Politikerin und Fachfrau Castro setzt auf Prävention und Aufklärung. Sanktionen gegen Freier erwogen.
Kuba sucht nach Wegen, um Prostitution, Sextourismus und Menschenhandel einzudämmen. Mariela Castro, Parlamentsabgeordnete und Leiterin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung (Cenesex), kritisierte Ende Januar in der Fernsehsendung »Mesa Redonda«, dass diese Themen für viele Politiker »unbequem« seien und zuwenig Beachtung in der gesellschaftlichen Debatte fänden. Sie warnte vor den Folgen, wenn derartige Entwicklungen ignoriert würden, da nicht nur die Opfer, sondern auch die Gesellschaft insgesamt dadurch Schaden nähmen. Anlass für den Appell war ein Internationales Symposium über die genannten Themen sowie zur Gewalt gegen Frauen, zu dem das Cenesex Ende Januar 80 Fachleute aus Deutschland, Frankreich, Schweden, Ecuador, Costa Rica, Mexiko, Nicaragua, Kanada und den USA nach Havanna eingeladen hatte.
Die Cenesex-Chefin verspricht sich von dem Austausch wichtige Impulse für die politische Diskussion und die Gesetzgebung in Kuba. Es reiche nicht zu sagen, »dass wir mit der sexuellen Ausbeutung nicht einverstanden sind«. Nötig seien konkrete Maßnahmen, um sie »zu verhindern oder ihr zumindest entgegenzuwirken«, sagte sie in der Sendung. Eine der Möglichkeiten, die in Kuba bislang nicht in Erwägung gezogen würden, sei die Sanktionierung der Kunden von Prostituierten und »Pingueros« (männliche Prostituierte), wie dies in Schweden und in Frankreich geschehe, so Castro. Die Freier seien es schließlich, »die Nachfrage erzeugen und damit Menschen zur Ware machen«. Die Politikerin verwies zugleich auf die Erfahrungen in den Niederlanden und Belgien, die einen anderen Weg gingen und Sexarbeit legalisiert haben. Beide Länder legten den Schwerpunkt darauf, die in diesem Sektor Beschäftigten, die sich auch gewerkschaftlich organisieren könnten, arbeits- und sozialversicherungsrechtlich abzusichern. Beide Modelle sollten ihrer Ansicht nach auch in die überlegungen der kubanischen Wissenschaftler und des Gesetzgebers einfließen.
In Kuba hat Prostitution eine lange Geschichte. Bis 1959 war die Karibikinsel Vergnügungsmeile und Bordell wohlhabender US-Touristen. Mit der Erklärung der Revolution zu einer sozialistischen wurde sie 1961 verboten. Den zahlreichen Menschen, überwiegend Frauen, die bis dahin damit ihren Lebensunterhalt verdienten, wurden alternative Erwerbsmöglichkeiten geboten. Mit der wirtschaftlichen Krise nach dem Untergang der Sowjetunion und der sozialistischen Länder Osteuropas breitete sie sich jedoch wieder aus. Nach den geltenden Gesetzen sei Prostitution in Kuba allerdings kein Delikt, erläuterte Manuel Vázquez Seijido, Chef der juristischen Abteilung der kubanischen Polizei, in der Sendung »Mesa Redonda«. »In Kuba werden nicht die Personen kriminalisiert, die Prostitution ausüben, sondern diejenigen, die solche Personen ausbeuten«, erklärte der Jurist. Zuhälterei, Menschenhandel, Missbrauch von Minderjährigen und gewerblich betriebene Pornographie würden mit bis zu 20 Jahren Gefängnis geahndet. Wohnungen und anderes im Zusammenhang mit dem Vergehen stehendes Eigentum könnten beschlagnahmt werden.
Nach einem aktuellen Bericht haben das vergleichsweise hohe Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsniveau und das weitgehend intakte soziale Netz Kubas bisher verhindert, dass das Sexgeschäft so katastrophale Ausmaße annehmen konnte wie in anderen Ländern. Während in vielen Regionen international agierende Banden das Geschäft mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Erwachsenen kontrollieren, vollzieht sich die Prostitution in Kuba eher auf individueller Basis. Obwohl sie im Vergleich zu anderen Ländern zahlenmäßig weniger bedeutend und für die Prostituierten weniger gefährlich ist, wollen die Behörden ihr künftig stärker entgegenwirken. Die Zunahme der internationalen wirtschaftlichen Aktivitäten Kubas, die Ausweitung der Handelsbeziehungen und der Boom der Tourismusbranche brächten ökonomische Vorteile, aber auch neue Gefahren, warnten die Experten. Um dem zu begegnen, müssten neben der Verfolgung von Delikten der sexuellen Ausbeutung und des Menschenhandels vor allem Aufklärung und Prävention im Mittelpunkt aller Aktivitäten stehen, in die neben Polizei und Justiz weitere Einrichtungen von Staates und Zivilgesellschaft einbezogen werden müssten, kündigte Mariela Castro auf dem Symposium an.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 03.03.2017