Eine neue internationale Finanz- und Währungsordnung ist erforderlich
Rede von Armeegeneral Raúl Castro Ruz, Präsident des Staats- und Ministerrats, auf dem Gipfel der Gruppe der 77 und China.
Compañero Evo Morales Ayma, Präsident des Plurinationalen Staats Bolivien und Präsident der Gruppe der 77 und China:
Exzellenzen:
Ich danke Evo Morales Ayma, dem Präsidenten und prominenten Vertreter der Völker unserer Region, für die Einberufung dieses wichtigen Gipfeltreffens.
Am Ende der ersten Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, im Juni 1964, beschloss eine Gruppe von Entwicklungsländern, die sich der enormen Herausforderungen bewusst waren, welche sie zu bewältigen hätten, zusammen zu marschieren, um einem globalen Wirtschaftssystem entgegen zu treten, das sich seit damals als ungleich und ungerecht manifestiert hat.
Dieser Gruppe ist die Vorbereitung, Verhandlung und Annahme, am ersten Mai 1974, vor 40 Jahren, eines der wichtigsten politischen Dokumente im Kampf gegen Unterentwicklung und zur Erreichung der internationalen wirtschaftlichen Gerechtigkeit zu verdanken; der Erklärung und des Aktionsprogramms für die Errichtung einer neuen internationalen Ordnung (ich zitiere), "basierend auf Gerechtigkeit, souveräner Gleichheit, Unabhängigkeit, gemeinsamen Interessen und der Zusammenarbeit zwischen allen Staaten, unabhängig von ihrem wirtschaftlichen und sozialen System, welche ermöglichte, die Ungleichheiten auszugleichen und bestehende Ungerechtigkeiten zu beheben, die wachsende Kluft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern zu beseitigen und den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen eine beschleunigte wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu gewährleisten, in Frieden und Gerechtigkeit ..." (Ende des Zitats).
Bald darauf gelang ihr die Annahme der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, die die Ausübung der staatlichen Souveränität über die natürlichen Ressourcen und die Wirtschaftstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet verankert.
Diese wichtigen Dokumente besitzen noch ihre volle Gültigkeit, aber das Paradoxe ist, dass man heute nicht mehr über sie sprechen will. Sie werden als "veraltet" und "von der Realität überholt" bezeichnet.
Aber jetzt vertieft sich die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden und eine tiefe Weltwirtschaftskrise, Ergebnis des irreversiblen Niedergangs des Neoliberalismus, der unseren Ländern mit verheerenden Auswirkungen von den wichtigsten Machtzentren auferlegt wurde, hat sich zur längsten und schwierigsten der letzten acht Jahrzehnten entwickelt.
Der vorgesehene Zeitraum für die Erfüllung der Entwicklungsziele, die auf dem Milleniumsgipfel im Jahr 2000 vereinbart wurden, ist fast beendet, aber:
- 1,2 Milliarden Menschen in der Welt leben in extremer Armut. In Afrika südlich der Sahara ist die Zahl der Armen stetig gestiegen, sie betrug 290 Millionen im Jahr 1990 und 414 Millionen im Jahr 2010.
- Jeder achte Mensch auf der Welt leidet an chronischem Hunger.
- 45% der Kinder, die vor Erreichen des Alters von fünf Jahren sterben, sterben an Unterernährung.
- Die Auslandsverschuldung verzeichnet ein beispielloses Niveau, trotz der enormen Zahlungen, die wir geleistet haben.
- Es verschärft sich der Klimawandel, verursacht durch die irrationalen und verschwenderischen Muster der Produktion und des Konsums der Industrieländer, bei deren Beibehalten für 2030 natürliche Ressourcen benötigt würden, die zwei Planeten entsprechen.
Angesichts dieser Realitäten, behält das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung bei der Bewältigung des Klimawandels und anderer Umweltprobleme die volle Wirkung.
Wie Fidel Castro sagte: "Die Mittel zur Finanzierung der Entwicklung existieren. Was fehlt, ist der politische Wille der Regierungen der entwickelten Länder."
Es müssen eine neue internationale Währungs- und Finanzordnung und faire Handelsbedingungen für die Hersteller und Importeure gefordert werden von den Behütern des Kapitals, konzentriert im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank, von den Verfechtern des Neoliberalismus, gruppiert in der Welthandelsorganisation, die versuchen, uns zu teilen.
So muss es sein, wenn wir wollen, dass die Entwicklungsagenda nach 2015, in der die Ziele der nachhaltigen Entwicklung enthalten sein müssen, Antworten gibt auf die strukturellen Probleme der Wirtschaft in unseren Ländern, Änderungen herbeiführt, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen; dass sie universell ist und den verschiedenen Entwicklungsniveaus entspricht.
Herr Präsident:
Derzeit wird die Souveränität der Staaten verletzt, es wird krass gegen die Prinzipien des internationalen Rechts und die Bestimmungen der neuen Weltwirtschaftsordnung verstoßen. Es werden Konzepte eingeführt, mit denen versucht wird, die Einmischung zu legalisieren. Es wird Gewalt angewendet und ungestraft mit ihrer Anwendung gedroht. Die Medien werden genutzt, um die Teilung zu fördern. Noch immer klingt uns jene Drohung gegen "60 oder mehr dunkle Ecken der Welt" des US-Präsidenten George W. Bush in den Ohren, natürlich alle Mitgliedsländer der Gruppe der 77.
Wir müssen Solidarität mit denjenigen üben, denen mit Aggression gedroht wird. Der klarste Fall ist heute die Bolivarische Republik Venezuela, gegen die anspruchsvolle Mittel der Subversion und Destabilisierung eingesetzt werden, einschließlich Putschversuchen, nach den Konzepten der unkonventionellen Kriegsführung, die die Vereinigten Staaten heute anwenden, um Regierungen zu stürzen und Gesellschaften zu untergraben und zu destabilisieren.
Seit 50 Jahren sind wir Opfer einer Blockade durch die USA; terroristischer Aktionen, die Tausende unserer Bürger getötet, und erhebliche Schäden verursacht haben. Die absurde Aufnahme von Kuba auf die Liste der "Förderer-Staaten des internationalen Terrorismus" ist ein Affront gegen unser Volk.
Wie wir angeprangert haben, wachsen die Förderung der Illegalen, geheimen und subversiven Aktivitäten und die Verwendung des Cyberspace, um zu versuchen, uns zu destabilisieren, nicht nur Kuba, sondern allgemein Länder, deren Regierungen keine Einmischung oder Bevormundung akzeptieren. Somit kann jedes Land Objekt von Cyber-Angriffen werden, die auf die Förderung von Mißtrauen, Instabilität und potenzialen Konflikten abzielen.
In all diesen Jahren hat uns immer die starke Solidarität der Mitglieder der Gruppe der 77 und China begleitet, wofür ich mich im Namen des kubanischen Volkes bedanke.
Nutzen wir diesen 50. Jahrestag der Gruppe der 77 dazu, unsere gemeinsame Verpflichtung zu erneuern, um für den Aufbau einer gerechteren Welt Anstrengungen zu konzentrieren und enger zusammenzurücken.
Vielen Dank (Applaus).
Raúl Castro Ruz
15.06.2014, Santa Cruz de la Sierra, Bolivien
Quelle: Granma Internacional, 15.07.2014