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Havanna hilft Brasilia
400 kubanische Ärzte in Brasilien eingetroffen. 4.000 sollen es werden. Protest konservativer Standes- und Interessenverbände gegen die Kooperation.
Am Wochenende ist eine erste Gruppe von 400 kubanischen Ärzten in Brasilien eingetroffen, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung in den strukturschwachen ländlichen Regionen und den von Armut geprägten Vororten der Großstädte des Landes zu verbessern. Wie das kubanische Gesundheitsministerium am Freitag mitteilte, wird die sozialistische Karibikinsel bis Ende des Jahres insgesamt 4.000 Ärzte und medizinische Fachkräfte in das größte und mit 192 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Südamerikas schicken.
Grundlage der Unterstützungsaktion ist ein kürzlich unterzeichnetes Kooperationsabkommen zwischen Havanna und der Weltgesundheitsorganisation (OMS) sowie deren Tochter, der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS), zur Garantie der ärztlichen Grundversorgung in Brasilien. Nach Auskunft des Ministeriums unterhält Kuba derzeit in 58 Ländern Lateinamerikas, der Karibik, Afrikas, Asiens und der Pazifikregion medizinische Hilfsprogramme. Während in Kuba für 1.000 Einwohner im durchschnitt 6,7 Ärzte zur Verfügung stehen und das Land damit den Spitzenplatz einnimmt, liegt die Versorgung in Brasilien mit nur 1,8 pro 1.000 Einwohner am unteren Ende der Skala auf dem Kontinent. Nach Einschätzung des brasilianischen Gesundheitsministeriums fehlen im Land derzeit rund 50.000 Mediziner. Am Schlimmsten ist der Ärztemangel auf dem Land, in den ärmeren Stadtteilen der Großstädte und den Favelas. Die Verbesserung der Gesundheitsversorgung war deshalb auch eine zentrale Forderung der sozialen Proteste im Frühjahr und Sommer.
Als Reaktion darauf hatte Präsidentin Dilma Rousseff im vergangenen Monat angekündigt, bis Mitte September eine größere Zahl von Ärzten in die unterversorgten Regionen zu entsenden. Die Regierung stellte dazu das Programm »Mais Médicos« (Mehr Ärzte) vor, das unter anderem die Anwerbung von 10.000 Medizinern vorsah. Außer im eigenen Land hofften die Behörden auch Personal aus krisengebeutelten europäischen Ländern wie Portugal und Spanien gewinnen zu können. In der ersten Phase meldeten sich allerdings – einschließlich der ausländischen Fachkräfte – nur rund 1.600 Kandidaten für die in bezug auf Einkommen und Karriere nicht sonderlich interessanten Stellen.
In Absprache mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) griff die brasilianische Regierung daraufhin auf ein bereits im Mai vom kubanischen Außenminister Bruno Rodríguez bei einem Besuch in Brasilia unterbreitetes Hilfsangebot zurück. »Kuba ist weltweit als Land bekannt, das dazu beiträgt, die medizinische Grundversorgung in den Ländern zu verbessern, das hat es auch in Lateinamerika getan«, hatte der brasilianische Außenminister Antonio Patriota damals die Offerte des Gastes gelobt.
Unmittelbar nach Bekanntgabe der kubanischen Hilfe protestierten die konservativen Standes- und Interessenverbände der brasilianischen Mediziner gegen die Kooperation. Der Bundesäzterat CFM (Conselho Federal de Medicina) warnte vor »Pseudo-Hilfen« und nannte die Kooperation »unverantwortlich und respektlos«. Als Grund führten sie unter anderem an, dass »weder die fachliche noch sprachliche Qualifikation der Ausländer« garantiert sei. Die als Sprachrohr der rechten Exilkubanergruppen in Miami geltende Tageszeitung El Nuevo Herald zitierte am Freitag den brasilianischen Ärzteverband Fenam mit der Anschuldigung, die kubanischen Ärzte sollten in Brasilien »Sklavenarbeit« leisten.
Die Aggression der Standesärzte gegen ihre kubanischen Kollegen wirkt vor dem Hintergrund der brasilianischen Statistik besonders peinlich. Danach arbeiten nur acht Prozent der Ärzte in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern, in denen aber rund 90 Prozent der Bevölkerung leben. In einer ersten Erhebung hatten über 3.500 Kommunalverwaltungen von Städten und Landkreisen einen akuten Fehlbedarf von 15.4360 Ärzten gemeldet.
Während die konservativen Kritiker noch versuchten, Havannas Hilfsaktion madig zu machen, hatten Hunderte Vertreter sozialer Bewegungen, von Gewerkschaften, Parteien und Jugendverbänden, der Landlosenbewegung und von Kuba-Solidaritätsgruppen Sonntagnacht in der Hauptstadt Brasilia das Flugzeug der Cubana Aviación mit den ersten Ärzten an Bord erwartet und begrüßten die Mediziner mit Willkommenstransparenaten und Sprechchören. »Wir sind hergekommen, um im Rahmen des Regierungsprogramms >Mais Médicos< zu einer besseren Gesundheitsversorgung in den entlegenen Landesteilen beizutragen. Ihr könnt mit uns rechnen«, zitiert die kubanische Nachrichtenagentur ACN den Leiter der ersten Ärztegruppe, Dr. Rodolfo Garía, bei deren Ankunft in Brasilia.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 27.08.2013