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Kein Platz für Nostalgie
Kuba diskutiert vor Parteitag im April Reformen
Vierzehn Jahre nach ihrem letzten führt die Kommunistische Partei Kubas vom 16. bis 19. April ihren sechsten Parteitag durch. Für die Menschen auf der Insel ist dies ein Ereignis von erstrangiger Bedeutung, zumal es mit einem historischen Jubiläum zusammenfällt, dem 50. Jahrestag der Proklamation des sozialistischen Charakters der Kubanischen Revolution und des Sieges über die CIA-gesteuerte Invasion in der Schweinebucht 1961. Doch für Nostalgie ist wenig Platz, denn bestimmt werden die Diskussionen im Vorfeld des Kongresses seit Monaten von dem eingeleiteten Veränderungsprozeß, mit dem das kubanische Wirtschaftsmodell umstrukturiert und den derzeitigen Bedingungen angepaßt werden soll.
Im Mittelpunkt der Beratungen des Parteitages wird das Ende vergangenen Jahres vorgelegte Thesenpapier über die »Richtlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revolution« stehen, das in unzähligen Basisversammlungen diskutiert und zu dem Tausende Änderungsanträge und Vorschläge eingereicht wurden. Diese werden derzeit von damit beauftragten Kommissionen genau geprüft und analysiert, bevor sie den 1000 Delegierten unterbreitet werden, die in Basisversammlungen gewählt wurden und mehr als 850000 Parteimitglieder aus dem ganzen Land vertreten.
Entgegen früherer Ankündigungen wird der Parteitag auch über die Zusammensetzung des neuen Zentralkomitees und des Politbüros entscheiden. Nicht weniger als 1280 »Vorkandidaten« wurden dafür von der Basis nominiert. Aus diesen wird die endgültige Kandidatenliste bestimmt, über die dann auf dem Parteitag entschieden werden soll. Zur Wahl steht auch das Amt des Ersten Sekretärs der Partei, das formell noch immer der frühere kubanische Präsident Fidel Castro inne hat, auch wenn dieser vor einigen Tagen in seinen »Reflexionen« betonte, auch von diesem Amt längst zurückgetreten zu sein.
Doch im Mittelpunkt des Interesses steht für die Kubaner die wirtschaftliche Lage der Karibikrepublik. »Vor allem das Thema der niedrigen Gehälter und die Existenz einer doppelten Währung, durch die alles noch viel teurer wird, muß gelöst werden«, hofft Sheila Borges, die gerade ihren Universitätsabschluß in Wirtschaftswissenschaften gemacht hat. Das teilt auch die pensionierte Lehrerin Martha álvarez, die auf die Bedeutung der Diskussionen an der Parteibasis verweist, »denn die Leute haben all ihre Sorgen ausgesprochen«. Die am Flughafen von Havanna arbeitende Esther León stimmt ihr zu: »Dabei sind die brennendsten Angelegenheiten ans Tageslicht gekommen.« Der Journalistikstudent Luis Alejandro Yero macht sich hingegen vor allem Gedanken darüber, wie der Sozialismus »als Projekt« bewahrt werden kann, ohne in die Marktwirtschaft zurückzufallen.
Aus ihrer Perspektive fordert Tania Rodríguez, die als Direktorin ein Unternehmen leitet: »Wir müssen in der Lage sein, größere Produktivität zu erreichen, die Ausgaben zu senken und die Dinge effizienter zu erledigen, sonst brauchen wir von einer Erhöhung der Gehälter gar nicht erst reden.« Tatsächlich werden die Ansichten der Kubaner von ihren täglichen Erfahrungen und den Erlebnissen in ihrem sozialen Umfeld geprägt, auch wenn sie objektive Faktoren nicht ignorieren, die Fortschritte auf der Insel zusätzlich erschweren. Dazu gehören nach wie vor die seit mehr als einem halben Jahrhundert von den USA aufrecht- erhaltene Blockade sowie die Weltwirtschaftskrise, deren Auswirkungen auch Kuba getroffen haben. »Wenn du dann noch die Schäden in Höhe von etwa zehn Milliarden US-Dollar hinzunimmst, die die Hurrikans im Jahr 2008 verursacht haben, dann kommst du zu dem Schluß, daß der Schuh noch mehr drückt«, kommentiert Armando Estrada, der sich mit einem kleinen Geschäft selbständig gemacht hat, unter Anspielung auf einen in der vergangenen Woche veröffentlichten Kommentar Fidel Castros.
Generell aber sind sich die Kubaner einig: Die wichtigsten Errungenschaften des revolutionären Prozesses dürfen nicht verlorengehen. »Der Weg, dem wir folgen müssen, ist der eines perfektionierten Sozialismus auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit«, unterstreicht etwa Rolando Rodríguez, der bis zur Rente in der kubanischen Zuckerindustrie gearbeitet hat.
Veröffentlichung |
Deisy Francis Mexidor, Havanna
junge Welt, 29.03.2011