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Nachrichten aus und über Kuba


Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Gefährliche Tage am Abgrund

Geschichte: Die Raketenkrise in der Karibik im Herbst 1962. Teil I: Beginn und Verlauf

Am 4. Oktober 1962 war US-Präsident John F. Kennedy offensichtlich unzufrieden. Trotz fast zwölfmonatiger intensiver militärischer und geheimdienstlicher Vorbereitungen der »Operation Mongoose« mit dem Ziel der »Beseitigung des Kommunismus« in Kuba, die bereits mehr als 50 Millionen Dollar verschlungen hatten, schien die karibische Insel immer noch nicht reif für den geplanten Einzug der US-Soldaten in Havanna. Die elf CIA-Sabotageteams auf der Insel mit einer Stärke bis zu 250 Mann, über deren Einsatz der Chef von Mongoose, General Edward Lansdale, noch am 25. Juli dem Präsidenten stolz berichtet hatte, waren aufgerieben. Es gehe in Kuba »nicht voran«, beschwerte sich Kennedy. Anfang November standen Kongreßwahlen vor der Tür, und er erhoffte sich durch die »Lösung der Kuba-Frage« warmen Wind zugunsten der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus und im Senat.

Also forderte Justizminister Robert Kennedy am selben Tage CIA und General Lansdale im Namen seines Präsidenten-Bruders nachdrücklich auf, mehr Sabotageakte in Kuba durchzuführen. Zu den »massiven Aktionen«, so geht aus Protokollen vom Weißen Haus und der CIA hervor, sollte auch gehören, die kubanischen Häfen zu verminen sowie kubanische Soldaten zum Verhör in die USA zu verschleppen. In vielen dieser Dokumente sind noch 50 Jahre danach Namen, ganze Sätze, Absätze und sogar Seiten geschwärzt. Robert Kennedy übernahm persönlich den Vorsitz der Special Group Augmented (SGA), dem vom Präsidenten gegründeten Leitungsgremium für die Mongoose-Invasion, den bisher Generalstabschef Maxwell Taylor innehatte. Sechs Tage später verlieh der Präsident seiner Forderung erneut Nachdruck, als er den Militärs und Geheimdienstlern erklärte: »Wir müssen etwas Drastisches in Bezug auf Kuba unternehmen.«

Aggression geplant

Dieser Forderung entsprach der schon lange vorbereitete und am 12. Oktober 1962 in Kraft getretene Schlachtplan der militärischen Führung für die Kuba-Operation. Er sah die Einkreisung Kubas mit 24 bis 36 Zerstörern sowie Flugzeugträgereinheiten vor, Luftangriffe mit 450 bis 500 Flugzeugen sowie den Einsatz von Fallschirmjägern und Landungseinheiten der Marine mit zunächst 30000 Soldaten, die dann auf 180000 verstärkt werden sollten. Damit sich dieser gewaltige Aufmarsch formieren konnte, sollte ein großes US-Manöver in der Karibik den für die Invasion nötigen Nebelvorhang garantieren. Das Manöver begann am 15. Oktober mit 40 Kriegsschiffen, 20000 Seeleuten und 4000 Marines, der Invasionstruppe der USA. Es trug die Codebezeichnung PHIBRIGLEX-62, und das State Department merkte in seiner Dokumentensammlung dazu an: »Ziel der Übung war die Durchführung eines Landeangriffs. Die erklärte Absicht des Angriffs war der Sturz des angenommenen Tyrannen ›Ortsac‹ – Castro rückwärts buchstabiert.« Am selben Tag befahl die SGA »höchste Anstrengungen, (…) um das Castro-Regime loszuwerden«.

