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Missverständnisse und Interessensüberschneidungen

Gipfel EU-CELAC für freien Handel / Kuba übernimmt CELAC-Führung

Sie hat genau gezählt: "zum vierten Mal" sei Angela Merkel bei einem EU-Lateinamerika-Gipfel gewesen. Da liegt sie richtig, wenn auch EU-LAC zu EU-CELAC geworden ist, was an der Gründung der "Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten" (CELAC) vor einem guten Jahr liegt.

Nicht ganz so genau ist die Kanzlerin – von Gastgeber Sebastián Piñera nicht weniger als die "Führerin Europas" genannt - mit den Ergebnissen des Treffens am 26. und 27. Januar in Santiago de Chile, wo sie sich aus der Abschlusserklärung das gemerkt hat, was den Journalist/inn/en mitzuteilen ihr wichtig war – dass Deutschland ein (auf Lithium und Kupfer abzielendes) Bergbauabkommen mit Chile unterzeichnet hat und dass die teilnehmenden sechzig Staaten sich "gegen Protektionismus in allen seinen Formen gewandt" hätten. Letzteres wertete sie als Erfolg der EU.

Ein erstes Missverständnis, denn eh’ und je ist der Protektionismus ein gegenseitiges Ärgernis wie auch ein Schutzbedürfnis. Hat die EU etwa davon gesprochen, dass die eigenen Agrarschutzzölle wegfallen sollen? Genauso sicher nicht wie andererseits gewiss davon, dass "Lateinamerika" – die Rede war von Brasilien und Argentinien – endlich "die Märkte" für europäische Investitionen öffnen solle. So bleibt das Votum gegen den Protektionismus erstens von beiderseitigem Interesse und zweitens rhetorisch. Denn es wird bei den unterschiedlichen Interessen, insbesondere im Agrarsektor, in der EU keinen Abbau der Zölle geben.

Anders sieht es beim Investitionsschutz aus; hier trafen wegen der unterschiedlichen Kapitalkapazitäten in der Tat unterschiedliche Interessen aufeinander. "Wir versprechen Investoren ein günstiges Klima und erkennen in jedem Fall das Recht der Staaten auf gesetzliche Regelungen an, um die nationalen Ziele in Übereinstimmung mit internationalen Verpflichtungen einhalten zu können", eine Formel, die Venezuela vergeblich entschärfen wollte. Wenn auch die Direktinvestitionen der beiden Blöcke immer noch in einem krassen Missverhältnis stehen, so ist doch für Arroganz der EU weniger Anlass als früher: neben der neuen politischen Lage in Lateinamerika und der Karibik spricht auch dessen seit Jahren höheres Bruttoinlandsprodukt (derzeit über vier Prozent in der CELAC, gegenüber unter zwei Prozent in der EU) dafür, dass die EU-Lenker ihren Konzernen die Region nicht mehr nur zum willfährigen Ausbeutungsobjekt herrichten sollten, sondern deren Investitionen im Einvernehmen mit der CELAC nutzten um die eigene Krise zu lindern. Die hohen BIP-Daten von sechs Prozent bei den andinen Pazifikbündnis-Mitgliedern Kolumbien, Peru und Chile auf deren Wirtschaftskraft und nicht etwa auf die ungezügelte extraktionistische Andenzerschredderung zurückzuführen, war ein zweites Missverständnis - hier der EU, die auf eine engere Zusammenarbeit mit dem Pazifik-Bündnis aus ist.

Kubas Außenminister Bruno Rodríguez machte am 26. Januar in "Granma" zwar wenig politischen Willen bei den Europäern aus die Ungleichheit abzubauen (er nannte Auslandsschulden, erhöhte Preise für veredelte Güter, Finanzspekulation), aber er mahnte die EU anzuerkennen, dass "Lateinamerika nicht mehr Yankee-Kolonie" ist und diesen Gipfel zu nutzen um der Eurokrise zu begegnen. Die Europäische Union ist mit 600 Milliarden US-Dollar der stärkste Investor in Lateinamerika, aber schon 2016 dürfte China vorbei ziehen.

Die Gipfelabschlusserklärung nennt den internationalen Handel als Quelle nachhaltiger Entwicklung, von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzschaffung, vor allem für die Jugend. Eine „ausgeglichene“ neue Doha-Runde solle die Liberalisierung des Welthandels vorantreiben. Die CELAC bestand – aus vielhundertfach gegebenem Anlass - auf der Anerkennung von Steuerrecht, Umweltschutz, sozialer Sicherheit und Transparenz beim Wirken internationaler Konzerne in ihrer Region.

Dennoch: man sollte nicht dem Reflex verfallen, dass "die Armen die Guten und die Reichen die Bösen" sind. Zu unterschiedlich sind die Verhältnisse innerhalb der EU, und zu unterschiedlich die Interessen zwischen den ALBA-Staaten, den Agrarexporteuren Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay und dem Pazifikbündnis (zu dem außer den drei erwähnten Staaten auch Mexiko gehört). Und von Kuba abgesehen sind bei den ALBA-Ländern natürlich auch Unternehmerinteressen im Spiel, mithin: zu unterschiedlich sind auch die Interessen der Klassen, als dass man sich undifferenziert auf eine Seite schlagen könnte.

Im Anschluss kam es zum ersten CELAC-Gipfeltreffen nach ihrer Gründung. Bis auf das wegen des Staatsstreichs sanktionierte Paraguay nahmen die 33 Mitgliedstaaten teil. Der Pro-Tempore-Vorsitz der CELAC ging von Chile für ein Jahr an Kuba. Bruno Rodríguez versicherte in dem Granma-Artikel, dass Kuba "die Basis der CELAC konsolidieren und sie in den internationalen Gremien eine einstimmige Region sein wird". Venezuelas Präsident Hugo Chávez erklärte den Gipfelteilnehmern am 28. Januar in einem von Außenminister Maduro verlesenen Brief an die Adresse der USA: "Alle Versuche Kuba zu isolieren sind gescheitert und werden scheitern!"

Unsere Zeit

Günter Pohl
Unsere Zeit, 01.02.2013