Warum Fidel Castro kein Denkmal werden wollte.
Der Vorwurf des Personenkults ist eines der Standardargumente von Gegnern und Kritikern der Kubanischen Revolution. Doch auch diese müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Parlament des ersten sozialistischen Landes auf dem amerikanischen Kontinent am Dienstag einstimmig ein Gesetz verabschiedet hat, demzufolge keine Straßen, Plätze oder öffentlichen Gebäude nach dem am 25. November verstorbenen Revolutionsführer Fidel Castro Ruz benannt werden dürfen. Dessen letztem Willen entsprechend, darf es zudem weder Denkmäler und Büsten noch Titel, Orden oder andere Auszeichnungen zu seinen Ehren geben. Auch jegliche Art von Werbung und Nutzung des Namens für kommerzielle Zwecke ist untersagt. Schon zu Lebzeiten hatte er jeglichen Kult um seine Person abgelehnt.
Die größte Ehrung für Fidel sei es, erklärte dessen Bruder und Nachfolger Raúl Castro am Dienstag im Parlament zur Vorlage des Gesetzestextes, sein Konzept der Revolution zu verwirklichen. Millionen Kubaner haben sich dazu – nach dem Tod ihres Comandante en Jefe – bereits per Unterschrift verpflichtet. Der von ihnen unterzeichnete und von Fidel Castro am 1. Mai 2000 erstmals vorgetragene Text endet mit dem Satz: »Revolution bedeutet Einheit, bedeutet Unabhängigkeit, bedeutet, für unseren eigenen Traum von Gerechtigkeit, für Kuba und die Welt zu kämpfen. Für einen Traum, welcher zugleich die Grundlage unseres Patriotismus, unseres Sozialismus und unseres Internationalismus ist.«
Die eingegangene Verpflichtung sei eine große Herausforderung und bedeute mehr als das Aufstellen von Bronze- und Marmorfiguren oder das Aufsagen von Parolen, sagte der Stadthistoriker von Havanna und Abgeordnete Eusebio Leal Spengler dazu am Dienstag sinngemäß. Er erinnerte an den Fels mit der Urne des Revolutionsführers in Santiago de Cuba, den nur eine einfache Metallplatte mit dessen Vornamen ziert. »Fidel, que quiere decir fiel« (»Fidel, was auch für verlässlich steht«), spielte Leal auf die ähnlichkeit des Namens mit dem spanischen Wort »fiel« an. Dieses bedeutet »verlässlich« oder »treu«. Der Name Fidel Castro soll, dessen letztem Wunsch entsprechend, für seine Ideen stehen und die Ideale, für die er kämpfte – als Erinnerung an Inhalte und nicht an eine Hülle.
Ein derartiger Umgang mit der Leistung einer historischen Persönlichkeit ist für Bürger der Bundesrepublik nicht einfach zu verstehen. Davon zeugen die hilflosen Kommentare westlicher Medien zu dem am Dienstag in Havanna verabschiedeten Gesetz. Wer weiß hier schon, wenn er eine der unzähligen nach Hindenburg benannten Straßen oder Alleen befährt, dass damit ein Mann geehrt wird, der Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte? Und obwohl Dutzende Straßen und Plätze die Namen von Konrad Adenauer, Willy Brandt oder John F. Kennedy tragen, weiß kaum jemand etwas über deren Politik, die auch für Wiederaufrüstung, Berufsverbote und die Invasion in der kubanischen Schweinebucht im Jahr 1961 steht. Ihre Ehrung – ohne Bezug zu den von ihnen vertretenen Inhalten – ist tatsächlich Personenkult, der nicht dadurch besser wird, dass er im Westen üblich ist.
Kuba beweist auch in diesem Punkt schon lange, dass es anders geht. Obwohl Barack Obama die Kubaner bei seinem Besuch im März aufforderte, sich »nicht von der Geschichte gefangennehmen zu lassen«, weiß jedes Kind auf der Insel, wofür die Namen von José Martí, Camilo Cienfuegos, Ernesto Che Guevara und anderen Freiheitskämpfern stehen, deren Porträts den Platz der Revolution in Havanna und die kubanischen Banknoten zieren. Als Erinnerung an sein eigenes Werk und Wirken hat der Comandante en Jefe nicht einmal das zugelassen. Die Geschichte seines Landes und die Lateinamerikas wird trotzdem für immer mit seinem Namen verbunden sein. Auch wenn in Kuba niemals eine Straße oder ein Platz nach Fidel Castro benannt werden wird.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 30.12.2016