Nachrichten aus und über Kuba
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35 Jahre ungesühnt
In den USA sind in diesem Jahr bislang 37 Menschen hingerichtet worden, zuletzt in der vergangenen Woche der aus Kuba stammende Manuel Valle. Ein Landsmann von ihm hat hingegen nichts zu befürchten, obwohl er für den Tod von 73 Menschen verantwortlich ist, die am 6. Oktober 1976 bei einem Bombenanschlag auf eine Verkehrsmaschine der kubanischen Fluggesellschaft Cubana getötet wurden. Dieses Verbrechen jährt sich am heutigen Donnerstag zum 35. Mal – doch Luis Posada Carriles, der gegenüber Zeugen seine Beteiligung an dem Anschlag eingeräumt hat, lebt noch immer in den USA auf freiem Fuß. Eine von Venezuela beantragte Auslieferung wird von den US-Behörden verweigert. Sein Mittäter Orlando Bosch starb im April als freier Mann in Miami.
An jenem 6. Oktober 1976 hatte Flug CU-455 gerade erst den internationalen Flughafen auf Barbados mit Ziel Jamaika verlassen, als sich der Kapitän der Maschine, Wilfredo Pérez, mit einem dramatischen Hilferuf per Funk beim Tower in Barbados meldete: »Wir haben eine Explosion an Bord!« Kurz darauf detonierte ein zweiter Sprengsatz. Das letzte, was die Funker in Barbados hörten, war der verzweifelte Ruf des Kopiloten: »Es wird schlimmer! Bleib über dem Wasser!« Es gab keine Überlebenden, 57 Kubaner, elf Guayaner und fünf Nordkoreaner verloren bei dem Anschlag ihr Leben.
Wenige Stunden nach dem Attentat wurden in Trinidad und Tobago die beiden Venezolaner Freddy Lugo und Hernán Ricardo Lozano festgenommen. Die beiden Männer gestanden die Tat und sagten aus, im Auftrag von Luis Posada Carriles und Orlando Bosch gehandelt zu haben, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls die venezolanische Staatsangehörigkeit besaßen und für die dortige Geheimpolizei DISIP arbeiteten. Beide wurden daraufhin in Caracas festgenommen. Wenige Tage später kamen Behördenvertreter der von dem Verbrechen betroffenen Länder überein, den vier Verdächtigen wegen ihrer Staatsangehörigkeit in Venezuela den Prozeß zu machen. Lugo und Lozano wurden dabei zu jeweils 20 Jahren Haft verurteilt. Bosch wurde unter anderem mit der bemerkenswerten Begründung freigesprochen, die Behörden von Barbados hätten es versäumt, die ihnen vorliegenden Dokumente nicht nur im englischsprachigen Original, sondern auch in spanischer Übersetzung einzureichen. Posada Carriles schließlich gelang 1985, vor dem Abschluß des Prozesses, die Flucht aus der Haft – offenbar mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA, für den er zumindest in den 60er Jahren gearbeitet hatte. Heute lebt er unbehelligt in Miami. Ein Prozeß wegen illegaler Einreise endete im April in El Paso mit Freispruch – das Attentat von Barbados und andere Anschläge, die Posada zur Last gelegt werden, waren nicht Gegenstand des Verfahrens.
Das Netzwerk Cuba, der Zusammenschluß von Kuba-Solidaritätsgruppen in Deutschland, kritisiert deshalb, die USA unterschieden zwischen »guten und schlechten Terroristen«. Während Posada nicht nur frei sei, sondern sogar mehrere hunderttausend US-Dollar aus Regierungsmitteln erhalten habe, werden fünf Kubaner (»Miami Five«) seit über 13 Jahren in Haft gehalten, die rechtsextreme Terrorgruppen in den USA unterwandert hatten, um weitere Anschläge gegen Kuba zu verhindern. Einer von ihnen, René González, wird am Freitag aus der Haft entlassen, darf die USA in den kommenden drei Jahren jedoch nicht verlassen. »Zugleich sind die terroristischen Gruppen weiter frei und bedrohen ihn«, warnt das Solidaritätsbündnis. Das sei der Höhepunkt der US-Doppelmoral in Sachen Terrorbekämpfung.
Veröffentlichung |
André Scheer
junge Welt, 06.10.2011