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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Freundeskreis "Kunst aus der DDR"
Nelson Herrera Ysla

Vielgestaltige bildende Kunst Kubas

Die kubanische bildende Kunst bildet heute eines der farbigsten Szenarien der Gegenwartskultur im Lande. Wenn sie seit den 60er Jahren, als große Künstler sich durchsetzten, neue Erscheinungsformen entstanden, Ereignisse und Ausscheide stattfanden und die sehr wichtige Nationale Schule der Künste gegründet wurde, eine Konstante war, so gab es aber auch Zeiten, in denen das schöpferische Suchen die Kontinuität verhinderte, Kontinuität im Bewahren von Traditionen, die durch Zeit und Geschichtsschreibung geheiligt waren, in denen aber kaum Raum war für notwendige Brüche und Risse, weil sie nur spärliche Variationen über die immer gleichen Themen zuließen.

Hätten wir sagen können, dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelte, wenn es sich doch um Ruhe, um Stillstand gehandelt hätte?

Jetzt gibt es nicht nur eine große Zahl von Künstlern, überwiegend junge, die sich neuen und komplexen ästhetischen Aufgaben widmen, sondern auch eine große Zahl von Galerien im ganzen Land, Einrichtungen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Kritiker und Kuratoren, die die unzähligen Wege in den vergangenen Dekaden unserer Kunstentwicklung sichtbar machen und die das Neue, Andere begründen.

Die bildende Kunst besetzt heute ungewöhnliche Räume, die früher von anderen spezifischen Äußerungen der Kultur getrennt schienen, als diese noch präzise in unverwechselbarer Erscheinung begrenzt waren und man in gewissem Grade von Reinheit sprechen konnte, was Theater, Tanz, Literatur, Film, Musik, Architektur oder Kunsthandwerk war. Und man konnte noch darüber hinausgehen, um zu bestimmen, was Kunst war und was nicht.

Nach dem wichtigen Aufblühen während der 60er Jahre und einer relativ ruhigen Periode der 70er Jahre ist es zu Beginn der 80er zu einem Prozess tiefgreifender Transformation gekommen: In allem, was man als System der Kunst kennt - von der Gestaltung bis zur Zirkulation und Kommerzialisierung jedes Werkes.

Die so genannte Postmoderne kehrte sich von zahlreichen Schemata und fast von allem, was während der ganzen Kunstgeschichte, besonders aber der des 20. Jahrhunderts, sanktioniert worden war, ab. Sie verschärfte die Prozesse der Entfremdung, schwächte die Erkennbarkeit der Grenzen von Kunst ab und erzeugte ein Gefühl von Inklusivität, von der Künstler vorher niemals träumen konnten. Sie nahmen kritisch das Vermächtnis und den Einfluss bedeutender europäischer Schöpfer und Denker an, studierten ihre Theorien, die von Hand zu Hand zirkulierten, und verstanden sie, mit Intelligenz auf bestimmte politische und praktische Erscheinungen in der kubanischen Kultur anzuwenden. Sie waren Teil einer internationalen Entwicklung, weil die ständigen Reisen unserer Künstler und Experten ins Ausland und weil zahlreiche internationale Austauschveranstaltungen innerhalb und außerhalb Kubas organisiert waren. Unser Streben zu wissen, was sich in anderen Regionen der Welt abspielte, war immens. Kurz "Nichts in der Kunst war uns fremd."

Diese Gier, im Einklang mit dem Universum der zeitgenössischen Kunst zu leben, mit der Kunst, wo immer sie sich zeigt, war es und ist es, was dazu beigetragen hat, dass unsere gegenwärtige Kunstszene so unüberschaubar und kompliziert erscheint.

Wenn wir das gegenwärtige Schaffen analysierten, sähen wir Künstler, die fortfahren, vitale und herzhafte Gemälde zu schaffen. Es sind die Künstler der Altersgruppe zwischen vierzig und fünfzig Jahren. Ihnen folgen eng die neuen Jahrgänge, die kaum die 30 Jahre überschritten haben. Obgleich differenziert, versuchen sie in der Hauptsache aus laienhaftem Streben Herren des Handwerks zu werden. Während die Älteren sich für einen Stil mit langer historischer Tradition entscheiden, Personen und Tiere vereint in einer traumhaften Landschaft, in surrealistischen Bildfindungen und in akademischen Kompositionen zu gestalten, stellen die Jüngeren dem die Lobpreisung des Volkstümlichen, des Weltlichen, ja selbst des grotesk Schillernden entgegen. Das ist oft unehrerbietig, gibt fast ein parodistisches Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ist allem Pomp abgeneigt und allem was irgendwie eine Spur von "politisch korrekt" sein könnte.

