen, der Binnenmarkt geschützt, neues einheimisches Kapital gefördert (was auch zu solchen Projekten wie der Errichtung der neuen Hauptstadt Brasilia führte). Diese Welle der Industrialisierung mündete zu Beginn der 1960er Jahre in eine dauerhafte Industrieproduktion von Autos und anderen langlebigen Konsumgütern. Nach dem von Unternehmen und Zivilisten durchgeführten, von den USA direkt unterstützten Staatsstreich von 1964 folgten weitere Maßnahmen, um für ins Land gezogenes Kapital bessere Bedingungen zu schaffen, so die Freigabe geschützter Märkte, Beseitigung der Arbeitsplatzsicherheit und Schwächung der Arbeiterbewegung. In den Jahren von 1967 bis 1973 – unter Bedingungen äußerster politischer Repression und mit Hilfe billiger Kredite für die Konsumbedürfnisse der Mittelklasse – erlebte Brasilien ein sehr hohes Wirtschaftswachstum von bis zu 13% im Jahr – ein Prozess, der natürlich zu einer sehr ungleichen Einkommensverteilung führte und als »brasilianisches Wunder« bezeichnet wurde.

Es kam in jener Zeit zu neuen Debatten über den Entwicklungsprozess. Ruy Marini (9) nahm eine Analyse der Ergebnisse der vorigen Etappe vor und benannte die Gründe warum internationale Konzerne sich in Lateinamerika und anderen unterentwickelten Regionen niederließen. Es war die maßlose Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter – die Löhne in Lateinamerika betrugen etwa ein sechstel der Löhne am Standort der Konzernzentralen - und das Angebot eines geschützten Binnenmarkts, die Konzerne veranlassten, in ihrem Heimatland erdachte Produkte hier produzieren zu lassen, wofür überwiegend alte Maschinen und Geräte eingesetzt wurden. In jener Zeit vertrat Fernando Henrique Cardoso (10) – damals ein Gegner der Militärregierung – die Auffassung, für Länder wie Brasilien könne es keine andere Form der Entwicklung geben als die direkte wirtschaftliche Anbindung an entwickelte Länder, oder genauer gesagt: an die USA.

Mitte der 1970er Jahre

Mitte der 1970er Jahre wurde unter dem Druck ernsthafter Probleme der Zahlungsbilanz (bedingt durch drastisch erhöhte Ölpreise) ein Plan umgesetzt, mit dem Importe (vor allem von Öl und Investitionsgütern) in umfassender Weise ersetzt und – neben anderen Zielen – die Entwicklung einheimischer Technologien gefördert werden sollte. Weiteres ausländisches Kapital gelangte in Land – überwiegend in Form von Finanzierung -, und es entstanden zahlreiche staatliche Unternehmen und auch einige Investitionsgüterindustrien unter brasilianischer Leitung. Der Schiffsbau, Flugzeugbau, die Ölproduktion, chemische Schwerindustrie, Stahlerzeugung, Stromerzeugung, Bergbau und Landwirtschaft wurden besonders gefördert.

Anfang der 80er Jahre

Anfang der 80er Jahre verfügte im Ergebnis dieser Politik Brasilien über eine voll ausgebaute Industrie, die Güter jeder Art herstellen konnte. Dabei gehörte die Präsenz ausländischer Konzerne ebenso zum Bild wie die zugespitzt ungleiche Einkommensverteilung, die schon seit den 1950er Jahren bestand. Niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Inflationsraten, eine sehr hohe Auslandsverschuldung waren bezeichnend für diese Epoche.

Die Diktatur endete 1985 dank des Widerstands der sogenannten demokratischen Kreise und riesiger Demonstrationen im ganzen Land. Der 1986 gewählte Kongress wurde bevollmächtigt, eine neue Verfassung zu erarbeiten, die die meisten der auf die Straße getragenen demokratischen und sozialen Hauptforderungen aufgreifen sollte. Doch da die Kapitalisten stärker waren als die Volksbewegung und neoliberales Gedankengut die Oberhand gewann, wurden die meisten Bestimmungen dieser Verfassung nie umgesetzt und 1989 ein Präsident mit neoliberaler Ausrichtung gewählt. Nach einer kurzen Periode radikaler Reformen zur Öffnung und Deregulierung der Wirtschaft, Privatisierung wichtiger Staatsbetriebe, Entlassung tausender öffentlicher Bediensteter und ähnlichen Maßnahmen wurde dieser Präsident – er hieß Fernando Color – unter dem Vorwurf der Korruption des Amtes enthoben und durch den Vizepräsidenten ersetzt, der zwei Jahre später die Neuwahl durchführte, mit der Fernando Henrique Cardoso, unterstützt von einer Allianz konservativer Parteien, an die Macht gelangte,