Bereits am 1. Oktober hatte das Oberkommando für die Atlantik-Streitkräfte (CINCLAND) »verstärkte Bereitschaft« der US-Militäreinheiten für Luftangriffe auf Kuba angeordnet. Am 6. Oktober wurden alle an einer Invasion beteiligten Streitkräfte ebenfalls in verstärkte Bereitschaft versetzt. Das Nationale Sicherheitsarchiv (NSA) zitiert dazu aus einem Bericht des Oberkommandos: »Mit den neuen Befehlen ist die Bereitstellung von Truppen, Flugzeugen, Schiffen und anderer Ausrüstung und Nachschub darauf gerichtet, (…) nach Luftangriffen mit einer vollen Invasion der Insel zu beginnen.« Curtis LeMay, der Generalstabschef der US-Luftwaffe, hatte als Datum für die Beendigung aller Vorbereitungen für diesen Angriff den 20. Oktober festgelegt.

Jedenfalls deutete Anfang Oktober 1962 alles darauf hin, daß die Verwirklichung des von CIA-Chef John McCone sechs Wochen zuvor, am 21. August, vorgelegten »Aktionsplans« näher rückte, in dem eine »aggressivere Aktion« mit folgendem Ziel angekündigt worden war: »Mit ausreichenden Streitkräften das Land besetzen, das Regime zerstören, die Menschen befreien.« Bereits am Vortag hatte Generalstabschef Taylor dem Präsidenten klargemacht, daß keine Chance bestehe, Castro ohne eine militärische Okkupation der USA zu überwältigen. Offenbar stand der große US-Militärschlag gegen Kuba unmittelbar bevor, genau wie es General Lansdale Anfang des Jahres als Krönung der »Operation Mongoose« geplant hatte und wie es von Präsident Kennedy genehmigt worden war. Doch dann zerplatzten vorerst alle interventionistischen Blütenträume. Am 16. Oktober, etwa 9.15 Uhr, erhielt der Präsident folgende Nachricht: Ein U2-Spionageflugzeug der CIA habe in Kuba sowjetische Mittelstreckenraketen und Abschußrampen entdeckt. Im Weißen Haus in Washington machte Justizminister Robert Kennedy seiner Wut über die durchkreuzten Invasionspläne Luft, indem er – so ist es überliefert – schimpfte: »Oh shit! Shit! Shit! Diese russischen Hurensöhne.« Die gefährlichen Tage der sogenannten Raketenkrise hatten begonnen.

Invasion oder Blockade?

Die erste Reaktion Washingtons auf die durch Spionagefotos der U2 aufgedeckte (und dann bis zum 22. Oktober geheimgehaltene) Stationierung sowjetischer Raketen war, am 16. Oktober 1962 ein neues Komitee ins Leben zu rufen: das ExComm, ein Exekutivkomitee des Nationalen Sicherheitsrates (NSC), dem ein Dutzend von Präsident Kennedy ernannte engste Berater angehörte. Es entsprach in etwa einer Notstandsregierung. Von Anfang an standen dort vier Optionen zur Debatte: 1. Die Raketenstellungen durch Luftschläge zerstören; 2. Größere Luftangriffe auf verschiedene militärische Ziele führen; 3. Die im Rahmen von Mongoose geplante Invasion unverzüglich einleiten; 4. Eine Seeblockade Kubas beginnen. Diese Optionen wurden auch in den folgenden Tagen hin und her gewendet, wobei insbesondere die führenden Militärs Luftschläge und Invasion befürworteten. Generalstabschef Maxwell Taylor sagte am 19. Oktober in einem Treffen des Vereinigten Generalstabs mit dem Präsidenten etwas, was in dieser Runde viele dachten: »Wenn sie (in Kuba) diese Raketen haben, dann können wir nie wieder über eine Invasion reden.«

Bei einem schon lange vereinbarten Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko am 18. Oktober erwähnte Kennedy die ausgespähten Raketenstellungen nicht. Gromyko versicherte aber, daß es sich bei der sowjetischen Hilfe für Kuba nur darum handele, die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu erhöhen, eine Aussage, die das Nationale Sicherheitsarchiv an der Universität Washington 40 Jahre später in zahllosen sowjetischen Geheimdokumenten über die Raketenkrise bestätigt fand.

