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»Nie werden wir privatisieren«

Kuba: Trotz der Reformen wird der Markt nicht darüber entscheiden, wie sich die Kultur entwickelt. Staat behält Macht über grundlegende Produktionsmittel. Ein Gespräch mit Abel Prieto

Abel Prieto ist Kulturminister der Republik Kuba


Die 20. Internationale Buchmesse 2011 in Kuba, die am Sonntag in Havanna zu Ende geht und dann durch die Provinzen des Landes reist, findet in einer für das Land komplizierten Situation statt. Welche Bilanz ziehen Sie vor diesem Hintergrund?

Es ist noch etwas früh, eine Bilanz zu ziehen. Was diese Buchmesse von anderen abhebt, ist, daß es hier nicht um das Buch als Ware geht, sondern um das Buch als Träger einer Botschaft des Wissens, der Ideen, der Träume und Hoffnungen. Ich denke, diese Buchmesse hat sich einen Namen gemacht als ein großer Raum zur Demokratisierung der Kultur, des Buches und des Wissens, und als ein Fest für die kubanische Familie und die verschiedenen Ausdrucksformen der Kultur. Dies ist die größte Veranstaltung Kubas im Bereich der Kultur. Vielleicht werden wir nach der letzten Station in Santiago de Cuba eine Bilanz ziehen können, aber für einen Vergleich ist es jetzt noch zu früh.

Auch der frühere kubanische Präsident Fidel Castro hat sich mit Teilnehmern der Buchmesse getroffen und diskutiert. Warum wurde diese Veranstaltung nicht auf dem Gelände der Buchmesse, in der Cabaña, durchgeführt, sondern im Palacio de las Convenciones?

Es handelte sich um eine Einladung Fidels, der sich mit Schriftstellern, die an der Buchmesse teilnehmen, austauschen wollte. Dazu brauchte es einen geeigneten Ort, und auf der Cabaña ist es schwierig, einen solchen Ort zu finden. Es war schließlich vorgesehen, die Reden in verschiedene Sprachen zu übersetzen, denn es hat zum Beispiel die angolanische Delegation teilgenommen, und es gab Gäste aus verschiedenen Teilen der Welt.

Es war ein außergewöhnlicher Augenblick des Meinungsaustauschs. Er hat uns alle, die wir zur Welt der Kultur gehören, gebeten, daß wir über die reale Gefahr informieren, in der die Menschheit schwebt. Die vorherrschende selbstmörderische Politik ignoriert, was die Umwelt benötigt, und sie ignoriert das Thema der Preissteigerungen bei den Lebensmitteln durch den Klimawandel oder weil Getreide zur Herstellung von Treibstoff genutzt wird. Fidel hat die kubanischen und ausländischen Intellektuellen aufgerufen, dazu beizutragen, diese Gedanken zu verbreiten und Menschen aller Ideologien, aller Religionen und aller politischer Orientierungen für ein Thema wie dieses zu interessieren, denn es gibt keinen nahegelegenen Planeten, auf den wir die Menschheit evakuieren könnten.

Einen wichtigen Raum auf dieser Buchmesse nehmen die »Stimmen gegen den Atomkrieg« ein. Ist das nicht ein Thema der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts?

Leider ist das noch immer ein sehr aktuelles Thema. Der Comandante Fidel hat selbst daran erinnert, daß die Bomben, die heute produziert werden, eine um ein Vielfaches stärkere Wirkung haben als die, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Dieses Forum der »Stimmen gegen den Krieg«, an dem Dichter aus Kuba und anderen Teilen der Welt teilnehmen, ist ganz sicher aktuell. Denken wir nur an die Rüstungslobby, an diese Figur Sarah Palin, diese US-Politikerin, die in der letzten Zeit soviel Lärm gemacht hat, um die Interessen der Rüstungsindustrie zu verteidigen und Lobbyarbeit für sie zu machen. Man darf deshalb nie vergessen, daß es tatsächlich die Gefahr eines Atomkrieges gibt. Fidel sprach davon im Zusammenhang mit dem Iran und den Drohungen gegen dieses Land. Das Forum ist eine Reaktion darauf, daß die Politiker diesem realen Problem zu fern stehen. Es hat aber zu tun mit der Klimakrise, mit der Ernährungskrise, mit der Wirtschaftskrise, mit den Kriegsdrohungen– die immer die Gefahr beinhalten, daß ein solcher Krieg ein Atomkrieg sein könnte. Deshalb hat Fidel die Idee formuliert, daß wir alle uns solidarisch als Teil einer Familie fühlen müssen. Ich glaube, der Egoismus, und diese verrückte Idee, daß sich einige, eine privilegierte Elite, aus diesem Schiffbruch retten könnten, ist etwas, das mit Ideen und Argumenten bekämpft werden muß.

