Kubanischer Dissident inszeniert Show im eigenen Interesse und blamiert gesamte Opposition.
Die kubanischen Regierungsgegner sind untereinander zerstritten wie selten zuvor. Aktuellen Anlass für Häme und Spott gibt Hungerstreik-Rekordhalter Guillermo Fariñas. Am Montag hatte er in der zentralkubanischen Stadt Santa Clara erklärt, dass er seinen jüngsten »Hunger- und Durststreik« am 55. Tag beende, da dieser erfolgreich gewesen sei.
Er behauptete, die EU habe in ihren Verhandlungen über ein Abkommen mit Kuba eine nach ihm benannte Änderungsklausel eingebracht. Danach würden wirtschaftliche Leistungen für die Insel künftig davon abhängig gemacht werden, ob Havanna Systemgegnern Zugeständnisse und Zusagen mache, wie er es mit seiner Aktion gefordert habe. Dies, so erklärte Fariñas laut der in Miami erscheinenden Tageszeitung El Nuevo Herald, sei ein »bedeutender Sieg«.
In Deutschland verbreitete die rechtslastige »Internationale Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM), die Fariñas unterstützt, diese Meldung am Dienstag. Da hatten der Nuevo Herald und die spanische Nachrichtenagentur EFE durch eigene Recherchen längst herausgefunden, dass dessen angeblicher Triumph eine Falschmeldung war. Carlos López Montenegro, ein Sprecher der antikommunistischen »Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung« (CANF) in Miami, bestätigte am Dienstag nach Rücksprache mit rechtskonservativen Politikern in Brüssel, dass die EU niemals beschlossen habe, eine »Änderungsklausel Fariñas« in die Gespräche mit Kuba einzubringen. In seiner Erklärungsnot legte der beim Lügen Ertappte jedoch noch eins obendrauf: In der Nuevo Herald erklärte Fariñas am Dienstag, die kubanische Regierung habe eine gefälschte Seite ins Internet gestellt, um ihn zu täuschen und um zu erreichen, dass er seinen Hungerstreik abbricht. Das war selbst hartgesottenen Gegnern der kubanischen Regierung zu dreist.
»Der Hungerstreik von Fariñas war eine Lüge«, stellte die in Paris lebende exilkubanische Zoé Valdés am Dienstag in einem Interview mit der spanischen Onlinezeitung La Cuarta Columna fest. Valdés, die zu den aggressivsten Gegnern der sozialistischen Gesellschaftsordnung in Kuba zählt, wirft Fariñas vor, eine »Show« inszeniert zu haben, die niemandem nütze außer ihm selbst. Dies sei letzten Endes jedoch nichts anderes als der Versuch, die Opposition in Kuba und im Exil zu zerstören. Fariñas sei eine Person, die jede Art von Anerkennung und Unterstützung erhalten habe, ohne dies verdient zu haben. Valdés spielte damit auf seine Auszeichnung mit dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments an. Der mit 50.000 Euro verbundene Preis hatte der Systemgegner im Dezember 2010 nach einem angeblich 135 Tage dauernden Hungerstreik erhalten, den er am 8. Juli 2010 aus »Protest gegen das Castro-Regime« gewesen. Mittlerweile sollen es, Fariñas zufolge, etwa ein halbes Dutzend mehr sein.
Im Gegensatz zu früheren Aktionen hatte der jüngste Hungerstreik bei Medien in den USA und Europa kaum noch Interesse geweckt. Lediglich Mitarbeiter der US-amerikanischen und spanischen Botschaft in Kuba statteten ihm Anfang August einen kurzen Besuch ab. Zum selben Zeitpunkt verweigerte auch der erst vor einigen Jahren angeworbene Dissident Carlos Amel Oliva aus »Solidarität mit Fariñas« die Nahrungsaufnahme. Reinaldo Escobar, Ehemann der im Westen bekannten Yoani Sánchez, sorgte sich im Blog »14ymedio« seiner Frau um den Gesundheitszustand von Amel Oliva. Als die Geschichte immer noch nicht von den westlichen Medien aufgegriffen wurde, tauchte Amel Oliva plötzlich wohlgenährt bei einer Pressekonferenz in Miami auf.
Valdés charakterisierte Fariñas Auftritte in ihrem Interview später als »respektlos«. Die Kubaner hätten derartige »lächerliche Melodramen« nicht verdient. Dessen ungeachtet sicherte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), ihm seine »volle persönliche Unterstützung« zu.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 16.09.2016