Fernando Henrique regierte Brasilien zwei Amtszeiten, also acht Jahre, was die weltweite Hegemonie des Neoliberalismus bestärkte, zu der es durch den Sturz der Sowjetunion und andere Faktoren gekommen war. Das neoliberale Programm wurde voll entfaltet, alle schon vorher in diese Richtung gehenden Initiativen weiter vertieft. Ein Meilenstein war dabei die Einführung einer neuen, auf dem US-Dollar basierenden Währung, dem Real. In der Außenpolitik erfolgte eine Annäherung an die USA.

Zehn Jahre neoliberaler Politik veränderten das Gesicht der Wirtschaft Brasiliens

Zehn Jahre neoliberaler Politik veränderten das Gesicht der Wirtschaft Brasiliens im Rahmen ihrer Integration in den Weltmarkt: Deindustrialisierung in vielen Bereichen, wieder stark ansteigende Exporte von Rohstoffen und Agrarprodukten. Der Finanzsektor war danach viel stärker als am Beginn dieses Prozesses. Am Ende des eingeschlagenen Weges standen eine nicht-inflationäre Wirtschaft, stark gewachsene Handelsschulden, ernsthafte Probleme mit der Zahlungsbilanz, hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, wachsende Armut und Ungleichheit, große Unzufriedenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter und eine Stärkung der von dem ehemaligen Führer der Metallarbeitergewerkschaft, Luis Inácio da Silva geführten Arbeiterpartei (PT) und andere Linkskräfte. Ähnliche Prozesse vollzogen sich in Venezuela, Bolivien, Ecuador und in gewisser Hinsicht zu anderen Zeitpunkten auch in Chile und Argentinien ab Mitte der 1990er Jahre.

Lula wurde 2002 gewählt und stellte noch vor seiner Amtseinführung als Präsident einen Brief an die Brasilianerinnen und Brasilianer vor, mit dem er einen Kompromiss mit dem internationalen Kapital und führenden Kreisen der brasilianischen Bourgeosie, etwa aus Agrarwirtschaft und Bergbau, signalisierte. Lula nominierte den Unterstützer der Vorgängerregierung Henrique Meirelles, damals Direktor einer Privatbank, als Präsidenten der Zentralbank. Konservative Kreise aus Banken und Großgrundbesitz waren in der Regierungskoalition vertreten, die grundsätzlich neoliberale Wirtschaftspolitik wurde beibehalten, »Stabilität« als Hauptziel formuliert. Privatisierungen wurden weiter gefördert, und ein sehr hoher Anteil des Bundeshaushaltes – etwa 45% - für Zinszahlungen verwendet. Auch in Lulas zweiter Amtszeit und unter der derzeitigen Präsidentin Dilma Roussef änderte sich nichts an dieser Orientierung.

Programm umfangreicher sozialer Reformen

Gleichzeitig startete Lulas Regierung ein Programm umfangreicher sozialer Reformen mit dem Ziel, dass niemand mehr hungern muss und einer Belebung der Wirtschaft durch Verteilung eines Grundeinkommens an die Ärmsten, einer Art Sozialhilfe mit der Bezeichnung Bolsa Família (11). In seiner Amtszeit wurde dank Beibehaltung der Stabilitätspolitik und ausländischen Investitionen (neben anderen Faktoren) eine Wachstumsrate von etwa 3,3% erreicht (12) Außenpolitisch war Lula bemüht, Brasiliens Einfluss zu erhöhen, Unabhängiger aufzutreten, um ausländische Märkte für brasilianische Export- und Bauunternehmen zu gewinnen und zu halten und auch international einen höheren Status für Brasilien – die siebtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt – zu erreichen, indem er einen Sitz als ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats beanspruchte. Solche Aktionen uns sein Image als einstiger Schlosser von der Drehbank verschafften ihm eine sehr hohe Autorität.

