Presseerklärung: Kalter Krieg im Deutschen Bundestag
Am 01.12.2011 sollte im Deutschen Bundestag auf Antrag der Fraktion der Partei Die Linke (PDL) zum Thema »Für eine
Normalisierung der Beziehungen der Europäischen Union zu Kuba« diskutiert werden. Es wurde in mehrfacher Hinsicht eine
Gespensterdebatte.
Einerseits war den Damen und Herren das Verhältnis zu diesem Drittweltland gerade nur so viel wert, dass sämtliche
Reden ausschließlich zu Protokoll gegeben wurden. Andererseits verströmen die Inhalte zahlreicher Beiträge einen
so gespenstischen Hauch von 50er Jahre – Propaganda, dass es einen schaudern kann.
Die PDL hatte in ihrem Antrag (siehe: Antrag: Für eine Normalisierung der Beziehungen der Europäischen Union zu Kuba) gefordert, dass sich der deutsche
Bundestag für eine Aufhebung des »Gemeinsamen Standpunktes der EU vom 02.12.1996
(siehe: Gemeinsamer Standpunkt vom 2. Dezember 1996) sowie
gegenüber der US-Regierung für die Freilassung der widerrechtlich seit 13 Jahren inhaftierten »Miami 5«
(siehe: Antrag: Freilassung der »Miami 5«) einsetzen möge.
In dem »Gemeinsamen Standpunkt« der EU geht es im Kern darum, dass Cuba erst dann gleichberechtigte zwischenstaatliche
Beziehungen angeboten werden sollten, wenn dort ein Systemwechsel stattgefunden habe; ein weltweit einmaliger Vorgang.
Auf die logisch Forderung nach dessen Abschaffung wurde seitens mehrerer Redner mit einer Beschimpfungstirade gegenüber dem
souveränen UN-Mitgliedsstaat Cuba geantwortet, der an die Hochzeit des Kalten Krieges in den 50er Jahren des letzten
Jahrhunderts gemahnte: »(…) totalitärste Regime der westlichen Hemisphäre (…) 50 Jahre Unterdrückung, Folter
(…) und Unfreiheit in allen Bereichen (…) Gewaltregime« kennzeichneten die Qualität der zu Protokoll gegebenen Statements
vor allem der Regierungsredner.
Unfreiwillig komisch wirkt es, wenn ausgerechnet der Redner der CDU/CSU-Fraktion Wadephul der PDL-Fraktion vorwirft, »dass sie
in der heutigen Zeit noch nicht angekommen ist« und »das kubanische Modell« u.a. wegen »der hohen Zahl der Arbeitslosen im
Land« als »politisch wie wirtschaftlich gescheitert« einstuft sowie die völlige Ablösung aller staatlichen Kontrolle,
also den entfesselten Kapitalismus für dieses Land fordert, während dieser sich hierzulande gerade in seiner bisher
tiefsten Krise befindet und europaweit eine nie dagewesene Massenarmut nebst Demokratieabbau produziert.
Welch neokolonialistischer Denkweise die Regierungsvertreter verhaftet sind, zeigt sich daran, dass gleichberechtigte
zwischenstaatliche Beziehungen zu Cuba, eine »Normalisierung der Beziehungen« als, so mehrmals wörtlich, »Belohnung« und
»Entgegenkommen« seitens der Bundesrepublik und der anderen EU-Länder klassifiziert werden und nicht etwa –
gemäß UNO-Charta – als Grundvoraussetzung aller internationalen Beziehungen!
Der Grüne Menschenrechtskrieger Koenigs bürdet in perfider Umkehr der Kausalität der cubanischen Regierung selbst
die Schuld an der gegen das Land verhängten Blockade auf, schliesst sich der anticubanischen CDU-Propaganda bis in die
Wortwahl an und verfügt alsdann Denkverbote für die Bundestagsabgeordneten: »Dass dies [die »Förderung von
Demokraten und Demokratie in Kuba«] die Ziele der EU sind (…), wird doch hoffentlich in diesem Haus nicht zu Debatte gestellt.«
Die SPD sieht wie eh und je in der »harten« Blockade das weniger geeignete Mittel, um die Revolution zu erwürgen und bleibt
mit ihrer Politik des »Wandels durch Annäherung« ebenfalls dem vergangenen Jahrhundert verhaftet. Außerdem
müsste angesichts der Integration Cubas in die lateinamerikanische Gemeinschaft mehr das »deutsche Ansehen in der Region«
berücksichtigt werden.