Dieser Haltung nah, doch gleichwohl von beiden Tendenzen geschieden, gewinnt die Gruppe der Abstraktion jeden Tag mehr Jünger und setzt sich mit Macht in der Malerei fest. Aber in anderer Art, als in den 50er Jahren. Zur Verwunderung vieler sprengen die Abstrakten der Grenzen er Gattung bis zu unvorstellbaren Extremen auf. Sie machen Zugeständnisse, bieten ungewöhnliche Mischungen ihrer historischen Vorbilder. Eine Tendenz, die sich so auch in anderen nationalen Kunsträumen zeigt, 2010, einhundert Jahre, nachdem die Abstraktion in die europäische Kunst trat.

Andererseits ist zum ersten Mal ein Homoerotismus mit weichen Linien, manchmal mit sadomasochistischen und gewalttätigen Akzenten deutlicher Aggressivität ins Bild gesetzt.

Alle diese Strömungen verringern aber nicht den Beitrag und die Bedeutung einer naiven Malerei, die weiterhin im ganzen Land geschaffen wird. Ihre wichtigsten Vertreter und auch ihre Verehrer findet sie in den westlichsten kubanischen Provinzen.

Die Palette der kubanischen Malerei ist groß.

Die Bildhauerkunst in Kuba hat die Höhe der Malerei zweifellos noch nicht erreicht. Nachdem sie die Tradition der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlassen hatte, tendieren heute die bekannten Bildhauer zur Abstraktion, besonders zu deren konstruktiven oder geometrischen Varianten. Sie bevorzugen als Material das Metall. In Holz wird kaum gearbeitet. Marmor und anderer Stein wird nur gewählt bei besonderen, meist prächtigen Aufträgen. Plastiken für Innenräume, seien es Galerien, Ausstellungszentren oder Museen, bestimmen damit auch Ausmaße und Formate. Es ist jedoch interessant zu beobachten, dass in den letzten Jahren immer häufiger versucht wird, den öffentlichen Stadtraum wieder zu besetzen. Diese systematischen Anstrengungen sind löblich, weisen sie doch darauf hin, dass die Rolle der bildenden Kunst bei der Gestaltung der Umwelt unserer Städte und Dörfer begriffen wird und damit die Architektur und der Städtebau als Elemente einer ganzheitlichen Kultur. Aber dieser Weg ist nicht leicht. Unverständnis ist noch reichlich vorhanden und bessere materielle Bedingungen, diese Projekte zu realisieren, sind allemal nötig.

Über die Fotografie: Nach einem bereichernden Wachstum in den 90er Jahren, das sich der seit den 60er Jahren vorherrschenden Tradition der dokumentarischen Fotografie entgegen setzte, befindet sie sich in einem Zustand, in dem sie verschiedene Richtungen anvisiert, ohne dass man jedoch dominante Tendenzen einschätzen kann. Die wichtigsten Fotografen der 90er Jahre sind noch aktiv, die Mehrheit im Reifeprozess ihrer individuellen Gestaltungskunst. Sie sehen jetzt neue Autoren an ihrer Seite, die andere Themen suchen: In der Architektur, in den psychologischen durchdrungenen Porträts individueller Zeitgenossen, in Straßenszenarien oder im Mediamix mit Theater, Mode, Video. Sie bieten eine Fotografie an, die dem alltäglichen Heroismus, dem epischen Gesellschaftlichen und der Zugehörigkeit zur nationalen Kultur entgegensteht. Sie sind frei von politischen Zusammenhängen, verweisen aber auf kulturelle Tendenzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Grafik bewegt sich in zwei Bewegungsströmen. Die eine verfolgt nationale und internationale Traditionen, wie sie seit den 60er Jahren mit Holzschnitt und Lithografie an Kraft gewann. Die andere versucht die Druckgrafik in Experimenten mit neuen Materialien, Formaten und Themen zu entwickeln. In vorderster Linie dieser Bewegung befinden sich junge Leute, die aus der Kunsterziehung des Landes hervorgegangen sind. Ständig überschreiten sie die Grenzen, die der Druckgrafik traditionell mit der Druckauflage und der Zweidimensionalität des Papiers gesetzt sind.

