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Klartext in Havanna

Mit einer Militärparade und einer Großdemonstration auf der Plaza de la Revolución im Zentrum von Havanna haben am Samstag Hunderttausende Menschen an den 50. Jahrestag des kubanischen Sieges in der Schweinebucht und an die Proklamation des sozialistischen Charakters der Revolution durch Fidel Castro am 16. April 1961 erinnert. Unter den zahlreichen internationalen Ehrengästen, die die Veranstaltung von einer Tribüne aus verfolgten, waren auch die früheren DDR-Minister Margot Honecker und Heinz Keßler. Der Demonstrationszug war zugleich der Auftakt für den VI. Parteitag der kubanischen Kommunisten, der am Samstag abend (Ortszeit) von Präsident Raúl Castro mit einer mehrstündigen Rede eröffnet wurde.

Castro nutzte seinen Rechenschaftsbericht zu einem Rundumschlag. Diesem Parteitag dürfe nicht dasselbe Schicksal wie den bisherigen beschieden sein, deren Beschlüsse »fast alle vergessen und nicht umgesetzt« worden seien, warnte er. Castro räumte ein, daß die Partei auf allen Ebenen, einschließlich ihrer Spitze, verjüngt werden müsse. Allerdings verfüge die Partei trotz unternommener Anstrengungen derzeit nicht über eine »Reserve ausreichend vorbereiteter und erfahrener« Kader, die die »Aufgaben in Partei, Staat und Regierung« übernehmen könnten. Dieses Problem müsse in den kommenden fünf Jahren gelöst werden. Künftig solle die Ausübung wichtiger Partei- und Staatsfunktionen auf maximal zwei fünfjährige Amtszeiten beschränkt werden. Ende Januar 2012 soll eine Nationale Parteikonferenz über die Reform der Parteistrukturen entscheiden.

International hob Castro die Rebellion der arabischen Volksbewegungen gegen »mit den USA und der EU verbündete korrupte und repressive Regierungen« hervor und griff die NATO an, die Libyen einer brutalen Militärintervention unterworfen habe. »Der Imperialismus destabilisiert andere Länder, während Israel das palästinensische Volk vollkommen straffrei unterdrückt und massakriert«, so der kubanische Präsident.

Im Mittelpunkt des Parteitages steht jedoch die Wirtschaftspolitik. Das »übermäßig zentralisierte Modell«, das derzeit die kubanische Ökonomie kennzeichne, müsse »geordnet, diszipliniert und unter Beteiligung der Arbeiter« in ein dezentralisiertes System überführt werden, forderte Castro. Dabei werde die sozialistische Planung vorherrschend bleiben, ohne jedoch darauf zu verzichten, flexibel auf »Markttendenzen« zu reagieren. In Kuba werde es »niemals Raum für ›Schocktherapien‹ zu Lasten der Schwächsten geben, wie sie häufig auf Druck des Internationalen Währungsfonds und anderer internationaler Wirtschaftsorganisationen auf dem Rücken der Völker der Dritten Welt durchgesetzt werden.«

Am Sonntag setzten die knapp 1000 Delegierten ihre Beratungen in fünf Arbeitsgruppen fort. Auch hier beherrschte die Wirtschaftspolitik die Debatten. Insbesondere die Zukunft der berühmten »Libreta«, der Zuteilungskarte für rationierte Grundnahrungsmittel, erhitzt die Gemüter. Castro hatte in seiner Rede darauf verwiesen, daß die an den Parteitag herangetragenen Forderungen von ihrer sofortigen Abschaffung bis hin zu ihrer unveränderten Beibehaltung reichten. Diese habe sich aber in den letzten Jahren zu einer »unerträglichen Last für die Wirtschaft« entwickelt, zumal sie solch absurde Regelungen enthalte wie die, selbst Säuglingen Kaffee zuzuteilen.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

André Scheer
junge Welt, 18.04.2011