Überraschend deutlich äußert sich deren Redner Barthel allerdings zum zweiten Komplex: »Keine Frage: Die
„Miami Five“ müssen endlich freigelassen werden«. Hier bot sich der SPD die Möglichkeit, in der Frage der
Menschenrechte auch für die fünf Cubaner »klare Kante« zu zeigen. Doch diese Chance wurde vertan und der
brüllende Löwe landet sogleich als Bettvorleger. Denn aus formalen Gründen (!) könne seine Fraktion sich
in dieser Frage dem Antrag nicht anschließen. Na denn, gute Nacht, Herr Barthel.
Dass die Regierungsfraktionen den skandalösen Schauprozess gegen die MIAMI 5, der von UN-Gremien, internationalen
Menschenrechtsorganisationen, zahlreichen Nobelpreisträgern, Künstlern und führenden politischen
Persönlichkeiten in aller Welt heftig kritisiert wird, als »in einem rechtsstaatlichen Verfahren nach internationalen
Rechtsstandards in dem Rechtsstaat USA« (FDP-Rednerin Schuster / so viel Tautologie war selten) bezeichnen, verwundert denn
auch nicht weiter. Ebensowenig, dass Herr Koenigs als einziger zu diesem Thema nicht ein einziges Wort verliert.
- Der Antrag zum »Gemeinsamen Standpunkt« der EU wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die der PDL bei Enthaltung von
SDP und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
- Der Antrag zu den MIAMI 5 wurde an diverse Ausschüsse verwiesen und ist damit erst mal für längere Zeit vom
parlamentarischen Tisch, während die unschuldigen Cubaner Tag für Tag, Nacht für Nacht in den US-Knästen
verbringen – bei anhaltender Besuchsverweigerung für zwei Ehefrauen seit über einem Jahrzehnt.
Wir stellen fest:
Der Deutsche Bundestag hat eine große Chance vertan, endlich aus den Schützengräben des Kalten Krieges
herauszukommen, sich für gleichberechtigte zwischenstaatliche Beziehungen mit dem souveränen Cuba zu entscheiden und
damit im 21. Jahrhundert anzukommen.
Man stelle sich einmal vor, was im Bundestag los wäre, wenn im cubanischen Parlament (beispielsweise) über die
faschistische Mordserie mit höchst dubiosen Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste in der BRD der letzten 12 Jahre
diskutiert würde mit dem Ergebnis, diese als »Nazi-Staat« zu bezeichnen, in dem die Menschenrechte für bestimmte
Bevölkerungsgruppen nichts gälten. Was wäre wohl los, wenn das cubanische Parlament den absurden Beschluss
fassen würde, allen lateinamerikanischen Staaten zu empfehlen, gleichberechtigte zwischenstaatliche Beziehungen zur BRD
und den anderen EU-Ländern so lange auszusetzen, bis dort ein Systemwechsel, also sozialistische Revolutionen,
stattgefunden haben würden.
- Wir fordern nach wie vor die bedingungslose Streichung des neokolonialistischen »Gemeinsamen Standpunkts« der EU.
- Wir fordern von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, endlich gleichberechtigte zwischenstaatliche Beziehungen zu
Cuba aufzunehmen, ohne Bevormundung und Einmischung in dessen innere Angelegenheiten, so wie es vom Völkerecht vorgesehen
ist.
- Wir fordern die Freilassung der MIAMI 5 bzw. die sofortige Ausreisegenehmigung für René González, der nach
13jähriger ungerechtfertigter Haft nun drei Jahre mit elektronischer Fußfessel ausgerechnet in der Hochburg des
anticubanischen Terrorismus, im Miami, verbringen soll und damit von der US-Justiz unmittelbarer Lebensgefahr ausgesetzt wurde.
Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V., Regionalgruppe Essen
i.A. Heinz-W. Hammer, Vorsitzender
Essen, den 9. Dezember 2011