Die außenpolitische Linie

Auch die Verstärkung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Kuba, die sofortige Unterstützung von Venezuelas Präsident Chávez in den allerersten Tagen von Lulas Amtszeit, die Unterstützung von Evo Morales, des Präsidenten Boliviens, trotz der dortigen Verstaatlichung des brasilianischen Öl-Staatskonzerns Petrobás, gleichzeitig aber auch gute Beziehungen zu den USA bis zu dem Angebot, mit Truppen in Haiti zu intervenieren, zeigen die außenpolitische Linie seiner Regierung. Die brasilianische Diplomatie agierte sehr geschickt – mit Venezuela als Partner -, um das von den USA den lateinamerikanischen Ländern vorgeschlagene Freihandelsabkommen ALCA in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Diese Strategie erklärt auch, warum die brasilianische Regierung sich mit solchem Nachdruck um solche Strukturen kümmert wie die Rio-Gruppe (13), UNASUR (14) und CELAC (15) – Ausdruck ihres Bestrebens, die Bindung der lateinamerikanischen Länder untereinander und nicht zuletzt die Rolle Brasiliens als Kandidatin für eine Führungsrolle des Kontinents zu stärken.

Argentinien, Uruguay und Paraguay

Einen gleichartigen politischen und wirtschaftlichen Kurs verfolgten Argentinien, Uruguay und Paraguay. Die argentinische Regierung unter Nestor und Cristina Kirchner haben einige der neoliberalen Maßnahmen früherer Regierungen (nach der Phase der Diktatur) zurückgenommen, insbesondere zu Fragen wie Sozialpolitik, Transportwesen, Subventionierung anderer öffentlicher Dienstleistungen, Renten, Gesundheitsversorgung, Bürgerrechte. Ein Beispiel für die hier verfolgte Politik ist das neue Gesetz über das Kommunikationswesen. Wo sich allerdings nur wenig geändert hat, ist bei der Frage tiefgreifender Veränderungen der kapitalistischen Struktur des Landes, weshalb die Regierung jetzt mit einer besorgniserregenden Krise zu kämpfen und große Probleme hat, eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu erreichen.

Uruguay hat zwar einen fortschrittlichen gewählten Präsidenten, aber eine schwache Wirtschaft mit wenig Industrie, und braucht starke Verbündete in der Region, um weiter zu kommen. Paraguay ist wohl das einzige Land im Mercosur, das den Übergang von einer Diktatur zu einer bürgerlichen Demokratie ähnlichen Formats wie in seinem Mercosur-Gegenstück noch nicht voll hinter sich gebracht hat. Die derzeitige konservative Regierung und die politische Instabilität begrenzen die Möglichkeiten dieses Landes, in dem Armut herrscht und soziale Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden.

Der Beitritt Venezuelas

Der Beitritt Venezuelas könnte die strategische Positionierung des Mercosur-Blocks auf dem Welt Markt verändern, denn er wird stärker und reicht nun bis zur Karibik. Was sich in Venezuela abspielt, kann man als dem am weitesten fortgeschrittenen Prozess ansehen, wie eine fortschrittliche Regierung mit Unterstützung der Bevölkerung soziale Reformen durchführt, auch den Kapitalismus antastet, gleichzeitig Kuba unterstützt und politische Initiativen für eine neue Art von Integration in Lateinamerika ergreift, was in dem vorgeschlagenen wirtschaftlichen und politischen Bündnis LABA (16) mündete.

Venezuela wird von einem größeren, stärkeren Mercosur zweifellos profitieren. Doch wie jede andere fortschrittliche Regierung in einem kapitalistischen Land steht auch diese vor den Grenzen einer solchen politischen Orientierung, sieht sich einer seht starken Opposition gegenüber und hat große Probleme, unter kapitalistischen Bedingungen die sozialen Reformen beizubehalten und zu vertiefen. In gewisser Hinsicht – mit wichtigen Unterschieden – stehen in Venezuela, Bolivien und Ecuador fortschrittliche Regierungen vor gleichartigen Problemen und stoßen an die Grenzen des Kapitalismus.

Der Kapitalismus ist in dieser Region tief verwurzelt und voll in den Weltmarkt integriert. Er wird sich nicht aufgrund irgendwelcher Initiativen der einheimischen Bourgeosie ändern, denn die Bourgeoisie ist eine weltweite Klasse. Für nationale Entwicklungsprozesse unter Führung einheimischer Unternehmer ist kein Raum mehr.