Wegen einer angeblichen »Erkrankung der oberen Luftwege« beendete Kennedy am 20. Oktober seine Wahlkampfreisen. Im Weißen Haus wartete schon die ExComm-Runde auf ihn. Unter anderem ordnete der Präsident an, vier taktische Fliegerstaffeln für einen möglichen Luftschlag gegen Kuba zu alarmieren. Ein Mitglied des Generalstabs schlug laut Protokoll vor, auch Atomwaffen gegen Kuba einzusetzen. Doch Kennedy ging darauf nicht ein. Er stand vor der Frage, was er in einer für den 22. Oktober geplanten Fernsehansprache – drei Wochen vor den Wahlen – sagen sollte: Krieg oder Blockade? Zwei der bekanntesten Senatoren der Demokratischen Partei, William Fulbright und Richard B. Russel, lehnten die Blockade als zu weich ab und plädierten für Luftangriffe und die Besetzung Kubas durch die USA.

Dagegen hatte der UN-Botschafter und ehemalige Präsidentschaftskandidat Adlai Stevenson Kennedy bereits am 17. Oktober in einem Memorandum vor einem Krieg wegen der sowjetischen Raketen auf Kuba gewarnt und erklärt: »Wenn wir eine Raketenbasis in der Türkei und an anderen Plätzen rund um die Sowjetunion haben, dann haben sie sicherlich das Recht auf eine in Kuba.« Sein Vorschlag, nicht nur die US-Raketen aus der Türkei abzuziehen, sondern auch den Militärstützpunkt Guantánamo aufzugeben, lehnte der Präsident umgehend ab. Noch am selben Tag beschloß Kennedy, seinem Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York den ehemaligen Hochkommissar in Deutschland, John McCoy, als Aufpasser an die Seite zu setzen. Kennedy hatte kein Vertrauen mehr zu Stevenson und hielt ihn angesichts der erwarteten Verhandlungen in der UNO über die Lösung der Raketenkrise für zu schwach.

Als Generalstabschef Taylor und Luftwaffenchef Sweeney am nächsten Tag dem Präsidenten erklärten, mit Luftangriffen könnten höchstens 90 Prozent der sowjetischen Raketenstellungen zerstört werden und dafür seien mehrere hundert Bombereinsätze nötig, schien ihm diese Option zum jetzigen Zeitpunkt zu gefährlich für die USA. Die Waage neigte sich in Richtung Blockade, denn damit konnte man außerdem noch Zeit gewinnen.

Am 22. Oktober informierte Kennedy die US-Öffentlichkeit in einer 17minütigen Fernsehrede über die Entdeckung von angeblich »offensiven« Raketenstellungen auf Kuba und kündigte für den 24. Oktober eine Blockade für alle Schiffe mit vermuteten Ladungen von Raketenteilen und anderem offensiven Rüstungsmaterial an. Sie sollten beim Passieren einer von fast 30 Kriegsschiffen, darunter drei Flugzeugträger, gezogenen Linie in internationalen Gewässern vor Kuba durchsucht werden – ein gegen das See- und Völkerrecht verstoßender Akt der Piraterie. Außerdem ordnete der Präsident die Erhöhung der Alarmbereitschaft aller Truppenteile an, insbesondere auch der mehrere hundert Maschinen umfassenden Atombombenflotte sowie die Verstärkung der Militärbasis Guantánamo auf Kuba mit Marineinfanteristen.

Welche Angst Kennedy andererseits vor Provokationen aus den eigenen Reihen hatte, geht auch aus einem erstaunlichen Befehl an die Kommandanten der »Jupiter«-Atomraketenstellungen in Italien und der Türkei hervor. Sie wurden in persönlichen Botschaften aufgefordert, die Raketen entweder zu zerstören oder sie unbrauchbar zu machen, falls irgendjemand einen Feuerbefehl geben würde, der nicht von ihm, dem Präsidenten, ausdrücklich autorisiert worden sei.

