Wieder einmal wechselt eine US-Regierung, wieder einmal stellt sich die Frage, wie sich das auf die Beziehungen zu Lateinamerika auswirkt. Nach dem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump war die Stimmung der linksgerichteten Welt düster. Dies wurde vielleicht am besten durch die Schlagzeile der französischen Tageszeitung Libération vom 9. November zusammengefasst: »Trumpocalypse«.
»... Wir, die Bürger Amerikas, sind vereint in einer großen nationalen Kraftanstrengung, um unser Land wieder aufzubauen – und sein Versprechen für alle Bürger wiederherzustellen. Zusammen werden wir den Kurs Amerikas und der Welt auf Jahre bestimmen. Wir werden auf Herausforderungen stoßen. Es wird nicht immer leicht sein. Aber wir werden es schaffen ...« Dieser Auszug aus der Antrittsrede des nordamerikanischen Präsidenten Donald Trump hat in den meisten Ländern Lateinamerikas Kritik und Sorge hervorgerufen.
Monroe-Doktrin der Leitfaden der Außenpolitik
Doch besonders in der US-Außenpolitik wird der Inhalt derselbe bleiben: imperialistisch. Die Formen oder Formulierungen werden sich von Obama zu Trump teilweise ändern, jedoch der Leitfaden der Beziehungen zu Lateinamerika wird bleiben. Es ist nun schon 194 Jahre, seitdem der Präsident James Monroe die Grundzüge einer langfristigen Außenpolitik der Vereinigten Staaten auf dem Kontinent entwarf, die zur Parole verkürzt wurden: »Amerika den Amerikanern«, was übersetzt heißen soll: »Lateinamerika den US-Amerikanern«. Mit der Monroe-Doktrin begann in den Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1823 eine neue Ära der Außenpolitik. Sie wird auch die langfristige und tägliche Politik von Donald Trump in der Hemisphäre des Doppelkontinents Amerika und der umliegenden Inseln orientieren.
Mit der Monroe-Doktrin wollten die USA unmissverständlich klar machen, dass sie in ihrem »Hinterhof« keinerlei Einmischung aus Europa und anderen Ländern dulden würden. Das galt damals für Großbritannien, Frankreich oder Spanien und gilt auch noch heute für Europa, China, die Russische Föderation, Indien oder Iran.
Im Laufe der Jahre passte sich diese Richtlinie der Außenpolitik dem US-amerikanischen Hegemoniestreben an. Die USA griffen immer mehr direkt oder indirekt in neue Konflikte ein. Für Präsident Theodore Roosevelt bedeutete die Monroe-Doktrin ab 1904, dass die USA eine Art Aufpasser in der westlichen Hemisphäre, also für Nord- und Südamerika wären.
Südamerika war für die USA schon immer von Bedeutung
Der »Roosevelt-Zusatz« zur Monroe-Doktrin in Auszügen: »Wenn eine Nation zeigt, dass sie vernünftig und mit Kraft und anstand in sozialen und politischen Fragen zu handeln versteht, dann braucht sie keine Einmischung von Seiten der Vereinigten Staaten zu befürchten. Ständiges Unrechttun oder ein Unvermögen, welches hinausläuft auf eine Lockerung der Bande zu der zivilisierten Gesellschaft mag in Amerika wie anderswo schließlich die Intervention durch irgendeine zivilisierte Nation fordern und in der westlichen Hemisphäre mag das Festhalten der Vereinigten Staaten an der Monroe-Doktrin sie in flagranten Fällen solchen Unrechttuns oder Unvermögens, wenn auch wider ihren Willen, zur Ausübung einer internationalen Polizeigewalt zwingen«.
In seinen Reden als Präsident der Vereinigten Staaten zitierte Roosewelt oft ein altes Sprichwort: »Speak softly and carry a big stick; you will go far« (Sprich sanft und trage einen großen Knüppel (dann) wirst du weit kommen). Diese Big-Stick-Politik (»großer Knüppel«) ist eine Bezeichnung für die Außenpolitik Theodore Roosevelts unter Bezugnahme auf den Einsatz der US-amerikanischen Kriegsmarine im Atlantischen und Pazifischen Ozean. Für alle weiteren Präsidenten war der Big Stick ein fester Bestandteil ihrer Lateinamerikabeziehungen. Gern verwendeten Politiker die Monroe-Doktrin, um gegen vermeintliche oder tatsächliche Einflussnahme der Sowjetunion in Lateinamerika vorzugehen. Sobald die nationale Sicherheit gefährdet schien, ermöglichte die Monroe-Doktrin das militärische Eingreifen durch die USA.
