Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
Ein Mojito in Havanna
Wikileaks-Gründer Julian Assange im Gespräch mit kubanischen Journalisten.
Im Rahmen eines Workshops in Havanna hat sich Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange am vergangenen Donnerstag per Videoschaltung den Fragen junger Blogger und Journalisten gestellt. An seinem Hemd trug er dabei eine gelbe Schleife, die in Kuba derzeit als Zeichen der Solidarität mit den in den USA inhaftierten »Cuban Five« gilt. Der seit über 400 Tagen in der ecuadorianischen Botschaft in London ausharrende Assange verurteilte die Blockade gegen Kuba und äußerte sich außerdem zur Situation seiner Enthüllungsplattform, zu modernen Methoden der medialen Kriegführung und zum Fall des verurteilten Informanten Bradley (Chelsea) Manning.
Der Dialog war Höhepunkt eines Seminars, das der Mitherausgeber der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, Pedro Miguel Arce, und das Internationale José-Martí-Institut für Journalismus mit jungen kubanischen Internetjournalisten aus allen Teilen des Landes durchgeführt hatten. »Für einen Moment können wir die unmoralische Blockade gegen Kuba durchbrechen«, waren die ersten Worte des freundlich lächelnden, mittlerweile fast weißhaarigen Australiers, als gegen Mittag die Skype-Verbindung zwischen London und Havanna stand. Das Internet erlaube es technisch, aller Welt mitzuteilen, was man denkt und was man für die Wahrheit hält, sagte der Wikileaks-Gründer. Aber gleichzeitig werde es von einigen mächtigen Interessengruppen kontrolliert, die die Wahrheit mit allen Mitteln unterdrücken wollten. Die Weltmeinung werde so von der US-Regierung und Medienkonzernen geprägt, verwies Assange auf den nordamerikanischen Universitätsprofessor Noam Chomsky, der die Massenmedien als »Knüppel der USA« zur Durchsetzung der Weltherrschaft bezeichnet hatte. Wer sich dem entgegenstelle, solle vernichtet werden. Die Aktionen gegen Kuba seit dem Sieg der Revolution seien dafür das beste Beispiel. »Ich kämpfe seit drei Jahren gegen eine Blockade, die über meine Organisation, meine Mitarbeiter und mich verhängt wurde, doch Kuba muß sich seit über 50 Jahren gegen eine Blockade verteidigen«, sagte Assange.
Eine kubanische Journalistin sprach die von Wikileaks aufgedeckten Verbindungen der »Bloggerin« Yoani Sánchez und anderer »Dissidenten« zu US-Geheimdiensten an und erkundigte sich nach Assanges Meinung, warum diese von den großen Medien verschwiegen werden. Fälle wie der genannte seien nicht ungewöhnlich, antwortete der Australier. »Ich habe beobachtet, wie einige sich in Marionetten anderer Länder verwandelt haben und wie die USA Oppositionelle bezahlen.« Dadurch würden sie objektiv zu Agenten der USA, und es sei nicht mehr erkennbar, ob ein Blogger im Internet seine eigene Meinung vertritt oder für Geld etwas verbreitet, was seinem Auftraggeber nützt. Dadurch werde die gesamten Bloggerszene in Kuba diskreditiert.
Assange wies darauf hin, daß Bradley Manning, der Wikileaks Informationen über Kriegsverbrechen der USA im Irak zugespielt hatte und dafür zu einer drakonischen Haftstrafe verurteilt worden ist, von keiner Seite Geld erhalten habe. Sein einziges Vergehen bestehe ebenso wie im Fall von Wikileaks darin, über illegale Aktivitäten und die Verletzung internationaler Rechtsnormen zu informieren.
Der Wikileaks-Gründer versicherte seinen kubanischen Gesprächspartnern, die Arbeit der Enthüllungsplattform werde »auch unter schwersten Bedingungen« fortgesetzt. Von Kuba könnten dabei alle, die von der US-Regierung und ihren Geheimdiensten verfolgt werden, das Durchhalten lernen. Er gab sich zuversichtlich, die Botschaft Ecuadors in London eines Tages verlassen und als freier Mensch mit seinen Kollegen in Havanna einen Mojito trinken zu können.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 30.09.2013