Am 23. Oktober erhöhten die USA die Zahl ihrer Spionageflüge über Kuba beträchtlich und gingen neben dem verstärkten Einsatz der U2 auch zur Überwachung Kubas aus niedrig fliegenden Maschinen über. Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow protestierte in Telegrammen an Kennedy gegen die US-Blockade internationaler Gewässer, nannte sie »einen Akt der Aggression«, eine ernsthafte Bedrohung von Frieden und Sicherheit, und stellte ausdrücklich klar, daß die sowjetischen Raketen – »unabhängig von ihrer Klassifizierung« – nur der Verteidigung gegen einen Angriff der USA dienten, auf Wunsch Kubas installiert worden seien und sofort überflüssig würden, wenn die USA auf ihre Angriffspläne verzichteten und ihrerseits die auf die Sowjetunion gerichteten US-Raketen aus der Türkei abzögen.

Die von Präsident Kennedy beschlossene Schiffsblockade, die von den USA als »Quarantäne« bezeichnet wurde, begann am 24. Oktober um zehn Uhr. Ministerpräsident Chruschtschow schlug zur selben Zeit in einem Telegrammaustausch mit dem britischen Philosophen, Nobelpreisträger und Friedensaktivisten Bertrand Russel ein Gipfeltreffen mit dem Ziel vor, die Zuspitzung des Konflikts und damit einen drohenden Atomkrieg zu verhindern. Der US-Präsident erklärte gegenüber seinem Bruder, wenn er nicht die Blockade angeordnet hätte, wäre er aus dem Amt gejagt worden. UN-Generalsekretär U Thant appellierte auf Vorschlag von 40 nichtpaktgebundenen Staaten an Chruschtschow und Kennedy, »auf Maßnahmen zu verzichten, die die Situation verschärfen und das Risiko eines Krieges mit sich bringen könnten«. In Washington forderte Kennedy das Pentagon auf, für den Fall einer militärischen Auseinandersetzung die Zivilverteidigung der USA zu verstärken. Das Strategische Luftfahrtkommando (SAC) erhöhte auf Anweisung des US-Generalstabs erneut die Alarmstufe – und zwar erstmalig in ihrer Geschichte auf »DEFCON 2«, die zweithöchste Stufe der Alarmbereitschaft.

Die »Völkerfreundschaft«

Obwohl die Lage also sehr angespannt war und die Gefahr eines Krieges bestand, gab es im Notstandskabinett ExComm am folgenden Tag, dem 25. Oktober, eine ausführliche Diskussion über ein Passagierschiff der DDR, die »Völkerfreundschaft«, das sich mit 500 Touristen auf dem Weg nach Havanna der Blockadefront der Kriegsschiffe näherte. Schon die unvollständige Wiedergabe der langen und lebhaften Debatte nimmt in dem Buch »The Kennedy Tapes« über die faszinierenden Tonbandprotokolle des US-Präsidenten sechs eng beschriebene Seiten ein. Verteidigungsminister McNamara berichtete, das Schiff sei am 11. Oktober in Rostock gestartet, habe »1500 (sic!) Industriearbeiter« an Bord sowie 25 ostdeutsche Studenten und werde vom US-Zerstörer Pierce begleitet. Für McNamara ergaben sich viele Fragen, darunter: »Sollen wir es anhalten und einer Inspektion unterwerfen? Wenn es nicht anhält, sollen wir es passieren lassen, ohne es zum Halten zu zwingen, oder sollen wir es zwingen? Und wenn wir gezwungen sind, es anzuhalten, sollen wir dann feuern (…)? Wenn wir schießen, das Schiff mit 1500 Passagieren beschädigen und wir finden keine verbotene Ladung, haben wir dann nicht unsere Position geschwächt?«