Das 20. Jahrhundert begann mit der Landung von US-Truppen in Honduras (1903), und Militärinterventionen in Panama, der Dominikanischen Republik und Kuba (1906-1909), und endete u.a. mit dem Militärputsch gegen Allende in Chile (1973), der Konterrevolution in Nicaragua, der »Operation Just Cause« - der Besetzung Panamas – dem Drogenkrieg in Kolumbien (1990). 1994 stürzten amerikanische Truppen in Haiti den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Im 21. Jahrhundert blieben die Präsidenten George W. Bush und Barack Obama dieser Politik treu. Mit dem »Präventivkrieg« von G.W. Bush und dem »Krieg ohne ende« wurde sie nur den neuen Hegemonieansprüchen angepasst: 2002 Militärputsch gegen Präsident Hugo Chávez in Venezuela, gelungener Staatsstreich 2009 in Honduras, um den gewählten Präsidenten José Manuel Zelaya abzusetzen und danach mit einer US-Militärmaschine nach Costa Rica auszufliegen. Der 54. Präsident Paraguays, Fernando Lugo wurde auf direkten Druck der US-Botschaft durch das Parlament abgesetzt. Mehrere von den USA angezettelte Putschversuche gegen den ekuadorianischen Präsidenten Rafael Correa zwischen 2010 und 2016, und gegen den Präsidenten Evo Morales in Bolivien (2008-2016) wurden durch militante patriotische Volksmobilisierungen niedergeschlagen.
Destiny Manifest – Make America great again
Auch die Regierung Donald Trump wird die Monroe-Doktrin und der »Big Stick« weiter fester Bestandteil der Außenpolitik sein sein, immer verbunden mit der amerikanischen Doktrin des »Destiny Manifest«. Sie besagt, dass die USA einen göttlichen Auftrag zur Expansion hätten. Die Redewendung, die so viel offensichtliches (oder unabwendbares) Schicksal bedeutet, hatte der New Yorker Journalist John L. O'Sullivan 1845 in einem Artikel der Zeitschrift »The United States Democratic Review« geprägt, als er schrieb, es sei »die offenkundige Bestimmung der Nation, sich auszubreiten und den gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Entwicklung des großen Experimentes Freiheit und zu einem Bündnis vereinigter Souveräne anvertraut hat.«
Manifest Destiny war nie eine bestimmte Politik oder Ideologie; es war ein allgemeiner Begriff, der Elemente des amerikanischen Exzeptionalismus, Nationalismus und Expansionismus in einem übergreifenden Sendungsbewußtsein vereinigte.
Das bedeutet, dass die Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsform der USA, also bürgerliche Demokratie, kapitalistische Marktwirtschaft und Interventionismus mit den unterschiedlichsten Mitteln verbreitet werden sollen. Es wird dabei immer wieder behauptet, dass Menschenrechte und Demokratie Grund und Ziel der Einmischung in die Politik anderer Staaten seien. Die Botschaft des Republikaners Trump folgt diesem unabwendbaren Schicksal: »We're going to make it great again.« Trumps kurze Botschaft, die Vereinigten Staaten wieder zu alter Stärke zurückzuführen, macht Sinn: Schließlich ist Trump besonders beliebt bei Wählern ohne Hochschulabschluss. Er gibt sich als Kämpfer für deren Interessen aus. Eine akademische Rede würde diesem Eindruck widersprechen.
Demütigung Mexikos
Den verstärkten US-Nationalismus mussten gleich zwei bisher bedingungslos pro-imperialistische Alliierte spüren: Mexiko und Argentinien.
Der neue US-Präsident Donald Trump hat ein Dekret unterzeichnet, wonach an der 3.200 Kilometer langen Grenze zu zu Mexiko eine Riesenmauer gebaut werden soll – als Schutz gegen illegale Einwanderung. Der rechtsliberale Präsident Penn Nieto war daraufhin unter Druck geraten, ein Treffen mit Trump abzusagen. Politiker verschiedener Parteien, einschließlich dem rechtsextremen Ex-Präsident Vicente Fox, rieten dem Staatschef angesichts der Provokationen aus Washington von der Reise ab. Die frühere First Lady und mögliche konservative Präsidentschaftskandidatin Margarita Zavala nannte Trumps Mauer-Dekret eine Beleidigung für Mexiko. Die Grenze zwischen den USA und Mexiko ist bereits in mehreren Abschnitten auf rund 1.000 Kilometern Länge durch meterhohe Zäune und Sperranlagen gesichert, zudem ging in den Vorjahren bereits die Zahl illegaler Grenzübertritte deutlich zurück.
