Neue Verfassung erteilt jeder Art von Diskriminierung zwischen Menschen eine Absage.
Ganz in Weiß gekleidet, mit Brautschleier und Blumensträußen in den Händen posieren zwei junge Frauen am Malecón, Havannas Uferpromenade. Fotos werden geschossen, sie umarmen, küssen sich. Zahlreiche Passanten bleiben stehen, beobachten interessiert die Szenerie, einige beglückwünschen die Frischgetrauten.
Aber es ist keine wirkliche Hochzeit, die da stattfindet, sondern eine öffentliche Performance zweier Schauspielerinnen, um für die gleichgeschlechtliche Ehe zu werben. Fast zeitgleich diskutierte am Wochenende die kubanische Nationalversammlung, nur ein paar Hundert Meter entfernt, den Entwurf der neuen Verfassung. Mit der Verfassungsänderung werden die Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre rechtlich verankert und einige Neuerungen in der politischen Struktur eingeführt. Auch die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe wird diskutiert.
»Es ist eine Debatte, an der wir vom Künstlerischen aus teilnehmen wollen«, sagt Mariela Brito, eine der beiden Schauspielerinnen. »Wir intervenieren im öffentlichen Raum und der öffentlichen Debatte, institutionell oder nicht, um unseren Ansichten zu teilen. Das haben wir immer schon gemacht.«
Nach lebhafter Diskussion beschloss die kubanische Nationalversammlung am Sonntag, die Ehe nicht mehr als »freiwilligen Bund zwischen einem Mann und einer Frau« zu definieren, sondern als »freiwillige Verbindung zwischen zwei Personen«. Das eröffnet die Möglichkeit zur Homo-Ehe.
»Mit diesem Vorschlag zur Verfassungsänderung platziert sich Kuba zwischen Vorreiterländern bei der Anerkennung und Garantie von Menschenrechten«, so die Parlamentarierin Mariela Castro Espín, Tochter des früheren Präsidenten Raúl Castro und als Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexuelle Bildung (Cenesex) seit Jahren prominenteste Aktivistin für die Rechte von Schwulen und Lesben in Kuba. Die Abgeordnete Yolanda Ferrer verteidigte sexuelle Vielfalt als »ein Recht, und kein Stigma« und rief dazu auf, »Jahrhunderte der Rückständigkeit« hinter sich zu lassen. Auch verteidigte sie das Recht schwul-lesbischer Paare auf Familie. Ob gleichgeschlechtlichen Paaren auch die Adoption von Kindern erlaubt wird, soll aber über das Familienrecht geregelt werden.
Schon die bloße Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe hatte im Vorfeld eine kontroverse Debatte ausgelöst. Fünf protestantische Kirchen hatten sich in einem offenen Brief vehement dagegen ausgesprochen; in den sozialen Netzwerken waren heftige Diskussionen entbrannt.
Die mögliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe - über den Verfassungsentwurf muss noch in einem Referendum angestimmt werden - wurde in Kubas LGBT-Gemeinschaft mit Genugtuung aufgenommen. Sie hätte gedacht, dass die konservativen Kräfte in der Regierung dies verhindern würden, so die Genderaktivistin Isbel Torres. »Zum Glück ist das nicht der Fall gewesen.« Zugleich warnte sie vor der vielen Arbeit, die noch zu tun sei. »Kuba bleibt weiterhin ein stark homophobes Land, mehr in den Provinzen als in der Hauptstadt«, aber Homo- und Transphobie seien weiterhin weit verbreitet - bis hinein in die Institutionen.
Kuba hat einige dunkle Kapitel in Sachen Diskriminierung von Schwulen hinter sich. Während der ersten Jahre der Revolution wurden Homosexuelle auf Kuba aufgrund ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt und eingesperrt. So fanden sich zwischen 1965 und 1968 Hunderte Schwule in Arbeitslagern, den sogenannten Militäreinheiten zur Unterstützung der Produktion (UMAP), wieder. Auch wenn die UMAPs ein Beispiel der Ausgrenzung der Homosexuellen in Kuba sind, erreichte die institutionelle Homophobie ihren Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren. In einem Interview mit der mexikanischen Tageszeitung »La Jornada« übernahm Fidel Castro im August 2010 überraschend persönlich die Verantwortung und entschuldigte sich für die »große Ungerechtigkeit«. Das erlittene Unrecht machte das aber nicht wieder gut. Mit Mariela Castro fanden Kubas Schwule und Lesben nach der Jahrtausendwende eine starke Fürsprecherin, die sich öffentlichkeitswirksam für die Rechte von Schwulen und Lesben, beispielsweise im Arbeitsleben, einsetzte. Auch gab es immer wieder Kampagnen zur Anerkennung der Homo-Ehe.
Am Sonntag nun scheint ein wichtiges Etappenziel erreicht worden zu sein. Der Abgeordnete Miguel Barnet, Präsident des kubanischen Schriftstellerverbandes UNEAC, drückte »immensen Stolz« über den neuen Verfassungsartikel aus: »Wir eröffnen eine neue Ära. Das ist eine dialektische und moderne Verfassung. Und wenn Tradition gebrochen werden muss, wird sie gebrochen. Im Sozialismus hat keine Art von Diskriminierung zwischen Menschen Platz. Ich bin für Artikel 68 (zur gleichgeschlechtlichen Ehe, Anm. d. Red.) der neuen Verfassung. Meine Damen und Herren, Liebe kennt kein Geschlecht.«
Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 25.07.2018