Wie beteiligt sich die Welt der Kultur an den Diskussionen, die derzeit in Kuba stattfinden? Welche Erwartungen verbinden Sie mit dem Parteitag im April?

Wir als Kulturministerium haben vor kurzem im Rat der UNEAC, der Union der Schriftsteller und Künstler Kubas, eine Reihe von Ideen eingebracht. Veränderungen müssen im Ministerium selbst und in den kulturellen Institutionen vorgenommen werden. Das Recht auf den Zugang zur Kultur ist eines der Grundprinzipien der Revolution und darf zu keinem Zeitpunkt gefährdet werden. Wir denken aber zugleich, daß analysiert werden muß, wie die Kultur­institutionen entbürokratisiert werden können. Wir haben dazu die besten Schriftsteller und Künstler des Landes um Unterstützung gebeten. Die Ausgaben der verschiedenen Kultureinrichtungen sind in den vergangenen Jahren explodiert, aber leider ist ein großer Teil dieser Gelder nicht in die kulturellen Prozesse geflossen, in das Wachstum des künstlerischen und kulturellen Bereichs. Statt dessen gab es ein irrationales Anwachsen des Bürokratismus. Wir führen deshalb auch einen Kampf gegen den Bürokratismus, gegen veraltete Vorstellungen davon, wie das Kulturschaffen organisiert werden muß. Es ist ein Kampf darum, schlankere, effizientere, aktivere Kulturinstitutionen zu bekommen. Ich glaube, daß die von uns vorgenommenen Veränderungen in keiner Weise das künstlerische und kulturelle Schaffen einschränken werden, weder im Bereich der kulturellen Basisarbeit in den Gemeinden noch in dem der Avantgarde. Wir werden niemals zulassen, daß der Markt darüber entscheidet, wie sich die Kultur entwickelt.

Trotzdem wird in Folge der Veränderungen, die in Kuba vorgenommen werden, die Bedeutung des Marktes wachsen. Zum Beispiel durch das »Arbeiten auf eigene Rechnung«, wie in Havanna bereits unübersehbar ist …

Im Bereich der Kultur haben wir das bereits vorweggenommen. Im Bereich der bildenden Künste gibt es zum Beispiel den unabhängigen Künstler als einen Berufszweig mit eigener Sozialversicherung. Das ist ein sehr fortgeschrittenes Berufsbild, das wir bereits in den 90er Jahren eingeführt haben. In den bildenden Künsten, der Musik und einigen weiteren Ausdrucksformen sind viele unserer Künstler, die übergroße Mehrheit, keine Staatsangestellten. Sie sind unabhängige Künstler, und wir haben Gesetze ausgearbeitet, die diese schützen.

Wenn aber die Bedeutung des Marktes steigt, kann dies auch Veränderungen im Bewußtsein der Bevölkerung mit sich bringen, kann die Verankerung der Werte der Revolution in Mitleidenschaft gezogen werden, wie die Entwicklungen in anderen Ländern – zum Beispiel in China – gezeigt haben …

In den »Lineamientos«, dem Dokument, das in Vorbereitung des Parteitages diskutiert wird, gibt es mehrere Grundprinzipien. Eines davon ist, die Konzentration von Eigentum zu verhindern. Das bedeutet, wir werden niemals die Großkonzerne in dieses Land eindringen lassen. Niemals werden wir privatisieren. Was wir zum Beispiel mit dem Grund und Boden machen, ist die Vergabe von Nutzungsrechten. Was wir diskutiert haben, ist, daß Bars und Restaurants zugelassen werden, aber niemals wird dieses Land verkauft werden. Das ist ein sozialistisches Prinzip, an dem wir absolut festhalten, und das für uns unverzichtbar ist. Das Wachstum der nichtstaatlichen Eigentumsformen in der Landwirtschaft oder bei Dienstleistungen wird zu keinem Zeitpunkt das in Gefahr bringen, was wir für substantiell halten: Der Staat behält die Macht über die grundlegenden Produktionsmittel, über den Boden usw. Er schafft sehr eng begrenzte Räume für kapitalistische Praktiken. Es stimmt, daß wir uns einem Anwachsen von prokapitalistischen Tendenzen gegenübersehen könnten. Aber es stimmt auch, daß dies eine Herausforderung ist, der wir uns unweigerlich stellen müssen. Es ist heute nicht möglich, an einigen paternalistischen Konzepten festzuhalten, die uns in die Stagnation geführt haben, in eine Situation der Vollbeschäftigung, die darauf basiert, daß die Menschen nicht arbeiten. Wie Raúl (Castro, jW) gesagt hat: Wir müssen die Idee überwinden, daß Kuba das einzige Land der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Interview: André Scheer, Havanna
junge Welt, 19.02.2011