Zielscheibe der Reaktion
Der lateinamerikanische Fernsehkanal Telesur wird jetzt zehn Jahre alt. Alternative zu Konzernmedien.
Zum zehnjährigen Jubiläum des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur erhielt dessen Präsidentin Patricia Villegas in der vergangenen Woche ein Glückwunschschreiben von Fidel Castro, in dem dieser sich als »ständiger Zuschauer« des in Kuba zu empfangenden Kanals outete. Seine Treue begründete der Revolutionsführer damit, dass »Männer, Frauen und Kinder verschiedener sozialer Gruppen, Ethnien und Religionen, die indigene Bevölkerung, diejenigen afrikanischer Abstammung, die Besitzlosen und die einfachsten Menschen mit ihrer Würde, ihrer natürlichen Intelligenz und ihren bewegenden, oft herzzerreißenden Geschichten in diesem Sender einen Platz gefunden haben.«
Genau das ist das Konzept des »Fernsehen des Südens« (»Televisión del Sur«, kurz Telesur), das am 24. Juli 2005, dem 222. Geburtstag des Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar, zum ersten Mal auf Sendung gegangen war. Unter dem Motto »Nuestro Norte es el Sur«, was in etwa »Unsere Orientierung ist der Süden« heißt, versteht sich Telesur als Gegengewicht zu den bis dahin den Kontinent dominierenden privaten, US-amerikanischen Nachrichtengiganten CNN und Univisión aber auch der britischen BBC. Anders als die privaten Konkurrenten verfolgt der multistaatliche Sender keine Gewinnabsichten, sondern fühlt sich dem »Einigungsprozess der Völker des Südens, ihrem Kampf um Frieden, Selbstbestimmung und Achtung der Menschenrechte sowie der sozialen Gerechtigkeit« verpflichtet. Die Initiative zur Gründung geht auf den 2013 verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zurück, der damit eine Idee Castros umsetzte. Mit Hauptsitz in Caracas wird Telesur in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben, an der neben dem Hauptanteilseigner Venezuela auch Argentinien, Bolivien, Ecuador, Kuba, Nicaragua und Uruguay beteiligt sind.
Mit seinem 24stündigen Sendebetrieb, einem weltweiten Korrespondentennetz, einer ständig aktualisierten Homepage und Multimedia-Angeboten ist der alternative Kanal mittlerweile zu einem bedeutenden Akteur in der lateinamerikanischen Medienszene geworden. Neben stündlichen Nachrichten bietet das Programm Dokumentationen, Reportagen, Hintergrundinformationen, Wirtschaftsanalysen, Sportberichte sowie Beiträge über soziale, kulturelle und religiöse Themen, immer aus der »Sicht des Südens«. Telesur liefere Informationen, die es »bei anderen internationalen Medien nicht gibt«, erklärt der dem Beirat angehörende spanisch-französische Journalist Ignacio Ramonet den Erfolg. Und, als einer von vielen Gratulanten, lobte der venezolanische Intellektuelle Luis Britto Garcia die Beharrlichkeit, »das zu zeigen, was die anderen verschweigen«.
Beispiele dafür gibt es viele. So berichtete der Sender als einziger über die Hintergründe des Putsches gegen Präsident Manuel Zelaya 2009 in Honduras. Während westliche Leitmedien vor allem die Befürworter des Staatsstreiches zu Wort kommen ließen, fingen die Kameras der Telesur-Reporter Bilder vom Widerstand der Bevölkerung ein. Mehrere der Journalisten wurden daraufhin festgenommen. Auch 2010, in der Berichterstattung über den Putschversuch gegen Ecuadors Präsident Rafael Correa, entlarvte Telesur die Lügen transnationaler Medien, die verbreiteten, dass es sich um einen »Aufstand der Polizei« und nicht um einen Staatsstreich handele. »Eine unserer Linien besteht darin, das zu plazieren, was die traditionellen Medien nicht bringen«, sagt Patricia Villegas. Dazu gehören auch Informationen über Zusammenkünfte, Debatten und Beschlüsse der
lateinamerikanischen Staatenbündnisse wie ALBA, Celac oder Unasur, die von den privaten Mediengiganten größtenteils unterschlagen werden.
Telesur-Korrespondenten korrigieren gefälschte Informationen zunehmend auch auf internationaler Ebene. Bei dem von der NATO unterstützten Einmarsch in Libyen verbreiteten westliche Agenturen etwa, dass Muammar al-Gaddafi die eigene Bevölkerung bombardiere. Das Telesur-Team, das als erstes an Ort und Stelle war und exklusiv aus Tripolis berichtete, zeigte dann aber Bilder einer Stadt, die nicht bombardiert worden war.
Seine zunehmende Bedeutung macht den seit zehn Jahren erfolgreichen Fernsehsender jedoch auch zur Zielscheibe für die Reaktion. Im Februar 2015 hatten ultrarechte Gegner der venezolanischen Regierung bei einem gescheiterten Putschversuch die Telesur-Zentrale in Caracas zu einem ihrer »taktischen Bombardierungsziele« erklärt. Das war nicht die erste Attacke. Am 15. April 2013, einen Tag nach der Wahl von Nicolás Maduro zum neuen Präsidenten, griffen bewaffnete Contras eine Reihe alternativer Radio- und Fernsehsender in verschiedenen Provinzen Venezuelas an. Auch die Telesur-Zentrale war Ziel des rechten Mobs. Bei den von der Opposition provozierten gewalttätigen Ausschreitungen im Frühjahr 2014 richtete sich die Wut der Extremisten ebenfalls gegen Journalisten und Mitarbeiter des Senders, der dem Meinungsmonopol der Konzernmedien seit zehn Jahren hartnäckig zusetzt.
www.telesurtv.net
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 30.07.2015