Kurs auf Annäherung
Kuba und EU verhandeln über Kooperationsabkommen
Am heutigen Mittwoch wollen die Vertreter Kubas und der Europäischen Union in Havanna ihre Verhandlungen zur Normalisierung der Beziehungen beider Länder fortsetzen. Das für zwei Tage angesetzte Treffen ist bereits die fünfte Runde der Ende April 2014 in der kubanischen Hauptstadt begonnenen Gespräche. Ziel der Verhandlungen ist eine »Vereinbarung für politischen Dialog und Zusammenarbeit«, die den »Gemeinsamen Standpunkt der EU« ablösen soll. Letzteres Dokument war 1996 auf Initiative des rechtskonservativen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar beschlossen worden und blockiert seitdem die Kubapolitik Brüssels. Der »Gemeinsame Standpunkt« macht einen Systemwechsel auf der sozialistischen Karibikinsel zur Bedingung für die Aufnahme normaler Beziehungen. Kuba ist deshalb das einzige Land Lateinamerikas, mit dem die EU kein Kooperationsabkommen abgeschlossen hat.
In Havanna könnte es nun einen Durchbruch geben. Nach der vierten Verhandlungsrunde in Brüssel hatten Vertreter beider Delegationen am 16. Juni bereits erklärt, dass die Beratungen über ein Handelsabkommen praktisch abgeschlossen und in den »sehr fortgeschrittenen« Gesprächen über eine Kooperationsvereinbarung wichtige Ergebnisse erzielt worden seien. Beide Seiten hatten zugleich ihre Absicht unterstrichen, das Kooperationsabkommen so »schnell wie möglich« unter Dach und Fach zu bringen.
Nach dem Besuch von Frank-Walter Steinmeier, der im Juli als einer der letzten EU-Außenminister zu Verhandlungen über bilaterale Abkommen nach Havanna gereist war, gilt die Abschaffung des »Gemeinsamen Standpunktes« praktisch nur noch als Formsache. Neben Polen und Tschechien hatte die Bundesrepublik als eines der letzten EU-Länder lange auf einer »harten Linie« gegenüber Kuba bestanden. Im Juli gab Steinmeier sich dann offener. »Ich freue mich, dass wir die Zeiten des Schweigens überwinden können, die es in den Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba gegeben hat«, erklärte er nach einem Treffen mit Kubas Präsident Raúl Castro. Mittlerweile haben 18 der 28 EU-Länder bilaterale Vereinbarungen mit Havanna abgeschlossen. Darüber hinaus positionieren die Europäer sich deutlicher als zuvor gegen die Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade, die die USA seit 1962 über die sozialistische Karibikinsel verhängt haben. Der neue Kurs wurde zuletzt beim Gipfeltreffen der 28 EU-Mitglieder mit den Vertretern der 33 Länder der »Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten« (CELAC), das im Juni in Brüssel stattfand, dokumentiert. Im Schlusskommuniqué kritisierten alle Teilnehmer die »exzessiven humanitären Auswirkungen« der Blockade »für das kubanische Volk«. Die Sanktionen würden auch »die legitime Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kuba, der Europäischen Union und anderen Ländern« behindern, heißt es in der Resolution.
Ebenfalls in Brüssel hatten Vertreter der EU und Kubas Ende Juni in einem separaten Treffen den während der Kooperationsverhandlungen zwischen beiden Seiten vereinbarten Dialog zum Thema Menschenrechte aufgenommen. Es sei kein Geheimnis, dass die Ansichten dazu in etlichen Punkten sehr verschieden seien, hieß es danach aus Verhandlungskreisen. Die EU möchte vor allem über Themen wie Mehrparteiensystem und Pressefreiheit verhandeln. Kuba besteht dagegen darauf, dass in den Gesprächen neben den politischen auch die sozialen, kulturellen und ökonomischen Menschenrechte gleichwertig behandelt werden. Dazu möchte Havanna etwa Fragen der Diskriminierung und der unterschiedlichen Entlohnung von Frauen und Männern ansprechen. Ebenso gehören, nach Auffassung der kubanischen Seite, Rassismus und Polizeiterror in den USA sowie die Menschenrechtssituation von Flüchtlingen und der Umgang mit religiösen und ethnischen Minderheiten in Europa auf die Agenda. Trotz bestehender Differenzen gebe es jedoch die Bereitschaft, den Austausch fortzusetzen, betonten beide Seiten.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 09.09.2015