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Nachrichten aus und über Kuba

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Tropfen auf Kubas heißen Stein

Raúl Castro fordert kritische Begleitung durch Medien.

Kubas Präsident Raúl Castro hat Kanäle der Kritik in den Medien geöffnet, doch noch immer scheint den Journalisten Vorsicht geboten.

Am 30. September 1994 hatte Raúl Castro, damals Minister der Revolutionären Streitkräfte Kubas, dem Parteiorgan »Granma« ein Interview gegeben, das wegen der selbstkritischen Offenheit großes Aufsehen erregte. Wahrheiten wie die, dass Lobhudler, Phrasendrescher, Geheimniskrämer, Lügner und Hohlköpfe in führenden Funktionen gefährlicher sind als CIA-Agenten, waren bis dahin unausgesprochen geblieben. »Wir müssen uns daran gewöhnen, uns die Wahrheit zu sagen, aufrecht, und uns dabei in die Augen sehen«, forderte Castro seinerzeit. Der heutige Präsident Raúl Castro hat es 18 Jahre später mit ähnlichen Problemen zu tun, selbst nachdem er die Kanäle der Kritik als Teil des aktualisierten Parteiprogramms geöffnet und die Medien gedrängt hat, ihn dabei »zu begleiten«. Einiges rührte sich immerhin.

Die »Granma« widmet seit gut zwei Jahren jeden Freitag zwei ganze Seiten den »Briefen an die Redaktion«, die »Juventud Rebelde« stellt ihren Lesern jeden Tag den unteren Teil einer Seite zur Verfügung, in Fernsehen und Rundfunk findet der Konsument ebenfalls Raum, seine Unzufriedenheit öffentlich zu machen. Die Redaktionen selbst recherchieren und veröffentlichen die Ergebnisse, mögen sie auch noch so sehr schmerzen. Das ist neu, aber es sind Tropfen auf den heißen Stein.

Nach wie vor scheint den kubanischen Journalisten Vorsicht geboten. Vor allem tun sie sich schwer, wenn es um Dinge geht, die aktuell sind und über die alle Welt redet. Der Blogger Esteban Morales, ehemals Mitarbeiter des Untersuchungszentrums für Angelegenheiten der USA, ist Mitglied des kubanischen Künstlerverbandes. Wegen seiner Offenherzigkeit hatte er die Arbeitsstelle und sein Parteibuch verloren. Er nahm das nicht hin und intervenierte bei Raúl Castro, der ihm beistand, so dass die Sanktionen rückgängig gemacht wurden. Morales beschäftigte sich kürzlich mit »einigen« Herausforderungen für die kubanische Presse. Sie sei langweilig, fade, schematisch, geheimniskrämerisch, sie sei »kein wirksames Instrument der Kritik, keine Stütze bei der Perfektionierung unserer Wirtschaft und beim Wandel unserer Mentalität, wie es die Führung unseres Landes wünscht«, schrieb er. Mit einer solchen Presse seien die bevorstehenden Auseinandersetzungen von vornherein verloren, denn die Bevölkerung sei es leid, Zeitungen zu lesen, die nicht die Wirklichkeit widerspiegeln. Dieser Zustand erzeuge Misstrauen, so dass sich der Bürger nach alternativen Informationsquellen umsieht, die sich immer reichlicher anbieten.

Morales meint, die Presse müsse realistischer werden, demokratischer, müsse die Selbstzensur, die Besserwisserei, die Rechtfertigungsmanie und den alten anachronistischen Diskurs verbannen. In seinem Artikel sprach er den kubanischen Journalistenverband an, der demnächst seinen Kongress abhalten wird.

Neues Deutschalnd

Burghardt, Havanna
Neues Deutschland, 08.10.2012