Kubas Nationalversammlung debattiert über den Entwurf einer neuen Verfassung.
Kubas Wandel soll sich in einer neuen Verfassung widerspiegeln. Die Nationalversammlung kommt nur einmal im halben Jahr zusammen, um grundsätzliche Weichen zu stellen. Die neue Verfassung ist eine davon.
Für Polemik sorgte vorab die mögliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Auf einer Pressekonferenz im Mai hatte die Abgeordnete Mariela Castro, Tochter von Parteichef Raúl Castro und Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexuelle Erziehung (Cenesex), eine entsprechende Initiative angekündigt: »Wenn es die Verfassungsänderung gibt, können wir all diese Vorschläge vorlegen ... Die Hauptidee besteht darin, sich nicht mit neuen Gesetzen aufzuhalten und sie in die bereits bestehenden zu integrieren, damit es schneller geht.«
Mit Mariela Castros Vorstoß sind nicht alle einverstanden. Fünf protestantische Kirchen hatten sich am 28. Juni in einem offenen Brief vehement dagegen ausgesprochen. Die Ehe sei »ausschließlich die Vereinigung von Mann und Frau«. Und die »Genderideologie« nicht Teil der kubanischen Kultur und Revolutionsgeschichte, schrieben sie. Vor allem in den sozialen Netzwerken waren daraufhin heftige Diskussionen entbrannt.
»Seit langem wurde religiöser Druck als ein kleineres Übel behandelt«, sagte Ulises Padrón, Spezialist bei Cenesex. »Und jetzt erscheint dieses Papier, das die Kämpfe der Aktivisten delegitimiert.« Die evangelikalen Kirchen ersuchten unterdessen um Genehmigung der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) für eine Demonstration »zur Verteidigung der traditionellen Familie« - vergeblich.
Nicht nur eine mögliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, auch in anderen Aspekten soll die neue Verfassung die veränderten kubanischen Realitäten besser widerspiegeln. Die derzeitige Magna Charta stammt aus dem Jahr 1976 und wurde seitdem dreimal überarbeitet, zuletzt 2002.
In der kubanischen Presse waren unter der Woche bereits einige der wichtigsten Aspekte der neuen Verfassung zusammengefasst worden. Unterbreitet hat die Vorschläge eine 33-köpfige Sonderkommission des Parlaments, die von Ex-Staatschef und Noch-Parteichef Raúl Castro angeführt wird, und der auch der aktuelle Präsident Migual Díaz-Canel angehört.
Der Text bekräftigt demnach den sozialistischen Charakter des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems Kubas sowie die Führungsrolle der PCC in Gesellschaft und Staat. Das war auch kaum anders zu erwarten. Jedoch sollen die Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre rechtlich in der Verfassung verankert werden. Planwirtschaft und Staatseigentum bleiben zwar weiterhin fundamental für das kubanische Wirtschaftssystem; gleichzeitig wird die Rolle des Marktes und neuer privater Eigentumsformen anerkannt, in Übereinstimmung mit den 2011 verabschiedeten und 2016 überarbeiteten Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wie es heißt. Der Arbeit auf eigene Rechnung wird ergänzender Charakter bescheinigt; zentral für die Volkswirtschaft bleiben Staatsunternehmen, die mehr Autonomie erhalten sollen.
Erstmals wird die Bedeutung ausländischer Investitionen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in der Verfassung verankert. Was das Privateigentum an Grund und Boden anbelangt, so wird ein Sonderregime beibehalten, mit Beschränkungen bei der Übertragung von Land und mit einem Vorkaufsrecht des Staates. Kostenlose Bildung, und Gesundheitsversorgung bleiben verfassungsmäßig garantiert, ebenso Religionsfreiheit.
Einige Neuerungen wird es in der politischen Struktur geben. So soll es künftig einen Staatspräsidenten und einen Vize geben, die vom Parlament gewählt werden. Dafür wird der Posten eines Ministerpräsidenten neu geschaffen, der dem Ministerrat, also der Regierung vorsteht. Die Amtszeiten sollen auf maximal zweimal fünf Jahre begrenzt werden.
Auf lokaler Ebene sticht der Vorschlag hervor, die Provinzparlamente abzuschaffen und durch Provinzregierungen, bestehend aus Gouverneur und einem aus den Präsidenten der Bezirksversammlungen gebildeten Rat, zu ersetzen. Die Bezirke (municipios) sollen mehr Autonomie erhalten, mit dem Ziel, schneller und effizienter auf Probleme und Beschwerden vor Ort reagieren zu können. Petitionsrechte und die lokale Beteiligung sollen ausgeweitet werden.
Diese Vorschläge sollen ab Samstag im Parlament drei Tage lang debattiert werden. Später werden die Bürger in einem Referendum darüber abstimmen können. Ob es dann auch zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe kommt, ist noch unklar. Die kubanische Presse hielt sich dazu vorab bedeckt.
Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 17.07.2018