Brasilien und Argentinien wären die Kettenglieder einer denkbaren fortschrittlichen Entwicklung des Mercosur der zusammen mit ALADI (17) der erfolgversprechendste wirtschaftliche und politische Zusammenschluss in der Region ist. Doch können die strukturellen Grenzen einer Stärkung und Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Grundlagen des Mercosur in Richtung fortschrittliche Entwicklung nur überwunden werden, wenn die beiden genannten Länder über fortschrittliche antikapitalistische Regierungen mit starken Rückhalt in der Bevölkerung verfügen.

Solange die Volkswirtschaften Brasiliens und Argentiniens konservativ dominiert sind, werden jegliche Lösungen stets im Rahmen der weltweiten kapitalistischen Integration formuliert sein. Dafür sprechen der Vorschlag eines Handelsabkommens zwischen dem Mercosur und der EU und die zahlreichen bestehenden Freihandelsvereinbarungen lateinamerikanischer Länder im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. (18)

Ein neues Element in der Auseinandersetzung um politische Hegemonie

Ein neues Element in der Auseinandersetzung um politische Hegemonie sind allerdings die jüngsten Aufstände von Volksbewegungen in Brasilien. Ausgelöst wurden sie durch zahllose Skandale beim Bau von Stadien und Sportstätten im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschafte 2014 und der Olympischen Spiele, die 2016 in Rio de Janeiro stattfinden werden, und die Umsetzung der dabei zu erfüllenden Auflagen der FIFA, wozu auch die Verbesserung des städtischen Nahverkehrs gehört. Diese Demonstrationen hatten einen diffusen, informellen Charakter und verfolgten auch verschwommene Ziele – häufig beeinflusst von Rechtskräften -, mit dem Anspruch, sich gegen Korruption und gegen die Bundesregierung und gegen die Regierung des Bundesstaates Rio de Janeiro zu wenden, wobei eine Beteiligung politischer Parteien abgelehnt wurde und dabei sozialistische und kommunistische Parteien wie die PCB, PSOL und PSTU (19) verwechselt und in einen Topf geworfen wurden mit ebenfalls zur Linken zählenden und die Regierung unterstützenden Parteien wie die PT, PSB und PCdoB. (20). Doch thematisierten die Proteste auch solche Fragen wie unzureichend vorhandene öffentliche Krankenhäuser und Schulen, zu hohe Bus- und Bahnfahrpreise und andere soziale Forderungen.

In Frage gestellt wurde dabei der Charakter des kapitalistischen Staats mitsamt seiner obskuren, verdächtigen Verflechtung mit Wirtschaftskonzernen. Es zeichnete sich ab, dass die jetzige Regierung ihre bisher fast vollständige Hegemonie zu verlieren beginnt, die in der Arbeiterklasse ein Desinteresse an politischer Teilnahme bewirkte. Die Volksbewegung erzielte auch einige Erfolge: die Fahrpreise wurden nicht erhöht, das Stadion für Leichtathletik neben dem Maracana (dem größten Fußballstadion Rios) wurde nicht wie geplant abgerissen, und andere Beispiele. Die Studierenden, die Arbeiterinnen und Arbeiter diskutieren jetzt wieder und werden politisch aktiv. Es werden weitere Streiks vorbereitet, eine neue Welle von Demonstrationen beginnt, mehr Gewerkschaften als früher beteiligen sich daran.

Auch in Argentinien und Paraguay bewegt sich politisch wieder etwas und in jüngster Zeit fanden viele Demonstrationen gegen die derzeitige Politik und ihre Ausrichtung statt. In Venezuela hat Präsident Maduro Maßnahmen ergriffen, die bei der Bevölkerung gut ankommen. Ihm könnte es gelingen, die Herausforderungen zu bestehen und eine Volksbewegung zu Siegen über den Kapitalismus zu führen. In Uruguay werden trotz der höchst begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten in vielen Bereichen der Gesellschaft Fortschritte erzielt.

