Nachrichten aus und über Kuba
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Unreif für die Insel
Für die auf etwa zehn Prozent der kubanischen Bevölkerung geschätzten Katholiken ist es ein wichtiges Ereignis in ihrem religiösen Leben. Die meisten anderen ihrer Landsleute dürften sich vor allem über den freien Tag bei vollem Lohnausgleich freuen, den ihnen die Regierung verordnet hat. Am heutigen Montag trifft Joseph Ratzinger in seiner Funktion als Papst Benedikt XVI. in Kuba ein – und hat damit den Zorn der Antikommunisten in Miami und anderswo erregt. So wettert Eleonora Bruzual bei dem spanischsprachigen US-Rundfunksender Radio Mambí gegen den Papst und seine Kardinäle, die zu »Verbündeten der Favoriten des Teufels« geworden seien, weil sie sich mit »Tyrannen treffen, die Katholiken ermorden, verfolgen, verleumden«. Gemeint sind der kubanische Präsident Raúl Castro sowie sein Bruder und Amtsvorgänger Fidel. Über den gleichen Sender, der zum größten spanischsprachigen US-Rundfunknetz Univisión gehört, wird eifrig für einen Schiffskonvoi geworben, der unter dem Motto »Lichter der Freiheit« am Dienstag vor der kubanischen Küste kreuzen und mit Scheinwerfern in den Himmeln leuchten soll – zeitgleich zu der um neun Uhr beginnenden Messe des Papstes auf der Plaza de la Revcolución in Havanna. Angehörige der »inneren Opposition« auf der Insel werden aufgerufen, gleichzeitig mit Kerzen auf den Malecón, die Küstenpromenade der kubanischen Hauptstadt, zu kommen. Auch in Kuba scheint zu dieser Tageszeit normalerweise die Sonne.
In der Tageszeitung Granma kommentierte Anneris Ivette Leyva bereits in der vergangenen Woche, die Herrschaften in Miami hätten sich offenbar noch keine Gedanken gemacht, daß sie auf diese Weise ihr Geld verschleudern, während sich für sie niemand interessiere, »weil das Volk Kubas und seine religiöse Gemeinde vollauf damit beschäftigt sind, Benedikt XVI. willkommen zu heißen«.
Havanna läßt sich die Stimmung auch von jüngsten Äußerungen des Kirchenoberhaupts nicht kaputtmachen, wonach es »augenscheinlich« sei, »daß die marxistische Ideologie im heutigen Kuba nicht länger der Realität« entspreche. »Wir respektieren alle Meinungen und halten den Austausch von Gedanken für nützlich«, antwortete Kubas Außenminister Bruno Rodríguez bei einer Pressekonferenz am Freitag, die am Wochenende in vollem Wortlaut auf der Titelseite der Granma veröffentlicht wurde. Volle Übereinstimmung äußerte Rodríguez dabei auch mit der Forderung des Papstes nach »Gewissensfreiheit«. Freiheit gehöre zu den »höchsten Werten unserer Kultur und unseres Volkes« und sei einer der wichtigsten Bestandteile des gesellschaftlichen Projekts auf der Insel: »Seit dem Beginn der Herausbildung der kubanischen Nation bis heute haben wir für ein freies Kuba gekämpft.«
Mit Protesten wurde der Papst am Wochenende in Mexiko empfangen. Mißbrauchsopfer warfen Ratzinger vor, in seiner Zeit als Chef der Glaubenskongregation die Aufklärung der Verbrechen behindert zu haben. Andere warfen Staatschef Felipe Calderón vor, die Visite als Wahlkampf für seine konservative PAN zu mißbrauchen. Das Interesse der Mexikaner blieb indes offenbar hinter den Erwartungen zurück. »Ratzinger schaffte es in León nicht, die erwartete Menge zu mobilisieren«, titelte die linke Tageszeitung La Jornada, nachdem zur Messe dort statt der erhofften 1,5 Millionen »Pilger« »nur« 600000 Menschen gekommen waren.
Veröffentlichung |
André Scheer
junge Welt, 26.03.2012