Nachrichten aus und über Kuba
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»Gut über Fidel zu schreiben, würde mich ruinieren«
Gespräch mit Daniel Chavarría. Über langweilige Krimis, die Faszination für die Welt des Marginalen und Schwierigkeiten kubanischer Schriftsteller, europäische Verlage zu finden.
Daniel Chavarría, 1933 in San José de Mayo/Uruguay geboren, gilt neben dem Mexikaner Paco Inácio Taibo II und dem Brasilianer Rubem Fonseca als einer der wichtigsten Vertreter des lateinamerikanischen Kriminalromans. Chavarría verließ früh sein Heimatland und lebte und arbeitete unter anderem in Deutschland. Einige Jahre nach Rückkehr nach Uruguay verschlug es ihn nach Kolumbien, wo er sich im Umfeld der Guerilla ELN bewegte. Durch Verhaftung bedroht, entführte er ein Flugzeug nach Kuba, wo er seitdem lebt und schreibt.
Neben zahlreichen kubanischen Auszeichnungen erhielt Daniel Chavarría auch wichtige internationale Preise, darunter den spanischen Krimipreis »Premio Dashiell Hammett« 1991, den »Planeta-Joaquín Mortiz« in Mexiko 1993 sowie 2002 den US-amerikanischen »Edgar Allen Poe-Award«. Im Rahmen der diesjährigen Internationalen Buchmesse in Havanna wurde er im Februar mit dem Nationalen Literaturpreis Kubas geehrt.
Im Großteil Ihrer Krimis stehen Charaktere im Mittelpunkt, die nicht unbedingt zu den schillerndsten Seiten der kubanischen Gesellschaft gehören. Sie schreiben über Prostituierte, Gescheiterte, Trinker und Betrüger. Warum interessieren Sie sich so für das Marginale?
Die Welt der Ausgeschlossenen ist sehr viel ausdrucksstärker als die formelle. Der Blick auf die Marginalisierten ermöglicht es mir, die Pathologie einer Gesellschaft zu ergründen. Und nur so lassen sich die Probleme eines Landes verstehen. Wenn ich nur über das offizielle, das schöne Kuba schreiben würde, wäre das nicht möglich. Ich mache Literatur, weil mich die Basis einer Gesellschaft interessiert. Das Genre des Krimi dient dabei nur als Hülle. Der Krimi an sich hat mich nie interessiert. In seiner klassischen Form geht es lediglich darum, herauszufinden, wie jemand umgebracht wurde, wie der Mörder entkommen ist und schließlich wieder gefangen wurde. Das reizt mich nicht.
Eine Ausnahme sind die sogenannten US-amerikanischen »hardboiled novels« von Raymond Chandler und Dashiell Hammet oder Paco Ignacio Taibo II in Lateinamerika?
Richtig. Diese Leute waren zwar keine großen Schreiber, aber sie waren ehrlich, indem sie über die Sachen schrieben, die wirklich geschahen, über die Realität. Wenn zum Beispiel Hammet in »Rote Ernte« über die Verbindung von Mafia, Polizei und Politik schreibt, sind die Polizisten krimineller als die Kriminellen.
Diese Leute blickten hinter den nordamerikanischen Triumphalismus nach dem Zweiten Weltkrieg: Das ganze Geschrei von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, diese Heuchelei, der die Menschen zuhauf auf den Leim gegangen sind – und es noch immer tun. Sie zeigen, daß die Gesellschaft schon damals am Arsch war. Es war eben nicht nur die riesige Korruption. Man muß sich mal vorstellen, Präsident Harry S. Truman hat befohlen, Atombomben über Nagasaki und Hiroshima abzuwerfen, als Japan schon besiegt war.
Auch ich mache Literatur, in der die schlechten Seiten Kubas vorkommen, aber ich lasse sie auftauchen, so wie ich glaube, wie sie sind. Das Publikum kann verstehen, was es verstehen will.
Was bedeutet das für Kuba?
Auch hier geschehen Dinge, oft die komischsten Sachen der Welt. Es gibt zum Beispiel ein Gewerbe des Kleiderdiebstahls. Leute stehlen Ihnen den Pullover oder die Hose, während sie im Garten über der Leine trocknen. Das ist nichts Großes, aber es geschieht. Kleidung ist hier schwer zu bekommen. In meinem Buch »Das Rot im Federkleid des Papageien« geht es am Rande darum. Ein Zimmermädchen stiehlt einem Hotelgast ein Paar Schuhe einer US-amerikanischen Marke und verschenkt sie an ihren Sohn. Dem sind sie zu groß und so tauscht er die Schuhe mit einem Schachspieler, der sie wiederum weitergibt. Am Ende landen sie bei jemandem, der sie beim Hahnenkampf als Preis einsetzt. Über den Weg der gestohlenen Schuhe bekommt man Einsicht in große Teile der gesellschaftlichen Peripherie Kubas in Zeiten der entbehrungsreichen Spezialperiode der 90er Jahre, Teile, die man anders nicht sehen würde.