Vor diesem Hintergrund – und den Auswirkungen der Wirtschaftskrise – sind in Brasilien und seinen Mercosur-Partnerländern in naher Zukunft Veränderungen im politischen Bereich vorstellbar, die zu einer Veränderung der Innen- und Außenpolitik führen und einen neuartigen Integrationsprozess in der Region eröffnen könnten.

Übersetzung aus dem Englischen: Lothar Letsche

Anmerkungen:

1) Abkürzung von Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens). Portugiesische Bezeichnung: Mercosul, für Mercado Comun do Sul.

2) (SECEX – MDIC – Dezember, 2012).

3) (SECEX – MDIC – Dezember, 2012).

4) Die eigentliche Industrialisierung begann dort Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert.

5) spanisch: Comisión Económoca para América Latina y el Caribe, (CEPAL; englisch: Economic Commission for Latin America an the Caribbean, ELAC, eine Organisation der Vereinten Nationen

6) beispielsweise Raul Prebish aus Argentinien

7) Auch die Brasilianische Kommunistische Partei verteidigte diese Position als Ausdruck ihrer damaligen Politik, dass eine »nationaldemokratische Revolution« der richtige Weg sei.

8) Das Instituto Superior de Estudos Brasileiro ISEB (Forschungsinstitut für Brasilienstudien) spielte dabei eine wichtige Rolle, denn zu ihm gehörten Gelehrte ganz unterschiedlicher Denkrichtungen und es förderte offen geführte Diskussionen über den Entwicklungsweg.

9) Autor von Die Dialektik der Abhängigkeit (Dialéctica da dependencia) u.a.

10) Autor von Abhängigkeit und Entwicklung in Lateinamerika (Dependencia e Desenvolvimento na América Latina) u.a. Von 1995 bis 2002 Präsident Brasiliens.

11) sinngemäß: Familienförderung

12) 2008 gab es aufgrund der internationalen Wirtschaftskrise kein Wirtschaftswachstum. In den Folgejahren betrug die Wachstumsrate etwa 2%.

13) spanisch: Grupo de Río, portugiesisch: Grupo do Rio, ein bei einer Außenministerkonferenz am 18. Dezember 1986 in Rio de Janeiro gegründeter Konsultationsmechanismus lateinamerikanischer Staaten.

14) Union Südamerikanischer Nationen (spanisch: Unión de Naciones Suramericanas UNASUR, portugiesisch: Uniao das Nacoes Sul-Americanas UNASUL), internationale Organisation zwölf südamerikanischer Staaten. Der Gründungsvertrag wurde am 23. Mai 2008 in Brasilia unterzeichnet. Das Hauptsekretariat hat seinen Sitz in Quito (Ecuador).

15) Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (spanisch: Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeñon, portugiesisch: Comunidade de Estados Latino-Americanos e Caribenhos), regionaler Verband lateinamerikanischer und Karibischer Länder als Alternative zu der 1948 von den USA initiierten OAS, formell am 2. Dezember 2011 in Caracas, Venezuela gegründet, Nachfolgerin der Rio-Gruppe.

16) Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika – Handelsvertrag der Völker (spanisch: Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América – Tratado de Comercio de los Pueblos, ALBA-TCP) Das Bündnis entstand Ende 2004 als Kooperation zwischen Venezuela und Kuba, im April 2006 schloss sich Bolivien an. Es folgten: Nicaragua (März 2007), Dominica (Januar 2008), Honduras (August 2008) und im Juni 2009 Ecuador, Antigua und Barbuda und St. Vincent und die Grenadinen.

17) Lateinamerikanische Integrationsbewegung, spanisch: Asociación Latino-Americana de Integración, portugiesisch: Associacao Latino-Americana de Integracao, Organisation von 14 lateinamerikanischen Staaten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Als Nachfolgeorganisation der Lateinamerikanischen Freihandleszone LAFTA auf Basis des Vertrags von Montevideo am 12.8.1980 gegründet, in Kraft getreten am 18.3.1981. Sitz in Monteviedeo/Uruguay.

18) englisch: North American Free Trade Agreement; dazu gehören auch die USA und Kanda.

19) PCB – Brasilianische Kommunistische Partei; PSOL – Partei des Sozialismus und der Freiheit; PSTU – Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei.

20) PSB – Brasilianische Sozialistische Partei; PcdoB – Kommunistische Partei Brasiliens


Marxistische Blätter (Übersetzung: Tobias Kriele)

Marxistische Blätter, 2-2014