Lateinamerika ist wachsam
»Forum von Sao Paulo« sagt in Mexiko-Stadt Neoliberalismus den Kampf an.
Die Verteidigung progressiver Regierungen und der weitere Kampf für Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit waren die beherrschenden Themen beim 21. Treffen des »Forums von Sao Paulo«, das am heutigen Samstag in Mexiko-Stadt beendet wird. Seit Mittwoch diskutieren dort die Vertreter von 104 linken Parteien und Organisationen aus 23 Ländern Lateinamerikas und der Karibik, sowie Gäste aus Europa, Asien und Afrika über Konzepte zur Stärkung der fortschrittlichen Kräfte in der Region.
In den Debatten ging es bisher vor allem um gemeinsame Strategien zur Abwehr der »neoliberalen imperialistischen Gegenoffensive« mit der versucht werde, linke Regierungen gewaltsam zu stürzen. Die Zukunft Lateinamerikas hänge von der Fortsetzung des Integrationsprozesses ab, aber auch davon, ob die fortschrittlichen Regierungen es schaffen, sich gegen die Angriffe der Rechten zu behaupten, sagte José Ramón Balaguer, Chef der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas (PCC). Er rief die Vertreter der Region zu größter Wachsamkeit und zur Geschlossenheit auf. Denn was in einem Land geschehe, »wirkt sich auf uns alle aus«. Balaguer unterstrich seine Warnung mit dem Hinweis, dass der Imperialismus Länder wie den Irak und Libyen zerstört habe und das gleiche in Syrien beabsichtige. Dort wie in Lateinamerika ginge es um Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit.
Das auf gemeinsame Initiative des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro und des brasilianischen Gewerkschaftsführers und späteren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva 1990 gegründete Forum, das als bedeutendste Plattform der lateinamerikanischen Linken gilt, tagt zum vierten Mal in der mexikanischen Hauptstadt. Gastgeber sind die Oppositionsparteien PRD (Partido de la Revolución Democrática) und PT (Partido del Trabajo). Jahrzehntelang hätte die Bevölkerung Lateinamerikas unter der neoliberalen Politik rechter Regierungen und unter Militärdiktaturen gelitten, sagte der PRD-Vorsitzende Carlos Navarrete Ruiz auf einer Pressekonferenz zur Eröffnung. Heute würden dagegen zwölf Länder der Region von fortschrittlichen und linken Parteien, die auch Mitglieder des »Forums von Sao Paulo« seien, regiert. Dies sei eine Entwicklung, die »gewürdigt und verteidigt« werden müsse. Mónica Valente, Generalsekretärin des Forums und Vertreterin der brasilianischen Arbeiterpartei PT, wies darauf hin, dass die Plattform in den 25 Jahren ihres Bestehens dazu beigetragen habe, den Neoliberalismus auf dem Kontinent zurückzudrängen. Die progressiven Regierungen hätten dagegen die soziale Entwicklung der Bevölkerungsmehrheit, ihre Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, den Kampf gegen die Armut und mehr soziale Gerechtigkeit zum Ziel.
Obwohl die Teilnehmer in Mexiko-Stadt die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA und den begonnenen Normalisierungsprozess begrüßten, wurde vor Illusionen über eine neue Politik Washingtons in Lateinamerika gewarnt. Die noch immer gegenüber Havanna aufrechterhaltene Blockade und die Weigerung der USA, das illegal besetzte Gebiet in der Bucht von Guantánamo an Kuba zurückzugeben, seien ebenso Belege für den nach wie vor aggressiven Charakter der US-Außenpolitik wie die Angriffe auf progressive Präsidenten. Alarmiert ist die Linke in Lateinamerika vor allem wegen der von Washington unterstützten und oft sogar initiierten Destabilisierungsversuche gegen die demokratisch gewählten Regierungen Venezuelas, Ecuadors, Boliviens, Brasiliens und anderer Länder der Region. Vor dem Abschlussplenum, auf dem eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden soll, ging es deshalb auch um den weiteren Integrationsprozess in der Region, die Forderung nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit (zum Beispiel in Puerto Rico), Auswirkungen der globalen Krise des kapitalistischen Systems, Fragen der Migration, die Situation der Menschenrechte sowie die Rolle der Kommunikationsmedien in Lateinamerika und der Karibik.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 01.08.2015