Fast jeder in der Runde hatte etwas zur »Völkerfreundschaft« zu sagen. Justizminister Robert Kennedy gab zu bedenken, ein unkontrolliertes Passierenlassen des DDR-Schiffs könnte den USA als Schwäche ausgelegt werden. Einer warf die Frage auf, ob nicht Raketentechniker an Bord seien. Darauf fragte Kennedys Chefberater Ted Sorensen: »Wie kann man einen Raketen-Techniker von einem Landwirtschaftstechniker unterscheiden?« Der Präsident meinte, der einzige Grund, die »Völkerfreundschaft« zu kontrollieren, sei der, »daß wir früher oder später beweisen müssen, daß die Blockade funktioniert«. Außenminister Dean Rusk warnte, wenn die »Völkerfreundschaft« beschossen werde und dann vielleicht sogar mit 1500 Leuten sinke, »dann sind wir in einer wenig beneidenswerten Lage«. Schließlich erinnerte John F. Kennedy daran, daß für den nächsten Morgen Verhandlungen mit UN-Generalsekretär U Thant geplant seien und ordnete an: »Morgen wollen wir das Schiff nicht versenken. Ich denke, wir können es passieren lassen.« Zuvor hatte CIA-Chef McCone ärgerlich berichtet, daß der sowjetische Tanker »Bukarest«, der von der Blockade nicht betroffen war, im Hafen von Havanna bejubelt und gefeiert wurde.

Erstaunlich ist: Auch nach 50 Jahren sind zwei Zeilen vom Verteidigungsminister und fünf Zeilen der Äußerungen vom Generalstabschef und dem CIA-Chef über die Vorgehensweise gegen das DDR-Schiff – insgesamt eine Minute und 22 Sekunden Bandmitschnitt – immer noch nicht freigegeben worden. Was mögen die drei ExComm-Mitglieder damals vorgeschlagen haben? Was soll heute noch verborgen bleiben?

»Schwertschneiden«

Am Morgen des 26. Oktober erklärte der US-Präsident vor dem ExComm, die Blockade alleine werde wohl nicht zum gewünschten Erfolg, dem Abzug der sowjetischen Raketen, führen – dazu sei entweder eine Invasion nötig oder aber »ein Handel« mit der UdSSR. Damit meinte er offenbar den Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei. Nach einer langen Diskussion über Luftangriffe gegen Kuba veranlaßte Kennedy, die Zahl der illegalen Überflüge der Insel insbesondere im Niedrigflugbereich von bisher zwei auf künftig zwölf pro Tag zu erhöhen. Der Generalstab legte seinen bevorzugten Plan »Scabbards« (Schwertscheiden) vor: Massive Luftangriffe auf Kuba, die zwölf Stunden nach dem Befehl des Präsidenten beginnen könnten und sieben Tage andauern sollten, »dann würden die Truppen an Land gehen«. Im Laufe des Tages wurde die Zahl der Bombenangriffe für den ersten Tag der Invasion auf 1190 erhöht. John F. Kennedy forderte vom Außenministerium, das bereits geplante »Crashprogramm« gegen Kuba fortzusetzen mit dem Ziel, nach Invasion und Okkupation der Insel dort eine neue Regierung einzusetzen. Der Verteidigungsminister trug dann etwas zur Dämpfung der Invasionseuphorie bei, als er darauf verwies, daß laut Angaben der Militärs bis zu 18484 US-Soldaten in den ersten zehn Tagen der Invasion sterben würden. Unklar bleibt, worauf sich diese »Berechnung« stützte.