Zur Performance. Sie ist eines der Felder, die nicht von kubanischen Künstlern besetzt ist.

Anders das Genre des Videofilms. Diese neue Technik wurde anfänglich der 60er Jahre schüchtern genutzt, hat aber zahlreiche, in unserem Land ausgebildete Künstler fasziniert. Ihnen scheint der Videofilm als ein geeignetes Instrument, bestimmte Erscheinungen des täglichen Lebens in ihren gesellschaftlichen Dimensionen anzusprechen, in erster Linie wohl wegen des breiten Spektrums der Bild- und Tongestaltung, in zweiter Linie aber auch wegen der unbegrenzten Möglichkeiten der Nachbearbeitung des Materials. Es werden schon nicht mehr nur Fakten registriert, sondern es werden Fiktionen, Metaphern oder Parodien produziert, wo sich Künstler, ihre Freunde und auch Schauspieler einbringen.

Der Impuls, der der Videoproduktion bei uns gegeben wurde, kommt besonders aus der Werkstatt für Kunsterziehung der Kunsthochschule, die unter der Leitung von Tania Bruguera steht.

Diese Werkstatt ist eine der interessantesten, auch der umstrittensten Erscheinungen der vergangenen Jahre, gleich anderer pädagogisch geprägter Einrichtungen wie die Galerie DUPP (Rene Francisco Rodriguez), die Gruppe ENEMA (Lazaro Saavedra) und das Dezernat der Öffentlichen Intervention (Ruslan Torres). Alle Einrichtungen wurden von Lehrkräften der Kunsthochschule geleitet. Von diesem Komplex ungeschriebener pädagogischer Praktiken sind bemerkenswerte Projekte und Künstler beeinflusst worden.

Hat sich bis in die 90er Jahre die Entwicklung der bildenden Kunst auf der Basis starker Traditionen entwickelt, so hat sich das Panorama in den letzten Jahren bedeutend geweitet. Die größere Bewusstheit von der Rolle der Kunst im Leben der Gesellschaft und auch die Einbeziehung neuer technischer Gestaltungsmöglichkeiten sind Ursache dafür. Die "net art", Kunst im Netz, tritt auf kollektiven Ausstellungen in Havanna in Erscheinung, ungeachtet dessen, dass die Künstler nur über die geringsten Voraussetzungen verfügen, sich in den internationalen Kommunikationssystemen zur Geltung zu bringen. Wichtig ist ihnen, die Schranken, die Ausstellungsräume und Galerien ihnen setzen, zu überwinden. Zu den Künstlern gesellen sich Laien, die versuchen, Parks, Straßen, Häusermauern zu gestalten. Sie nutzen den öffentlichen Raum, eigene und kollektive Vorstellungen zu präsentieren.

Die kubanischen bildenden Künste werden durch eine Vielzahl komplizierter Situationen gekennzeichnet. Eine besondere Rolle spielen die Ausstellungsmacher, die Kuratoren. Sie organisieren Ausstellungen unterschiedlichen Niveaus, diskutieren in einer wachsenden Zahl von Kulturzeitschriften wie Arte Cubana, Fotografia Cubana Arte por Excelencia und Noticias. Auch Verlage, die Bücher zu Kunsttheorie und -kritik veröffentlichen, und ein gewisser Anstieg der Zahl von Beiträgen in Funk und Fernsehen haben das Informationsniveau über die Kunst angehoben.

Dennoch folgen die Fragen, die die Leute zur Kunst stellen, auf dem Fuß. Jetzt, wo in unserem Lande alles schwerer geworden ist, gilt es, sichere Definitionen für Kunst zu finden, ihre Schöpfer zu assimilieren und zu verstehen. Vom Schriftsteller, Kunstwissenschaftler, Historiker bis zum Philosophen, Soziologen und Politiker reicht die Spanne derer, die die Vielgestaltigkeit künstlerischen Ausdrucks zu erkunden suchen. In den Bildungseinrichtungen, in der Presse, ja sogar in den Volksvertretungen wird erregt diskutiert, wenn bestimmte Werke konventionelle Rahmen sprengen, wenn durch Jahrhunderte geheiligte Traditionen missachtet werden. Gewohnt, die Kunst nur innerhalb bekannter Kriterien als Kunst zu erkennen, stürzen wir uns in einen Alarmzustand, wenn jemand diese übertritt, sie infrage stellt, sie verdammt oder ruiniert.