Trump seinerseits warnte mit Streichungen von US-Hilfen und Abgaben auf die milliardenschweren Überweisungen von in den USA lebenden Mexikanern in die Heimat, um die Mauer zahlen zu lassen. Der mexikanische Historiker Enrique Krauze sprach von der größten historischen Herausforderung seit dem amerikanisch-mexikanischen Krieg von 1846 bis 1848, der mit dem Verlust großer Landgebiete an die USA endete. Die Schriftstellerin Elena Poniatowska meinte: »Was eine Drohung war, ist nun Realität«. Mexiko sei einem der größten Konflikte seiner Geschichte ausgesetzt. Trump will auch das Freihandelsabkommen NAFTA mit Mexiko und Kanada mindestens neu verhandeln, droht aber auch mit einer Aufkündigung, was in einem Handelskrieg mit Strafzöllen auf beiden Seiten enden könnte. Pena Nieto ist um Mäßigung bemüht, aber Trump verzieht keine Miene, sich irgendwelche Zugeständnisse abzutrotzen zu lassen. In einer Fernsehansprache hatte Pena Nieto den USA noch einen offenen Dialog angeboten.
Handelsembargo gegen Argentinien
Ein zweites Beispiel für die sicherlich sehr schwierigen zukünftigen bilateralen Beziehungen ist das Präsidential-Dekret gegen die Regierung des rechtsliberalen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri. Kurz nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump haben die USA überraschend den Import von Zitrusfrüchten aus Argentinien gestoppt. Die Einfuhr sei zunächst für 60 Tage von der Behörde für Agrar- und Tierprodukte ausgesetzt werden, hie es aus Regierungskreisen in Buenos Aires. Mit einem Marktanteil von rund 15 Prozent ist Argentinien einer der gröten Zitronenexporteure der Welt. »Wir werden unsere Bemühungen über die normalen diplomatischen Kanäle fortsetzen und vertrauen darauf, zu einem guten Ergebnis zu gelangen«, sagte Agrarminister Ricardo Buryaile. Der Import war vor wenigen Wochen erst wieder freigegeben worden, nach Jahren der Sperre in den USA wegen diverser Konflikte in der linken Vorgängerregierung. Im Vorjahr hatte US-Präsident Barack Obama Argentinien besucht und mit Präsident Macri eine Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik vereinbart. Im Dezember wurde mitgeteilt, dass die USA zunächst 20.000 Tonnen Zitronen kaufen werden – die Produzenten in dem südamerikanischen Land hatten sich daher bereits auf einen neuen Boom im Handel mit den USA eingestellt.
Außenpolitischer Kurswechsel
Vor dem Hintergrund dieser beiden Beispiele erwarten viele einen radikalen außenpolitischen Kurswechsel bis hin zu einer einerseits nationalen Abschottung, andererseits einer noch aggressiveren Gangart in der Außenpolitik der USA gegenüber Lateinamerika. Dabei ist bemerkenswert, dass das zweifellos hohe Interesse an dem traditionellen »Hinterhof der USA« bei Politik, Wirtschaft und Militär, laut einer Umfrage von Zogby International eher nüchtern blieb. Auf die Frage, welches die für US-Interessen bedeutendste Region der Welt sei, entschieden sich 42,5 Prozent der befragten US-Bürger für den Nahen Osten, 20,3 Prozent für Asien, 12,5 Prozent für Europa und nur 7,3 Prozent für die südlichen Nachbarn. Nur Südasien, der Südpazifik mit Australien sowie Afrika blieben noch hinter diesem Wert zurück. Mexiko immerhin führt mit 42 Prozent der Antworten der Liste der lateinamerikanischen Länder an, die man in Nordamerika für besonders US-freundlich hält, es folgen Costa Rica, Brasilien und die Dominikanische Republik. Auf dem letzten Platz der »Freunde« landet mit 1,6 Prozent Venezuela.
