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Es war einmal in Kuba

Die kubanische Systemgegnerin und umstrittene Bloggerin Yoani Sánchez im spanischen Kulturinstitut.

Yoani Sánchez musste das spanische Kulturkolleg Instituto Cervantes am Mittwoch durch den Hintereingang betreten. Vor dem Gebäude in der Berliner Rosenstraße hatten sich rund 60 Demonstranten versammelt, um gegen den Auftritt zu protestieren. Damit waren die Fronten von Beginn an geklärt. "Yoani Sánchez – made in USA", stand auf Plakaten, die vor dem Institut hochgehalten wurden. Kuba-Solidaritätsorganisationen hatten zu der Kundgebung aufgerufen, weil Sánchez, wie es auf einem Flugblatt hieß, Kontakt zur "exilkubanischen Mafia" und "rechtsextremen Politikern" unterhalte. Vor allem aus den USA werde die 37-jährige finanziell und logistisch unterstützt, kritisierten die Aktivisten.

Schon vor dem Auftritt der Bloggerin schon kam es zu hitzigen Wortgefechten zwischen ihren Gegnern und Befürwortern. "Ihr habt doch keine Ahnung, was in Kuba los ist", schrie Barbara Dröscher, eine ehemalige Vertreterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Havanna, den Demonstranten entgegen. Die Stimmung war aufgeheizt, als die kubanische Rednerin wenig später den Saal betrat.

Die Kubanerin Yoani Sánchez ist im Ausland durch ihren Blog »Generación Y« bekannt geworden. Momentan reist sie in 80 Tagen um die Welt. Im Gegensatz zu Jules Vernes Romanfigur Phileas Fogg will Sánchez keine Wette gewinnen, sondern über die »Castro-Diktatur« und die Verhältnisse auf der Karibikinsel informieren. Dass sie dabei fragwürdigen Politikern ihre Aufwartung macht, scheint sie nicht zu stören.

Berlin ist nicht die erste Station der Bloggerin. Die Philologin war in den vergangenen Wochen in den USA, Lateinamerika und europäischen Staaten zu Gast. Eingeladen wurde sie von Parteien und politischen Organisationen. Sánchez Netzwerk ist eng geknüpft. Sie sei eine "Millionärin der Freundschaften", sagt sie selbst. Tatsächlich wird ihr Blog "Generación Y" in 16 Sprachen übersetzt und weltweit beworben. Sánchez, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt in der Schweiz 2004 nach Kuba zurückkehrte und 2007 ihren Blog startete, ist eine Art Madonna der Kuba-Gegner.

Auch im Instituto Cervantes macht die kubanische Bloggerin, was sie am besten kann: Geschichten erzählen, Anekdoten preisgeben, Metaphern verwenden. Kuba sei wie eine baufällige Ruine in Havanna, die über Jahre hinweg Stürmen und Regen standhalte. Eines Tages dann wolle der Besitzer die Haustür wechseln, weil sie klemme. "Er setzt also das Werkzeug an, löst eine Schraube – und das ganze Gebäude stürzt in sich zusammen." Sie suche diese Schraube, fügt sie an.

Yoani Sánchez ist eine gekonnte Rednerin, die sich in ihrer Rolle gefällt und mit ihren Kritikern beinahe kokettiert. Während mancher Kontrahent im Saal im Laufe der Debatte die Fasson verliert, bleibt die 37-Jährige ruhig und umschifft kritische Fragen, indem sie das Thema umkehrt. Ob sie sich gegen den Terror des kubanischen Exils ausspreche? Sie spricht über Gewalt gegen Systemgegner in Kuba. Ob sie die Armenviertel in Lateinamerika kenne? Es gebe auch in Kuba Armut. Warum sie sich mit rechtsextremen in den USA und Lateinamerika getroffen habe? Sie sei ja auch mit Linken zusammengekommen. Ihre dokumentierte Aussage, unter der blutigen Diktatur von Fulgencio Batista sei Kuba freier gewesen als heute, leugnet sie. Das entsprechende Interview sei manipuliert gewesen. Auf die Schnelle kann das niemand nachprüfen, obgleich die Aussage im Internet als Audiodatei zu finden ist.

Ihrer rechtsgerichteten Position zum Trotz versucht Sánchez sich als unparteiische Beobachterin zu präsentieren. Sie schreibe "sehr hübsche Kolumnen jenseits aller Ideologie", sekundiert der Moderator und Auslandsredakteur der Berliner "tageszeitung", Bernd Pickert, während sie in der Veranstaltungsankündigung als "führende Dissidentin" beworben wird. Die Inszenierung der Regierungsgegnerin Sánchez als unabhängige, fast progressive Akteurin erinnert an die Strategie der venezolanischen Opposition, der zuletzt nicht die Chuzpe fehlte, zehn Regierungsanhänger zu ermorden, um sich zugleich als progressive Alternative zum Chavismus zu präsentieren.

Sánchez ist für ihre Kritiker kaum greifbar, weil sie keine Fakten präsentiert, sondern Anekdoten. Ein Beleg für die Überwachung der Menschen in Kuba sei eine Erzählung ihres Sohnes. Dessen Lehrerin habe die Kinder eines Tages informiert, dass einer von ihnen eine Liste über jene verwalte, die gegen Regeln verstoßen. So fühlten sich alle Schüler überwacht und misstrauten einander. Ein Beleg für die Angst der Menschen vor der Regierung in Kuba sei ein befreundeter Kubaner, der an der Veranstaltung in Berlin teilnehmen wollte, ihr aber fernblieb, weil er sonst nicht mehr nach Kuba einreisen könne. Keine der Anekdoten ist überprüfbar, einige ihrer Attacken gegen Kritiker wären in Deutschland justitiabel. Wie etwa die, dass die Demonstranten vor dem Institut nur für die kubanischen Kameras mobilisiert worden seien.

Die Debatte in Berlin hat vor allem gezeigt, dass man Sánchez’ Darstellung der kubanischen Realität Glauben schenken kann oder eben nicht. An einem Dialog, den Moderator Pickert zu Beginn forderte, hatte von den Anhängern der Bloggerin niemand Interesse. "Pfui", einer von ihnen aus der erste Reihe als kritisch Fragen kamen. Eine andere Fürsprecherin der Bloggerin rief: "Dreht ihm doch das Mikro aus", als ein Kubaner Sánchez Aussagen entgegentrat. Bei der Demonstration hatte sie von innen ein Pappschild gegen die Tür gehalten. "Danke, Gracias, Yoani", war darauf zu lesen.

Neues Deutschland
Harald Neuber

Neues Deutschland, 11.05.2013