Aber die Veränderung der Realitäten dieser Welt, Kriege, soziale Auseinandersetzungen, Krisen, Hunger und Klimawandel sind allgegenwärtig. Sie verändern selbstverständlich auch Kultur und Kunst. Welcher Art die Veränderungen sein werden, kann nicht voraus gesagt werden.

In Kuba hat der größte Teil der Künstler die Art des Schaffens geändert.

Alfredo Sosavravo z. B. Er begann, in italienischen Fabriken mit Glas zu arbeiten, fantasievolle Gebilde.

Manuel Mandive, wie Ever Fonseca, eigentlich als Maler bekannt, schaffen Skulpturen. Auch Roberto Fabelo, Pedro Pablo Oliva und Eduardo Roca verlassen die Zweidimensionalität ihres bisherigen Schaffens und führen die Grafik in die räumliche Gestaltung über Andere verbinden ihr malerisches Schaffen mit Videoinstallationen oder Objekten.

Sandra Ramos zieht es jetzt vor nach einem langen Schaffen als Grafikerin Ausstellungen mit Objekten, Montagen, Fotografien und Videos zu besetzen. Die Liste der noch zu nennenden Künstler, die diese Tendenz bestätigen, ist sehr lang.

Heute lebt man nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft der Gründungsdekade, nicht mehr mit dem Schock der versagten ökonomischen Solidarität der 90er. Heute gibt es welche, die den ideellen Wert eines guten Teils des nationalen Kunstschaffens unter dem Druck kommerzieller Zwänge bezweifeln. Andere wollen diesen kämpferischen Geist vergangener Kunst wach halten. Die einen wie die anderen haben in gewisser Weise Recht, obwohl nur wenige die Zusammenhänge zwischen Kunst und Gesellschaft erkennen.

Der kubanische Künstler lebt in enger Verbindung mit seiner Umwelt. Nur wenig entgeht seiner Wahrnehmung. Er sieht verschiedene Täuschungen, sieht Zynismus, sieht ideologisches Tänzeln, sieht Kokettieren mit importierten Tendenzen und Technologieanbetung. Und er hat die Fähigkeit, das zum Ausdruck zu bringen.

Deshalb haben es einige vorgezogen, sich ganz dem Markt zu unterwerfen, sind eingetreten in die Suche nach Galeristen, Käufern und Sammlern, die ihnen die Befriedigung ihrer Wünsche ermöglichen sollen. Andere wollen sich im öffentlichen Raum der Ausstellungen, Debatten, der internationalen Veranstaltungen, der Lehre, der Polemik und der Kunstkritik behaupten. Zwischen beiden Tendenzen gibt es freilich auch weitverbreitet - wie auf der ganzen Welt übrigens - die Pendelhaltung. Die Produktion, die nicht auf den Markt ausgerichtet ist, erlebt gegenwärtig einen Aufschwung. Das liegt wohl daran, dass an unseren Schulen und Akademien Information, Diskussion und ständige Übung von einem umsichtigen Lehrkörper verdienstvoll geleistet worden sind.

Um aus den vielen Erscheinungen der gegenwärtigen kubanischen Kunst Schlüsse zu ziehen, muss man aber eine Reihe anderer Gründe anführen. Zweifellos sind immer einige besorgt, wenn eine neue Tendenz im nationalen Kunstpanorama in Erscheinung tritt. Dann erscheint einer Erklärung, angeheizt von Leidenschaft oder Naivität, sofort, dafür oder dagegen zu sein. Das ist Folge einseitigen Denkens, das nicht anerkennen will, dass die Welt, in der wir leben, voller Unterschiede und Bruchstücke ist.

Ich bekenne, das es nicht leicht ist, allen Kunsterscheinungen beizupflichten. Die Aufgabe ist es, auf alles aufmerksam zu achten, sich ständig der Analyse der Werke und den Absichten ihrer Autoren zu widmen. Das gestattet keine Ruhe, kein abschließendes Resümee.

Es ist schwer, vorauszusagen, welches Gesicht die Kunst in naher Zukunft haben wird.

Icarus
Icarus, 02.01.2011