Der kubanische Büchermarkt ist nicht der größte, das Papier ist knapp. Wie kommt man als Schriftsteller in Kuba über die Runden?
In Kuba bin ich ein Bestseller, aber selbst mir reichen die Erlöse aus den Rechten nicht, um davon leben zu können. Ein kubanischer Autor braucht einen Verlag in Spanien oder sonstwo. Von dem, was mit dem Bücherverkauf in Kuba zu verdienen ist, kann man unmöglich leben.
Ich beende hier einen Roman, und nach zwei Jahren ist er in Spanien, Frankreich, Griechenland, England, Italien und manchmal auch in Deutschland auf dem Markt. Ich bin kein großer Verkäufer und veröffentliche vor allem in unabhängigen, kleinen Verlagen. Zu Verlagen wie Piper in Deutschland werde ich es nie schaffen. Ich schreibe jedes Jahr einen Roman, so komme ich auf gut 30000 Dollar pro Jahr. Davon kann man in Kuba gut leben. Mit Glück könnte es natürlich mehr sein. Aber ich habe gewöhnlich wenig Glück. Im Moment bin ich aus privaten Gründen ruiniert, aber das ist andere Geschichte …
… die uns natürlich interessieren würde.
Ich habe mich auf ein Projekt eingelassen. Eine griechische Firma hat meinen Roman: »El Ojo de Cibeles« (Das Auge von Cybelis) verfilmt. Mit der Finanzkrise ist sie pleite gegangen. Von dem ausgehandelten Geld habe ich natürlich nichts gesehen.
Der europäische Markt ist nicht gerade kubafreundlich. Was heißt es für die künstlerische Freiheit, wenn sich ein Schriftsteller an die Bedürfnisse ausländischer Verlage anpassen muß?
Das Problem ist, daß niemand, der gut über die Revolution spricht, viel verkauft, das kann nicht funktionieren. Man kann sehr viel Geld verdienen, wenn man schlecht schreibt. Aber wenn jemand Fidel und die Revolution verteidigt, ist es schwer.
Wo sind die Grenzen? Leute wie der kubanische Krimiautor Leonardo Padura sind in Europa sehr erfolgreich, ihre Position zur Regierung ist vielleicht kritisch, aber keineswegs kubafeindlich.
Es ist nicht so, daß man gezwungen ist, schlecht über Castro zu reden, das ist klar: Aber man darf nicht gut über ihn schreiben.
Ein Beispiel: Manchmal bin ich mit Fidel zusammen, nicht oft, insgesamt waren es ungefähr dreimal. Ich bin dann immer ziemlich nervös, trinke viel und benehme mich blödsinnig.
Einmal haben wir über die Bedingungen für kubanische Literatur in Europa gesprochen. Ich hatte sehr viel getrunken. Ich habe ihm gesagt, daß es mir nie in den Sinn käme, in einem Interview mit europäischen Journalisten schlecht über ihn zu sprechen; zu sagen, er wäre ein Diktator. Denn genau diesen Blödsinn wollen sie von einem hören. Die erste Frage lautet immer, wie es als erfolgreicher Schriftsteller sei, in einer Diktatur zu leben. Ich sagte ihm also, daß ich niemals sagen würde, er sei ein Diktator. Allein weil sich so etwas nicht gehört, auch wenn er natürlich ein Diktator ist.
Und Fidel, was hat er gesagt?
Das brachte ihn natürlich auf die Palme, er war empört und schimpfte. Ich entgegnete ihm aber, er sei genauso ein Diktator wie Fabius Maximus in Rom einer war. Als der römische Senat handlungsunfähig war und der Staat und das römische Volk durch Hannibal bedroht wurden, hätten die Römer die würdigsten, ehrbarsten und tapfersten ihrer Männer gewählt, um den Parlamentarismus zu verhindern. Genauso haben die Kubaner es auch mit Fidel gemacht. Sie haben den ehrbarsten unter sich ausgewählt. Wenn ich so über Kuba und Fidel schreiben würde, wäre ich ruiniert.
Worüber würden Sie sonst noch gerne schreiben?
