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»Korruption ist ein Verbrechen«
Veränderungsprozeß in Kuba soll Aufbau des Sozialismus sichern. Solidarität gegen die Blockade durch die USA bleibt wichtig. Ein Gespräch mit Elio Gámez.
Elio Gámez ist Erster Vizepräsident des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) in Havanna
In Kuba vollziehen sich derzeit zahlreiche Veränderungen. Viele fürchten allerdings, daß die Maßnahmen im Wirtschafts- und Sozialbereich zu einer Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen führen können...
Der Prozeß der Modernisierung hat das Ziel, unsere Wirtschaft zu retten und zu stärken, um den Aufbau des Sozialismus fortsetzen zu können. Dazu gehört die Überwindung der negativen Begleiterscheinungen, die sich auf diesem Weg zeigen. Es gibt für unsere derzeitige Situation kein Beispiel, und wir denken, daß für den Sozialismus auch kein Rezept existiert. Wir können natürlich auf Erfahrungen in anderen Ländern der Welt zurückgreifen, etwa aus China oder Vietnam, aber unsere Bedingungen unterscheiden sich doch sehr von deren. Wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, daß wir in einem gewissen geographischen Schicksal gefangen sind, 90 Meilen entfernt von der gegenwärtigen imperialen Hauptmacht des Planeten, die praktisch einen nicht erklärten Krieg gegen uns führt.
Die Blockade hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Um in dieser Situation unsere Wirtschaft zu stärken, geht es zunächst darum, die Arbeitskraft neu zu verteilen.
Was heißt das konkret?
Zum Beispiel hat die Revolution den Bauern, die bis dahin zumeist Analphabeten waren, Bildung gebracht. Die Kinder dieser Bauern haben die Universitäten besucht und sind Ingenieure oder Ärzte geworden. Und so sind viele von ihnen in die Städte gegangen, um ihren Beruf auszuüben. Dadurch wurden die ländlichen Regionen etwas vernachlässigt. Jetzt geht es darum, die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land zu verbessern, um die Jugend wieder für eine Tätigkeit dort gewinnen zu können. Die bessere Bewirtschaftung von Grund und Boden ist eine unserer Hauptaufgaben, denn derzeit muß die Regierung ein Großteil der Finanzen für Lebensmittelimporte ausgeben.
In einigen Bereichen haben wir bislang zu viele Beschäftigte, während sie in anderen fehlen, und so haben wir begonnen, diese Arbeitskräfte neu zu verteilen. Dabei wird niemand auf die Straße geworfen, der Staat sorgt weiter für den Schutz der Menschen, aber auf der Grundlage anderer Konzepte. So sollen künftig nicht mehr Produkte subventioniert werden, sondern der einzelne Hilfen bekommen. Es geht um eine Veränderung von Strukturen, die zu ihrer Zeit ihre Berechtigung hatten. Aber wenn sich die Bedingungen ändern, müssen sich auch die Strukturen ändern. Wir verheimlichen nicht, daß unsere Gesellschaft keineswegs perfekt ist, und daß auch nicht alle unsere Probleme Folge der Blockade sind. Wir stehen vor der Herausforderung, daß in unserem Land mehr und disziplinierter gearbeitet werden muß, ohne der Ausbeutung des Kapitalismus zu verfallen.
All diese Maßnahmen erfordern aber eine genaue Planung und Steuerung durch den Staat, damit die Menschen auf der einen Seite gut leben können, wir aber nicht auf der anderen Seite eine Schicht von Millionären bekommen. Es gilt, das Gleichgewicht zu bewahren und das Entstehen einer neuen Klasse zu verhindern, die unser System in Gefahr bringen könnte. Wir wollen nicht zum Kapitalismus zurückkehren. Denn wenn wir das täten, dann hätten wir hier einen neoliberalen Kapitalismus der dritten Kategorie, wie er für die Staaten Lateinamerikas und der Karibik entworfen wurde. Wir sind nicht bereit, all diejenigen zu verraten, die ihr Leben für diesen revolutionären Prozeß gegeben haben.
Wie ist Ihr Institut, das ICAP, von den anstehenden Veränderungen betroffen?