Ebenfalls am 26. Oktober kam das Problem einer US-Invasion Kubas erneut in der Sitzung des ExComm zur Sprache. John F. Kennedy verwies darauf, daß Brasilien einen Plan vorgelegt habe, »der nicht nur eine atomwaffenfreie Zone in Lateinamerika verlangt, sondern auch eine Garantie der territorialen Integrität aller lateinamerikanischen Staaten einschließt«. Laut Protokoll gab es über die brasilianische Haltung einen interessanten Wortwechsel zwischen dem Präsidenten und seinem Außenminister: »Er (Kennedy) fragte, ob wir uns verpflichten könnten, Kuba nicht zu überfallen. Minister Rusk erläuterte, daß wir verpflichtet sind, Kuba nicht zu überfallen, weil wir die UN-Charta und den Vertrag von Rio unterzeichnet haben.« Kennedy und die US-Regierung waren sich also ihres völkerrechtswidrigen Vorgehens gegen Kuba voll bewußt.

Selbst der konservative britische Premierminister Harold Macmillan, mit dem der Präsident während der Krise jeden Abend telefonierte, meldete vorsichtige Bedenken gegen die Kuba-Politik der USA an und machte Vorschläge, die Kennedy gar nicht begeisterten. In einem Telefongespräch am 26. Oktober, beschrieben in Dokument 87 der Dokumentensammlung des US-Außenministeriums, schlägt Macmillan vor, Kuba die »internationale Zusage als unantastbares Land« zu geben und setzt hinzu: »Wir alle garantieren seine Neutralität und Unverletzlichkeit«. Auf die anschließende Frage des Premiers an Kennedy: »Wäre das eine Möglichkeit?« antwortet der US-Präsident sehr zurückhaltend, er werde »darüber nachdenken«, meint dann aber eher ablehnend: »Das würde Castro an der Macht lassen.« Auch im ExComm kreiste die Diskussion an diesem Tag immer wieder um die Frage, daß ja der angestrebte Abzug der sowjetischen Raketen nicht das Hauptproblem für die USA löse, also das revolutionäre Kuba danach noch nicht verschwunden sei.

Post von Chruschtschow

In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober trafen in Washington zwei Briefe von Ministerpräsident Chruschtschow ein, ein langer sehr persönlicher an den US-Präsidenten, der von Justizminister Kennedy als »emotional« beschrieben wurde, ein zweiter, ebenfalls an Kennedy. Beide Schreiben lösten im Weißen Haus am Abend, aber dann insbesondere am nächsten Morgen, hektische Aktivität aus. Jedermann benötige Frieden, schrieb der Vorsitzende des Obersten Sowjet der UdSSR, auch Kapitalisten, »wenn sie nicht den Verstand verloren haben«. Ein Krieg sei Feind und Unglück aller Nationen, betonte er und fragte Kennedy: »Welche Vorteile hätten Sie vom Krieg?« Er versicherte erneut, daß die auf Kuba stationierten Waffen ausschließlich Verteidigungszwecken dienten und dazu gedacht seien, »den Kubanern zu helfen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es selber wünschen«. Wenn die USA verbindlich erklären würden, daß sie weder mit eigenen Truppen eine Invasion in Kuba durchführen, noch andere unterstützten, die eine Invasion planen, dann hätte sich die Anwesenheit des sowjetischen Militärs auf Kuba erledigt. Im zweiten Brief erinnerte er an die Umzingelung der UdSSR mit Militärbasen und Raketenstützpunkten und kündigte an, die sowjetischen Raketen aus Kuba abzuziehen, wenn die USA ihre Jupiter-Raketen aus der Türkei entfernen würden. Gleichzeitig schlug Chruschtschow Verhandlungen zum Abschluß eines Abkommens über den Stopp von Atomtests vor. Die bange Frage war an diesem Freitagabend: Wann und wie werden die USA auf die Vorschläge reagieren?

Der Journalist Horst Schäfer hat elf Jahre als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN in den USA gearbeitet. Er ist Autor des Buches »Im Fadenkreuz: Kuba« (Berlin 2007).

Teil II (und Schluß)

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt


junge Welt, 16.10.2012