Blockade gegen Kuba
Obamas Widersprüche
Die Situation ist paradox. Um die Blockade gegen Kuba zu lockern, muss US-Präsident Barack Obama ein Gesetz aus dem ersten Weltkrieg verlängern, das die juristische Grundlage für sie bildet. So jedenfalls begründete der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates die Entscheidung vom Freitag.
Aus Havanna, wo am selben Tag erstmals die bilaterale Kommission Kuba-USA tagte, gab es weder Protest noch kritische Kommentierungen. Nicht nur für Kubas Freunde eine auf den ersten Blick unverständliche Situation.
Bei genauerem Hinsehen löst sich der Widerspruch jedoch auf. Bereits seit längerer Zeit warnen engagierte Blockadegegner wie der Jurist Robert Muse oder der Analyst und Kubaexperte William M. LeoGrande Obama davor, in eine verführerische Falle zu tappen. Sollte er das »Gesetz über den Handel mit dem Feind« bis zum Stichtag am heutigen Montag nicht verlängern, verlöre der Präsident jede Möglichkeit, einzelne Sanktionen zu modifizieren. Innenpolitische Gegner genossen die vermeintliche Zwickmühle, in der sie Obama sahen. Bei Verlängerung droht ein Verlust der Glaubwürdigkeit. Bei einer Aufhebung blieben andere Bestimmungen wie das Helms-Burton-Gesetz und der Torricelli Act bestehen, aber Obama hätte keine Handhabe mehr, selbst über die Zulassung von Flug- und Fährverbindungen oder die Aufhebung von Reiseverboten sowie von Handelsbeschränkungen zu entscheiden. Auf diese hoffen aber sowohl US-Unternehmen, die sich auf Geschäfte mit Kuba freuen, wie auch die Regierung in Havanna. Das erklärt, warum lauter Protest von dort diesmal ausblieb.
Die Reduzierung der seit mehr als 50 Jahren existierenden völkerrechtswidrigen US-Blockade gegen Kuba auf ein juristisch-technisches Problem zeigt aber auch, dass alle bisherigen Fortschritte in den Beziehungen beider Länder vom »Goodwill« des Präsidenten abhängen und damit nicht unumkehrbar sind. Sollte im Januar 2017 ein Republikaner Obamas Nachfolge antreten, stehen viele Entscheidungen wieder zur Disposition, wenn die Blockadegesetze bis dahin nicht insgesamt vom Kongress beerdigt worden sind.
Spekuliert wird nun, ob Papst Franziskus zu einer Lösung beitragen kann. Am Freitag wird er in Havanna erwartet, am Sonntag ist ein Gespräch mit Kubas Präsidenten Raúl Castro vorgesehen. Am 23. September trifft er dann Obama in Washington, und einen Tag später soll er als erster Pontifex maximus eine Rede vor dem US-Kongress halten.
In den USA planen Kubagruppen schon ab Mittwoch Aktionen. Denn wenn die Blockade endlich fällt, ist das weder der Großzügigkeit der Obama-Administration noch dem Einfluss eines höheren Wesens zuzuschreiben, sondern vor allem dem Widerstand und Durchhaltevermögen Kubas und seiner Unterstützung durch die internationale Solidaritäsbewegung.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 14.09.2015