Das Kubanische Institut für Völkerfreundschaft ist eine Einrichtung zur Unterstützung der Partei und der Revolution, die es seit den ersten Jahren nach dem Sieg über die Diktatur gibt. Unsere Aufgabe ist es, alle Solidarität, die weltweit mit Kuba geübt wird, zu kanalisieren. Diese Ziele bleiben unverändert, die Solidaritätsbewegung bleibt eine Priorität, vor allem im Kampf gegen die Blockade und gegen die Lügen und Verzerrungen in den großen Medien über unser Land. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Wahrheit über Kuba, gegen die Medienkampagnen, die vor allem in Europa in den letzten Jahren gegen uns entfesselt wurden. Als ICAP sind wir für diese Solidaritätsbewegungen der Bezugspunkt, der Ansprechpartner. Wir bemühen uns um eine gewisse Koordination. Ich spreche von derzeit 2116 Organisationen in 151 Ländern, die uns unterstützen. Wir wissen von 334 Komitees für die Befreiung der fünf in den USA gefangengehaltenen Compañeros in 113 Ländern. Es ist also eine ziemlich große, stabile und weiter wachsende Bewegung.
In seiner Ansprache vor der Parteikonferenz Ende Januar hat Raúl Castro zum Kampf gegen die Korruption aufgerufen, das sei eine der Hauptaufgaben in Kuba. Welche Rolle spielt dieses Problem in Ihrem Land?
Ich denke, daß dieses Problem nicht generalisiert werden kann, und auch nicht solche Ausmaße hat, wie wir es in der Vergangenheit in einigen Ländern unseres Amerikas sehen mußten. Aber es hat tatsächlich Kader in der Wirtschaft gegeben, die in Korruption verwickelt waren und denen auf der Grundlage der geltenden Gesetze der Prozeß gemacht wurde. Die Bevölkerung akzeptiert sehr wohl, daß niemand unfehlbar ist. Ein Minister oder Manager darf Fehler machen, kann sich irren, aber niemals darf er seine Hand nach Schmiergeld ausstrecken. Wenn jemand in Korruption verwickelt ist, wird er nach dem Gesetz bestraft, egal, welche Funktion er bekleidet. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, die sich einer so feindseligen Macht wie den USA gegenübersieht, müssen die führenden Persönlichkeiten große Verantwortung an den Tag legen.
Deshalb hat Raúl Castro gesagt, daß Korruption heute ebenso ein Verbrechen ist wie ein konterrevolutionärer Anschlag. Das gilt für jemanden, der mit Waren auf dem Schwarzmarkt spekuliert, ebenso wie für einen Minister, der sich für Geschäfte »Vermittlungsgebühren« bezahlen läßt.
Die internationalen Massenmedien widmen sich derzeit ausführlich den »politischen Gefangenen« und deren Hungerstreiks. Wie ist das einzuschätzen?
In Kuba gibt es keine politischen Gefangenen. Bei uns kommt niemand ins Gefängnis, weil er irgendwas denkt oder sich irgendwie äußert, sondern nur der, der ein Vergehen begeht, das im kubanischen Strafgesetzbuch aufgeführt ist, und der von den ordentlichen Gerichten entsprechend verurteilt wurde. Allerdings präsentiert die große internationale Presse oft gewöhnliche Häftlinge als angebliche politische Gefangene.
Es gibt einen kleinen Teil unserer Bevölkerung, der in die USA emigrieren möchte. Diesen Leuten wird es von Washington sehr schwer gemacht, ein Visum zu bekommen. Wenn du aber mit einem Boot oder einem Autoreifen das Meer auf dem Weg nach Florida überwindest, wirst du in den USA wie ein Held gefeiert und hast ein Recht auf Aufenthalt, auf den Erwerb der nordamerikanischen Staatsangehörigkeit, auf Arbeit. Jedoch nur, wenn du Kubaner bist, für Angehörige anderer Nationalitäten gilt das nicht. Aber für Kubaner ist das der eine Weg, in die USA zu gelangen. Der andere Weg ist, ein Einreisevisum für die USA zu beantragen. Aber wer das in der hiesigen US-Interessenvertretung tut, von dem wird oft ein Lebenslauf gefordert, an welchen konterrevolutionären Aktivitäten er beteiligt war. Besonders gut macht sich ein Gefängnisaufenthalt. Und so begehen manche ein gewöhnliches Delikt, werden dafür zu einer Haftstrafe verurteilt und versuchen sich dann als Teil einer Opposition zu präsentieren. Tatsächlich gibt es aber ansonsten nur künstliche, von der US-Interessenvertretung selbst geschaffene Oppositionsgruppen, Söldner, die dafür bezahlt werden, konterrevolutionäre Aktivitäten durchzuführen.
Veröffentlichung |
Interview: André Scheer
junge Welt, 09.02.2012