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»Kubas Kultur ist Mischung vieler ethnischer Einflüsse«
Seit der Revolution ist die Literatur kritischer und vielfältiger geworden. Ein Gespräch mit Miguel Barnet
Miguel Barnet ist Gründer und Vorsitzender der kubanischen Schriftstellervereinigung UNEAC (Unión de Escritores y Artistas de Cuba). Er ist einer der bedeutendsten Literaten Kubas. Er wurde 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz für sein Engagement im deutsch-kubanischen Kulturaustausch geehrt.
Sie haben vergangene Woche Ihre Kollegen vom Schriftsteller- und Künstlerverband (UNEAC) mit einer Feier überrascht – Anlaß war die Veröffentlichung Ihres ersten Buches (»La piedrafina y el pavorreal«) vor 50 Jahren. Wie hat sich die kubanische Literatur in diesem Zeitraum entwickelt?
Sie war immer von revolutionären Idealen geprägt. Obwohl unser Land früher stark von ausländischen Einflüssen abhing, verfaßten José Marti und andere Autoren Schriften, die eine wichtige Rolle in unseren Befreiungskämpfen spielten. Mit der Revolution erfuhr die Literatur ab 1959 eine große Veränderung, so kommen zum Beispiel von Jahr zu Jahr mehr Kinderbücher heraus – vor der Revolution gab es überhaupt keine. Unsere Kriminalromane sind sehr anspruchsvoll und haben auch sozialkritische Ansprüche. Die Rolle der Frau verändert sich, und es gibt in Kuba eine ausgesprochen emanzipatorische feministische Literatur. Insgesamt ist die Literatur heute kritischer und hinterfragender als in den ersten Jahren nach der Revolution.
Zu Ihren bekanntesten Werken gehören die Biographie des entlaufenen Sklaven Esteban Montejo (»Der Cimarrón«, 1966) und die Lebensgeschichte eines galicischen Auswanderers (»Alle träumten von Kuba«, 1983). Sind das Schlüsselromane zum Verständnis Kubas und der Kubaner?
In gewisser Weise ja, obwohl das beim Schreiben nicht meine Absicht war. Die Thematik hat mich als Ethnologe interessiert, ich habe lange recherchiert und schließlich sind beide Bücher entstanden. Unsere Kultur ist eine Mischung vieler ethnischer Einflüsse – aus Deutschland, China, Rußland, Nordamerika und vielen anderen Ländern. Der spanische und der afrikanische Einfluß ist besonders ausgeprägt.
Die Afrikaner wurden entführt, verschleppt und versklavt. Ihre Geschichte des Leidens und der Unterdrückung bis zur Befreiung von der Sklaverei und schließlich ihre Rolle in unserer Revolution beschreibt der »Cimarrón«. Viele Spanier mußten Anfang des letzten Jahrhunderts ihre Heimat verlassen, weil es dort für sie weder Arbeit noch Überlebenschancen gab. Sie kamen nach Kuba, um zu überleben und sich eine Zukunft aufzubauen. Eine zweite große Welle floh vor der faschistischen Franco-Diktatur nach dem Bürgerkrieg. Alle diese Erfahrungen der Unterdrückung, des Widerstandes und des revolutionären Kampfes sind Teil unserer kubanischen Identität geworden.
Wie erklären Sie, daß die kubanische Literatur, das Theater, das Kino, die Musik und sportliche Erfolge im kapitalistischen Ausland große Anerkennung finden –daß die Revolution und die Souveränität Ihres Landes aber gleichzeitig in den dortigen Medien verteufelt werden?
In den sogenannten marktwirtschaftlichen Gesellschaften entfernen sich die Medien immer mehr von dem, was ihre Aufgabe wäre. Sie informieren nicht über das, was wichtig ist, sondern darüber, was hohe Auflagen und Einschaltquoten und damit gute Gewinne verspricht. Wie Medizin und Bildung sind dort auch Kultur und Medien in erster Linie ein Geschäft.
Bei uns ist das anders. Wir mögen viele Fehler haben, vieles muß auch korrigiert werden. In unseren Medien stehen jedoch die Information, die Kunst, die Literatur und die Musik im Zentrum des Interesses. Dies ist nur dank unserer Revolution und unseres sozialistischen Gesellschaftsmodells möglich, das trotz aller Probleme großen Wert darauf legt, allen Menschen die Möglichkeit zu garantieren, sich am kulturellen Leben zu beteiligen.
Von Desinformation und medialer Blockade sind nicht nur Kuba, sondern auch gewerkschaftliche und soziale Bewegungen in Europa betroffen. Was läßt sich Ihrer Meinung nach dagegen tun?
Für uns in Lateinamerika ist zum Beispiel das ALBA-Projekt TeleSur sehr wichtig. In den Ländern des Nordens ist die Informationspolitik an deren Interessen ausgerichtet, und die Medien verbreiten ausschließlich deren Sichtweise. Mit TeleSur haben wir zum ersten Mal ein weltweit wirkendes Informationsmedium geschaffen, das aus dem Süden für die Menschen im Süden mit der Sichtweise des Südens berichtet.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 19.02.2013