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Pfiffe für den Todesfahrer
Spanien: Gewerkschaftsproteste gegen Privilegien für verurteilten PP-Nachwuchspolitiker.
Die am letzten Wochenende in landesweiten Massenprotesten artikulierte Wut der spanischen Bürger über die Korruptionsskandale der regierenden Volkspartei (PP) wird durch weitere Affären angeheizt. In Madrid protestierten Ende Januar Gewerkschaften und Beschäftigte der Verwaltung des Stadtteils Moratalaz gegen die Einstellung des wegen fahrlässiger Tötung verurteilten PP-Nachwuchspolitikers Ángel Carromero Barrios zu Sonderkonditionen.
Obwohl der Ende letzten Jahres aus Kuba nach Spanien abgeschobene Jungkader, der dort wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, in Spanien noch rund dreieinhalb Jahre Reststrafe absitzen muß, hatten einflußreiche PP-Politiker seinen Freigang bewirkt und ihn zugleich auf einen lukrativen Posten in der Madrider Stadtverwaltung gehievt. Als "Berater" erhält der 27jährige dort ein Jahresgehalt von 50.474 Euro.
Am ersten Arbeitstag wurde der PP-Günstling bereits am Eingang des Verwaltungsgebäudes von Beschäftigten mit Pfiffen empfangen. Auf Transparenten kritisierten alle im Stadtrat vertretenen Gewerkschaften und Belegschaftsvertreter den "Ausverkauf der städtischen Leistungen" und forderten "mehr Qualität im öffentlichen Dienst". Auf einem anderen Transparent hieß es: "Für die Bürger brutale Kürzungen – für PP-Häftlinge Privilegien".
Wie das spanische Internetportal "vozpopuli" berichtet, hatte ein großer Teil der 350 Mitareiter einige Tage zuvor in einem Brief an Madrids Bürgermeisterin Ana Botella (ebenfalls PP) gegen die Einstellung protestiert. In dem Schreiben bezeichnen sie dies als "Diskriminierung" der übrigen Beschäftigten. Sie wiesen darauf hin, daß Carromero über keine abgeschlossene Juristenausbildung verfüge. Seine Beschäftigung und Bezahlung zu Sonderbedingungen seien schon deshalb völlig inakzeptabel. Weil gleichzeitig andere städtische Angestellte von Sozialabbau und Entlassungen betroffen seien.
Auch nach den massiven Protesten war die PP-Bürgermeisterin allerdings nicht zum Einlenken bereit und bestand auf dem hochdotierten Job für den Parteifreund. Um "weitere Spannungen" zu vermeiden, versetzte sie Carromero lediglich in ein anderes Verwaltungsgebäude, das zufälligerweise näher an der Haftanstalt liegt, in der der Delinquent von montags bis donnerstags seine Nächte verbringen muß.
Der Begünstigte ist stellvertretender Vorsitzender der PP-Jugendorganisation "Nuevas Generaciones" in Madrid. Er war am 19. Juli als "Tourist" in Havanna eingereist, hatte tatsächlich aber den Auftrag, kubanischen Systemgegnern Geld und Material für den Aufbau einer regierungsfeindlichen Jugendorganisation zu überbringen. Am 22. Juli verschuldete der – zu diesem Zeitpunkt führerscheinlose – Nachwuchsagent einen Autounfall, bei dem die kubanischen "Dissidenten" Oswaldo Payö und Herold Cepero getötet wurden.
Wie seine Förderer, der frühere Ministerpräsident José Azanar und die PP-Vorsitzende von Madrid, Esperanza Aquirre, gehört der Todesfahrer zum rechten Rand der postfraquistischen PP. Beide Politiker unterstützen als fanatische Antikommunisten ultrarechte und faschistoide Organisationen in Lateinamerika. Zu ihrem Programm gehört unter andrem die Entsendung von Agenten wie Carromero zu "Missionen" nach Kuba.
Für den ohnehin bis zum Hals im Korruptionssumpf steckenden Regierungschef Mariano Rajoy ist der Skandal um Carromero, der in der Vergangenheit öfter seine Nähe gesucht hatte, eine unappetitliche zusätzliche Belastung. Neben dem Affront gegen das souveräne Kuba, der auch von anderen Ländern als arroganter Rückfall in Kolonialherrenzeiten mißbilligt wird, heizt die Günstlingsaffäre jetzt die ohnehin steigende Wut der Spanier über Bestechungen und Vetternwirtschaft in der PP weiter an.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 05.02.2013