Zum Beispiel über die kubanische Mission in Angola. Das ist ein einmaliges Beispiel in der Geschichte der Menschheit. 30000 Männer wurden 1975 mobilisiert. Sie alle gingen freiwillig, das heißt, zu den Bedingungen, die es in einer Gesellschaft gibt, um etwas zu fördern. Aber niemandem wurde die Pistole an den Kopf gesetzt, niemand wurde ins Gefängnis geschickt, wenn er sich weigerte, Solidarität zu üben und das Leben auf einem anderem Kontinent zu riskieren. Und was haben sie dafür bekommen? Nicht eine Gallone Erdöl, keinen Diamanten haben sie mitgebracht, keine kubanische Firma wurde dort eröffnet. Das einzige, was sie zurückgebracht haben, waren 2000 Tote und eine Reihe von angolanischen Waisen, die hier studieren konnten. Das gleiche geschah mit den Kindern von Tschernobyl. Ganz Europa hat damals alles mögliche versprochen, nichts davon wurde erfüllt. Kuba mit den ganzen Problemen der Spezialperiode, dem Mangel und der Blockade hält bis heute die Hilfe aufrecht. Viele der Kinder, die damals zu uns kamen, sind immer noch hier.
Würde ich mit derselben Leidenschaft, mit der ich jetzt erzähle, einen Roman über diese Sachen schreiben, ich bräuchte gar nicht anfangen. Es wäre unmöglich, kein Verlag außerhalb von Kuba würde mich nehmen. Ich muß mich also abmildern, zurückhalten, um publizieren zu können. Ich kann meine Prinzipien kundtun, aber etwas subtiler.
Wenn schon Sie Probleme haben, was machen junge Autoren, die nicht bei ausländischen Verlagen erscheinen?
Leute mit dem großen Verlangen, Schriftsteller zu werden, suchen sich für gewöhnlich eine Arbeit, die mit Literatur zu tun hat. Sie lehren an der Uni oder in der Schule, arbeiten als Journalisten oder Übersetzer oder machen sonst was. Von der Literatur allein können sie auf keinen Fall leben. Aber das ist die Situation der Mehrheit der Schreiber in Lateinamerika, in Uruguay und Argentinien genauso wie in Kuba.
Wie stehen die jungen Schriftsteller zur Revolution?
Große Teile der jungen Intelligenz neigen dazu, eher gegnerisch zur revolutionären Regierung zu stehen. Ich glaube, es sind essentiell Ahnungslosigkeit und das Fehlen von historischem Bewußtsein. Aber es ist so. Das Problem ist die Vermittlung. Eine Revolution ist sehr kompliziert. Und das Erbe ihrer Entwicklung ist fürchterlich. Noch vor drei Generationen gab es bei uns die Sklaverei. Es braucht Zeit, diese Erblasten zu beseitigen.
Viele Menschen sind unzufrieden. Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, in der es alles gibt. Räuber, Prostituierte, Leute ohne Scham, hier gibt es einen Haufen Fehler, Mangel, Mißbrauch und Unrecht, wie in jeder anderen Gesellschaft auch. Und wenn Castro sagt, mit dem wenigen, was wir haben, soll auch noch anderen geholfen werden, ist das für viele schwer zu verstehen. Schauen Sie sich die Armut in den anderen Staaten unseres Kontinents an. Viele Kubaner müßten glücklich sein, hier zu leben, sind aber empört. Sie haben das Gefühl, nicht gut regiert zu werden.
Das erste, was mir in Kuba aufgefallen ist, ist die augenscheinlich sehr auf Marken und Konsum fixierte Jugend. Ist dieser Eindruck richtig?
Die Jugend trägt nicht nur diese riesigen Gucci-Gürtel, sie tragen sogar Hemden mit US-Adlern auf dem Rücken. Die jungen Leute in Kuba sind sehr negativ eingestellt. Der Konsumismus ist ein tragisches Erbe der Revolution. Es ist tragisch, daß in einem Land, in dem die materiellen Beschränkungen so groß sind wie hier, schon Fünfjährige auf Marken fixiert sind und schauen, welche Schuhe andere Kinder haben. Vielleicht ist der Konsumismus hier sogar noch ausgeprägter als in der Ersten Welt.
Die Jugend ist die kommende Generation, sie wird irgendwann politische Verantwortung übernehmen müssen. Was hat das für Folgen?
Verdammt, ich habe keine Antwort. Ich weiß nicht, was passieren wird, es ist sehr schwierig. In Uruguay diskutieren die Jugendlichen. Hier herrscht ein schreckliches Desinteresse. Ein Teil der Jugend will weg. Ich selber habe drei erwachsene Kinder. Zwei waren nie hier, sie sind in Uruguay aufgewachsen. Das dritte wohnt in Miami, er ist Musiker. Danielito ist kein Revolutionsfeind. Er bewundert die Revolution, er bewundert Fidel. Er hat aber entschieden, woanders zu wohnen. Ich erkenne das an. Wenn ich so jung wäre, wäre ich vielleicht auch gegangen. Die Vorstellung, nicht reisen zu können, ist unerträglich. Ich habe Uruguay verlassen, als ich 19 Jahre war und bin durch die Welt gereist, nach Europa und nach Deutschland. Das gönne ich jedem.
