Nothilfe gegen den Irrsinn
Mittelmeer: Lateinamerikanische Staaten wollen Flüchtlingen aus Afrika zu Hilfe kommen. Bolivarische Allianz ALBA kündigt Sonderprogramm an.
Mehr als 225.000 Menschen sind nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (UNHCR) seit Beginn des Jahres 2015 über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet. Mehr als die Hälfte von ihnen, 124.000 Menschen, kamen in Griechenland an. Seit Jahresbeginn überlebten etwa 2.100 Personen die gefährliche Überfahrt nicht.
Die europäischen Mächte seien »von dieser Lage vollkommen überfordert« und würden deshalb »falsche Entscheidungen« treffen, kommentierte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro die Lage am Montag (Ortszeit) in Caracas bei einem Treffen der Außenminister der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA). Die elf Mitgliedsstaaten des antiimperialistischen Bündnisses wollen gemeinsam einen Notfallplan aufstellen, um den in Europa Schutz suchenden Menschen aus Afrika zu helfen. »Wir müssen ihnen die Hand geben, unsere Unterstützung anbieten, denn sie fliehen vor Hunger und Elend«, betonte Maduro. Zu dem Programm gehören demnach Investitionen zum Ausbau der Gesundheits- und Lebensmittelversorgung sowie der Bildung und Ausbildung in Afrika. Die ALBA müsse neue Friedensinitiativen entwickeln: »So erfüllen wir unsere Verpflichtung, dem Essen zu geben, der hungert, und den zu umarmen, der friert – im Sinne von Christus und im Sinne von Chávez und Fidel.« Die früheren Präsidenten Venezuelas und Kubas hatten die ALBA 2004 gegründet.
In Europa fehle es den Verantwortlichen dagegen an jedem Mitgefühl für die von Krieg und Elend betroffenen Menschen, kritisierte Maduro. Für deren Lage verantwortlich seien die vom Imperialismus geführten Kriege unter anderem in Libyen und in Syrien. »Wenn es ihnen gelingt, die Regierung von Baschar Al-Assad zu stürzen, würde das, was wir in Libyen gesehen haben, wenig sein verglichen mit dem, was wir in Syrien erleben werden«, warnte der venezolanische Staatschef.
Maduro machte im Verhalten der hegemonialen Mächte eine sehr gefährliche Form »chaotischer Politik« aus, die sich aus einer Mischung imperialer Herrschaftsinteressen, der Überheblichkeit in den Machtzentren und schließlich irrsinniger Vorstellungen speise. Das habe nicht nur die Massenflucht Hunderttausender Afrikaner, Araber und Asiaten verursacht. Auch die Phänomene des Terrorismus, des massenhaften Hungers und der immer wieder aufflammenden Kriege seien das Ergebnis dieser chaotischen Politik des Westens. Eher früher als später werde man auch in Europa eingestehen müssen, welches Verbrechen man etwa mit der Bombardierung und Zerstörung Libyens begangen habe: »Wie lange noch wollen die NATO und die EU zu den Verbrechen schweigen, die sie am Mittelmeer zugelassen haben?«
In München wurde am Montag ein offener Brief veröffentlicht, mit dem sich Menschenrechtsaktivisten aus Lateinamerika unter anderem an Bundeskanzlerin Angela Merkel wenden. In dem Schreiben äußern unter anderem der mexikanische Bischof Raúl Vera und die kolumbianische Rechtsanwältin Liliana Uribe ihre Bestürzung über die Zunahme der Gewalttaten gegen Geflüchtete in Deutschland. »Die Unterbringungssituation der Asylsuchenden stellt eine klare Verletzung ihrer elementarsten Rechte dar. (…) Nicht wegen fehlender Mittel, sondern aufgrund fehlender Planung werden gerade immer mehr Menschen in Zeltlagern ohne ausreichende Sanitäranlagen und mit mangelhaftem Zugang zu medizinischer Versorgung zusammengepfercht.«
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André Scheer
Junge Welt, 12.08.2015