Kuba und EU nähern sich an
Verhandlungen zu Zusammenarbeitsabkommen auf der Zielgeraden.
Die Verhandlungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Kuba gehen in die Zielgerade. Nach der sechsten Gesprächsrunde teilte das kubanische Außenministerium am Donnerstag mit, dass beim zweitägigen Treffen am Dienstag und Mittwoch in Brüssel über die meisten Punkte Einigung erzielt wurde. Der faktisch ohnehin bedeutungslos gewordene »Gemeinsame Standpunkt« aus dem Jahr 1996 ist offenbar endgültig vom Tisch. Doch während die EU und Kuba sich annähern, führten bilaterale Gespräche über das Thema Migration am Montag in Washington zu keinem Ergebnis. Die USA wollen auch weiterhin die Auswanderung kubanischer Spezialisten fördern. Kuba kündigte daraufhin Maßnahmen zur Sicherung der medizinischen Versorgung an, die am kommenden Montag in Kraft treten.
Bewegung gab es dagegen in Brüssel. Wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf einen Informanten »aus dem Umfeld der europäischen Verhandlungskommission« berichtete, vertritt die EU nicht länger ihre frühere Forderung nach einem »Reformprogramm für Kuba«. Zur Begründung wird die gleiche Quelle mit der Aussage zitiert: »Die EU und Kuba haben unterschiedliche wirtschaftliche, politische und soziale Vorstellungen.« Deshalb hätten die Europäer nicht vor, Aussagen über politische Systeme oder eine Forderung nach »Reformen« in dem angestrebten Abkommen zu verankern. Das ist eine Kehrtwendung der EU um 180 Grad und ein Erfolg für Havanna. Der »Gemeinsame Standpunkt«, der vor knapp 20 Jahren auf Druck des rechtskonservativen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar beschlossen worden war und formal noch immer in Kraft ist, macht einen Systemwechsel auf der sozialistischen Karibikinsel zur Bedingung für normale Beziehungen. Kuba ist deshalb das einzige Land Lateinamerikas, mit dem die EU bisher kein Kooperationsabkommen abgeschlossen hat.
Ziel der im April 2014 aufgenommenen Gespräche ist deshalb eine »Vereinbarung für politischen Dialog und Zusammenarbeit«, die den Beschluss von 1996 auch formal ablösen soll. Wie die Leiter der Verhandlungsdelegationen, der Amerika-Chef des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Christian Leffler, und der stellvertretende kubanische Außenminister Abelardo Moreno mitteilten, soll diese Vereinbarung aus drei Teilen bestehen, die konkrete Regelungen in den Bereichen Handel, Zusammenarbeit und politischer Dialog umfassen. Nach Mitteilung des kubanischen Außenministeriums wurde über das Kapitel zum Handel jetzt in Brüssel eine Einigung erzielt. Der Abschnitt zur Zusammenarbeit stehe ebenfalls kurz vor dem Abschluss. In dem als »politischer Dialog« bezeichneten dritten Bereich habe es zwar Fortschritte gegeben, doch bestünden hier nach wie vor unterschiedliche Positionen, die Gegenstand der nächsten Gesprächsrunde seien. In diesem Abschnitt will die Europäische Union unter anderem Regelungen zu Bürgerrechten und zur »Stärkung der Zivilgesellschaft« in Kuba vereinbaren. Havanna besteht dagegen auch auf Themen wie Arbeitsbedingungen, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Verbraucherschutz sowie das Recht aller Bürger auf Erziehung, Gesundheitsversorgung und Teilhabe am kulturellen Leben. Beide Seiten bekräftigten ihre Absicht, das Abkommen, das »eine neue Etappe der bilateralen Beziehungen« markiere, so »schnell wie möglich« unter Dach und Fach zu bekommen. Beobachter halten einen Abschluss im ersten Halbjahr 2016 für möglich. Die nächste und siebte Verhandlungsrunde soll in den ersten Monaten des neuen Jahres in Havanna stattfinden.
Keine Einigung erzielten dagegen die Vertreter Kubas und der USA am Montag in Washington bei ihren Gesprächen zum Thema Migration. Havanna wirft der US-Regierung vor, durch den »Cuban Adjustment Act« (CAA) die Ausreise kubanischer Bürger zu fördern und damit die aktuelle Migrationskrise in Lateinamerika verursacht zu haben. Dieses Gesetz garantiert Kubanern – im Gegensatz zu anderen Migranten – auch nach »illegaler« Einreise ein Aufenthaltsrecht auf Lebenszeit sowie zahlreiche weitere Privilegien. Sowohl der CAA als auch das US-Programm »Cuban Medical Professional Parole« (CMPP), mit dem medizinische Fachkräfte bei Auslandseinsätzen abgeworben werden, verstießen gegen geltende Verträge. Trotz einhelliger Kritik in der Region erklärte Washington jedoch, weder den »Cuban Adjustment Act«, noch das Programm zur Abwerbung von Ärzten aufzugeben. Die kubanische Regierung kündigte daraufhin am Dienstag Maßnahmen an, um »unserem Volk einen effizienten Gesundheitsdienst von hoher Qualität zu garantieren«. Von kommendem Montag an, muss »medizinisches Personal verschiedener Fachrichtungen« Auslandsreisen bei der jeweiligen Arbeitsstelle anmelden und genehmigen lassen.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 04.12.2015