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»Hilfe nicht der Hilfe wegen«
Im November treffen sich Europas Kuba-Solidaritätsgruppen in Berlin. Ziel ist eine gemeinsame Strategie. Ein Gespräch mit Roberto Rodríguez
Roberto Rodríguez ist Spezialist für Mitteleuropa im Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) und betreut in dieser Funktion die Solidaritätsbewegung mit Kuba.
Viele Gruppen, die heute Solidaritätsarbeit mit Kuba leisten, entstanden spontan in den 90er Jahren, um Kuba in der besonders kritischen Phase nach dem weitgehenden Verschwinden der sozialistischen Staaten zu unterstützen. Wie entwickelt sich die Arbeit dieser Gruppen heute, in einer deutlich veränderten Situation?
Die Solidaritätsbewegung hat Kuba seit dem Sieg der Revolution begleitet. Eine besonders starke Phase gab es in den 60er Jahren, als die Invasion in der Schweinebucht weltweit für Empörung sorgte. In einer ersten Phase ging es unmittelbar nach dem Sieg der Revolution darum, die Umgestaltung unseres Landes zu unterstützen. Viele Freunde mit einer Fachausbildung boten sich an, nach Kuba zu kommen und ihre Erfahrungen einzubringen. Kuba hatte damals keine Fachleute. Dann begann in den 90er Jahren die zweite Phase, in der die bis dahin sehr stark links geprägte, von den linken und kommunistischen Parteien getragene Solidarität breiter und heterogener wurde. Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Europa, der Verlust von 85 Prozent des Außenhandels, die Verschärfung der Blockade gegen Kuba – auch durch einige Aktionen der Europäer – hat die Solidarität verstärkt und mehr Gruppen motiviert, sich für Kuba zu engagieren. Einige Organisationen gab es schon, andere entstanden neu und entwickelten humanitäre Hilfe oder Solidarität mit unserem Land. Dadurch wurde die Solidaritätsbewegung breiter, es traten neue politische Kräfte auf den Plan, zum Beispiel Umweltschützer, Berufsvereinigungen, Gewerkschaften. Wir haben zwar immer gesagt, daß diese Hilfe vor allem symbolisch ist, denn sie wird nie vollständig die Schäden der Blockade beheben können, aber tatsächlich hatten die Lebensmittel- und Medikamentenspenden oder die Arbeitsbrigaden eine große Bedeutung etwa für die Gesundheitsversorgung. Heute hat sich die Solidarität diversifiziert und professionalisiert, aber sie steht immer an der Seite der Revolution. In Europa gibt es inzwischen 856 Organisationen in 45 Ländern, die Solidaritätsarbeit für Kuba leisten. Weltweit sind es mehr als 2120 Organisationen in 156 Ländern. Die Tendenz ist steigend. Einige Organisationen verschwinden, einige ändern sich, andere entstehen neu.
Die europäischen Solidaritätsgruppen kommen im November in Berlin zu einem Treffen zusammen. Welche Bedeutung hat das für Kuba?
Es haben bislang mehr als 60 Freunde aus 25 Ländern ihre Teilnahme zugesagt, aber die Zahl wird noch steigen. Unsere deutschen Freunde hoffen auf mehr als 100 Teilnehmer. Diese europäischen Treffen sind in der Vergangenheit oft zu Bestandsaufnahmen der Solidarität geworden. Sie endeten mit gemeinsamen Erklärungen und Bilanzen, aber aus ihnen ergab sich keine Dynamik für eine gesamteuropäische gemeinsame Arbeit. Das diesjährige Treffen soll insbesondere einen konkreten Aktionsplan zur Solidarität mit Kuba auf europäischer Ebene erarbeiten. Es geht um Aktionen und nicht um Reden. Die Diskussionen sollen sich um drei thematische Achsen drehen: die Blockade Kubas durch die Europäische Union, die Solidarität mit unseren fünf in den USA festgehaltenen Helden und die Frage der Medienpolitik, der Kampagnen gegen Kuba und unsere Antworten darauf. Daraus soll eine Strategie für die kommenden Jahre entwickelt werden.
Die unmittelbar materielle Hilfe wie in den 90er Jahren ist für Kuba heute nicht von so großer Bedeutung. Auf welche Solidarität setzen Sie?
Die Unterstützung, die Kuba am meisten braucht, ist immer politische Solidarität, die uneingeschränkte und bedingungslose Bereitschaft, die Revolution zu verteidigen. Die Bedeutung dieser Solidarität ist, daß die Kubaner die Unterstützung erleben und sehen, daß sie nicht allein sind. Materiell kann die Solidarität vieles erleichtern, vieles lindern, aber sie kann die Probleme nicht lösen, die die Blockade für Kuba schafft. Die materielle Solidarität ist deshalb eine Ergänzung der politischen Solidarität und der Begegnung unserer Völker. Für Kuba ist heute die Kooperation wichtiger, als Spenden zu bekommen. Die Prioritäten Kubas haben sich geändert, zumal sich ja auch das politische Antlitz Lateinamerikas geändert hat. Bei der materiellen Solidarität ist uns wichtig, daß diese von den Unterstützern bewußt geleistet wird, um die Blockade und die exterritorialen Gesetze der USA zu durchbrechen. Es geht nicht um Hilfe der Hilfe wegen.
Veröffentlichung |
Interview: André Scheer
junge Welt, 06.08.2012