Nachrichten aus und über Kuba
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Mit SS-Mörder gegen Kuba
Am Sonntag berichteten bild.de und Spiegel, der frühere SS-Standartenführer Walter Rauff (1906–1984) und Erfinder der Vergasungswagen, mit denen das faschistische Deutschland Zehntausende Juden seit 1941 ermordet hatte, sei von 1958 bis 1962 Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen. Die Tatsache war seit langem bekannt. Jetzt hieß es, der BND habe bislang streng geheime Akten zu Rauff im Umfang von 900 Seiten freigegeben. Am Dienstag veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Faksimile ein BND-Dokument, das die Einbindung eines SS-Massenmörders in die Spionage des BND gegen lateinamerikanische Staaten, darunter Kuba, belegt (siehe Seite 8). Am selben Tag wurde die Weltpresse aufmerksam. Der britische Independent wies darauf hin, daß die jetzige Enthüllung der BND-Behauptung vom Juli folgt, er habe eine 500-Seiten-Akte zum Kriegsverbrecher und Rauff-Freund Alois Brunner »verloren«.
Das von der FAZ im Faksimile veröffentlichte Papier enthält einen Reiseplan für den »lieben Kollegen«, den der Historiker Jost Dülffer, Mitglied der Anfang 2011 eingesetzten Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte zwischen 1945 und 1968, im ganzseitigen Begleittext auf den 2. Juni 1960 datiert. Demnach sollte Rauff ein Spionagenetz in Südamerika aufbauen und zu diesem Zweck verschiedene Länder des Kontinents bereisen, u. a. von Venezuela nach Kuba. Dort gehe es um die »innerpolitische Lage« und »die zunehmende Sowjetisierung des Castro-Regimes«. Rauff erhielt allerdings kein Visum für Havanna. Er habe gemutmaßt, »daß dort die Vertreter der ›SBZ‹ zu sehr auf jeden neuen Deutschen aufpaßten«. Kuba müsse »am besten ein Lateinamerikaner machen«.
Dülffer schildert, wie Rauff von anderen früheren SS-Offizieren an den BND empfohlen wurde und zitiert eine Charakteristik des Geheimdienstes, wonach er »ohne Zweifel auch heute noch voller innerer und äußerer Einsatzbereitschaft« sei. Der mit Vatikan-Hilfe 1946 aus Italien entkommene Kriegsverbrecher war demnach in den 50er und 60er Jahren in Südamerika für Mercedes Benz, Opel, Bayer und weitere deutsche Firmen tätig. Der BND schulte ihn mindestens zweimal in der Bundesrepublik, obwohl gegen ihn seit dem 13. März 1961 ein Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover wegen des Mordes an 97000 Juden vorlag, der in Pullach vorab bekannt war. Rauff äußerte sich freimütig über seine Verbrechen gegenüber der westdeutschen Justiz bei einer Zeugenaussage in der BRD-Botschaft in Santiago de Chile 1972: »Ob ich damals Bedenken gegen den Einsatz der Gaswagen hatte, kann ich nicht sagen. Für mich stand damals im Vordergrund, daß die Erschießungen für die Männer, die damit befaßt wurden, eine erhebliche Belastung darstellten und daß diese Belastung durch den Einsatz der Gaswagen entfiel.«
Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan Korte, hatte bereits am Sonntag das Verhalten des BND unter der Regierung Adenauer als »kriminell« bezeichnet. Bemerkenswert erscheint ein Schlagabtausch zwischen Außenminister Guido Westerwelle und der Vorsitzenden der Partei Die Linke, Gesine Lötzsch, am 7. September im Bundestag. Der FDP-Politiker hatte nach einer Rede über »Konstanten der deutschen Außenpolitik« in Richtung Linke erklärt: »Wer an Fidel Castro Liebesbriefe schreibt, soll uns in der Außenpolitik nichts, aber auch gar nichts erzählen.« Eine Konstante ist demnach: Wer 1960 SS-Massenmörder Richtung Havanna in Marsch setzte, hält 2011 an der dahinterstehenden Politik fest.
Veröffentlichung |
Arnold Schölzel
junge Welt, 28.09.2011