Für große Teile der Jugend ist es schwer, während Leute mit Berufung eine wirkliche Perspektive haben. Wenn sich jemand für Wissenschaft, Kunst, Sport oder Musik interessiert, ist er in diesem Land privilegiert. Wenn jemand zum Beispiel Mathematiker werden will, gibt es dafür kein besseres Land als Kuba. Er muß zeigen, was er kann, aber ihm wird geholfen, und er wird unterstützt. Die künstlerische Erziehung ist hervorragend. Für jemanden, der einfach eine Freundin, einen Garten haben und am Wochenende ein paar Drinks nehmen will, ist das Leben einfach. Nur er kann nicht reich werden. Es gibt aber viele Leute, die mit dem einfachen Leben nicht zufrieden sind, die mehr wollen. Geld übrig hat niemand. Es sei denn, er ist kriminell, und dann läuft er aber Gefahr, ins Gefängnis zu kommen.
Was kann dagegen getan werden? Sie haben im Zuge der diesjährigen Buchmesse an einem Gespräch zwischen Fidel Castro und einer Reihe von in- und ausländischen Intellektuellen teilgenommen. Wurden solche Probleme angesprochen?
Ja, das wurden sie. Ich habe vorgeschlagen, ein Komitee zu gründen, mit Experten, um neue Programme für Jugendliche zu entwickeln. Die Programme, die heute laufen, sind bescheuert. Wir müssen intelligente Fragen entwickeln. Nicht solche, auf die die Antworten auswendig gelernt werden können. Aber jetzt eine Kampagne darüber zu starten, wie sich jemand zu kleiden hat, was ein junger Revolutionär tragen kann und was nicht, würde Platz geben für einen internationaler Aufschrei, über Repression und Bewußtseinsmanipulation geben.
Was halten Sie von Veranstaltungen wie mit dem kolumbianischen Superstar Juanes, der auf Einladung der Regierung im September 2009 auf der Plaza de la Revolución vor einer Million Menschen gespielt hat?
Dem Kulturministerium erschient das als gut, weil es die Leute aus Miami verwirrt und die hier anwesenden Stiftungen irritiert. Im politischen Krieg sind solche Sachen wichtig. Aber aus kulturpolitischer Perspektive? Juanes ist ein scheußlicher Künstler. Ein Typ, der schlecht singt, mit einer schleimigen Stimme. Wir haben ihm Platz gegeben, damit er sich in eine große Figur verwandelt.
Ein grundlegendes Problem ist die Politisierung der Jugend. Wie politisiert sich jemand, wie werden Jugendliche zu Kommunisten oder Sozialisten? Indem sie sich reiben. In Kuba ist die Revolution gemacht. Eine politische Karriere zu machen, aktiv zu sein, bedeutet viel Arbeit. Es ist eine andere Situation als in den 70er Jahren, als die Jugend in vielen Ländern auf die Straße gegangen ist, weil sie mit den Bedingungen nicht Einverstanden war, weil sie partizipieren wollte.
Wie haben Sie sich politisiert?
Ich bin eine Ausnahme. Ich bin durch die Literatur Kommunist geworden. Ich habe Victor Hugo gelesen, bei dem Jean Valjean in »Die Elenden« für 19 Jahre ins Gefängnis mußte, weil er Brot gestohlen hatte. Das war der erste Samen des Zweifels, der in mir keimte, daß mit der bürgerlichen Gesellschaft irgend etwas nicht in Ordnung ist. Aber das ist eine Ausnahme. Der Großteil aller Linken hat sich durch Kämpfe politisiert, durch soziale Auseinandersetzungen in einer Klassengesellschaft.
Das Gespräch wurde in Havanna geführt.
Von Daniel Chavarría sind bisher unter anderem auf deutsch erschienen:Operation Joy, Verlag Neues Leben, Berlin 1984
Die Wunderdroge, Heyne, München 1996
Die Radfahrerin, Heyne, München 2000
Macho pikant, Europa Verlag, Hamburg 2002
Die sechste Insel, Edition Köln 2005
Das Rot im Federkleid des Papageien, Edition Köln 2010
Veröffentlichung |
Interview: Johannes Schulten
junge Welt, 02.04.2011