In Lateinamerika wird befürchtet, dass Trump »Amerika wieder groß« machen will, indem er sowohl mit Unterstützung für willfährige wie mit Sanktionen gegen widerspenstige Regierungen den »Hinterhof der USA« von Neuem unter seine Kontrolle bringen möchte. Mit seiner Äußerung zum Tode von Fidel Castro – ein brutaler Diktator sei gestorben – schlug Trump einen grundsätzlich anderen Ton an als Obama und signalisierte eine aggressive Politik gegen Kuba, Venezuela und andere progressive Regierungen des lateinamerikanischen Kontinents. Trump kündigte an, dass er gegen die »Repression« in Venezuela kämpfen und die Annäherung an Kuba beenden wird. Der Friedensprozess in Kolumbien wird keine Priorität für ihn sein. Den neuen US-Präsidenten Donald Trump interessieren solche diplomatischen Fortschritte nicht. Stattdessen setzt er mit dem Bau der Mauer zwischen den USA und Mexiko auch den letzten Rest politischer Verbundenheit und Freundschaft zwischen den beiden Regionen aufs Spiel. Kosten laut jüngsten Schätzungen bis zu 15 Mrd. US-Dollar.
Den USA unter Donald Trump wird kein enger Verbündeter in der Region mehr bleiben. Der Bruch mit Lateinamerika wird endgültig. So groß die Mauer zwischen den USA und dem Rest der Neuen Welt werden mag, so unwiederbringlich wird das Vertrauen der Menschen jenseits des Rio Bravo in die USA verloren gehen. Dabei ist es gar nicht so sehr das Bauwerk an sich, für das viele in Lateinamerika angesichts sozialer Unruhen und Konflikte mit Flüchtlingen ein gewisses Verständnis aufbringen. Es ist die Art und Weise wie Trump dieses Jahrhundertbauwerk durchsetzen und finanzieren lassen will.
Der Widerstand gegen den Imperialismus wächst
Trump wird mit seinem demütigenden Politikstil gegenüber Lateinamerika antiimperialistische Emotionen zwischen Mexiko-Stadt und Feuerland entfachen.
Schon jetzt habe die USA ihren moralischen Führungsanspruch in der Region verloren. Besonders deutlich wird das, wenn die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in politischen Krisen zu vermitteln versucht. Die OAS-Initiativen enden wirkungslos. Venezuela konnte alle OAS-Initiativen kontern, mit dem allgemein anerkannten Hinweis, der Staatenbund sei vom US-Imperialismus gesteuert. Lateinamerikas Linksregierungen liebäugeln ohnehin damit, dass die OAS gänzlich der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten CELAC (Comunidad de Estado Latinoamericanos y Caribeños) weicht. Die CELAC war 2011 auf venezolanische Initiative gegründet worden. Ihr gehören alle 33 souveränen Staaten des amerikanischen Kontinents mit Ausnahme der USA und Kanada an.
Auf ihrem 5. Gipfeltreffen bezog sich der ekuadorianische Staatspräsident Rafael Correa indirekt auf die neue Politik Trumps. »Um Migration zu stoppen sind nicht Mauern und Grenzen die Lösung, sondern Solidarität, Humanität, die Schaffung von Frieden und Wohlstand für alle. Solange es keine gerechte Verteilung des Wohlstands auf der Welt gibt, werden die sozialen Probleme der Welt nicht gelöst.« Der chilenische Außenminister Heraldo Muñoz sprach sich entschieden gegen Protektionismus und geschlossene Grenzen aus. Der kubanische Präsident Raúl Castro bot der neuen US-Regierung eine konstruktive Zusammenarbeit an. »Die USA und Kuba können in Harmonie und Respekt zusammen leben. Kuba wird aber keine Einschnitte in seine Souveränität und Unabhängigkeit akzeptieren«, sagte Castro.
Die Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko dokumentiert die selbst gewählte Isolation der USA gegenüber dem Rest Amerikas. Die politischen Konsequenzen sind schon jetzt zu spüren: Der Einfluss der USA auf die politischen Prozesse in der Nachbarschaft nimmt immer mehr ab. Hinzu kommen Handelsbeschränkungen sie das jüngste Importverbot für lateinamerikanische Agrarprodukte oder angedrohte Strafzölle gegen die mexikanische Autoindustrie. Die Ankündigung Trumps, auch die Mitgliedschaft in der Transpazifische Partnerschaft (TPP) zu kündigen, isoliert jetzt auch Chile, Mexiko und Peru, die alles auf die größte geplante Freihandelszone setzten. Diese Länder zusammen mit Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Paraguay und Uruguay werden jetzt ihre Allianzen neu formulieren müssen. Sie können von den USA keine Unterstützung mehr erwarten und werden sich zweifellos mehr um die bewährten Bündnisse wie der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur), der Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika – Handelsvertrag der Völker und dem Energiebündnis Petrocaribe kümmern müssen. Für die lateinamerikanische Integrations- und Unabhängigkeitspolitik kann das nur von Vorteil sein.
Carolus Wimmer, Internationaler Sekretär der KP Venezuelas
Marxistische Blätter, 2-2017