Personenkult?

Zum Tod Fidel Castros

Nun fällt wieder das Wort vom »Personenkult«. In Kuba gebe es einen solchen um Fidel, behaupten diejenigen, die nicht nachvollziehen können, warum einfache Menschen um den langjährigen kubanischen Präsidenten trauern. Und »Personenkult« wittern auch diejenigen, die sich von Fidel-Fotos im Internet, bei Facebook und Twitter oder anderswo, belästigt fühlen.

Ist es »Personenkult«, wenn auch hierzulande Menschen um Fidel trauern? Wenn sie weinend Blumen an der kubanischen Botschaft niederlegen?

Manche Namen stehen für Epochen. Zu diesen gehört zweifellos Fidel Castro. Wer daran noch einen Zweifel hat, sollte die Reaktionen zur Kenntnis nehmen, mit denen weltweit Regierungen, Parteien und Bewegungen, aber auch einfache Menschen den Tod Fidels kommentiert haben. Selbst die widerlichen Feiern des Mobs in Miami demonstrieren: Fidel Castro war eine Persönlichkeit, an der niemand vorbeikam. Bis zuletzt drängelten sich Präsidenten und Stars darum, von ihm in Havanna empfangen zu werden – beileibe nicht nur Linke.

Fidel stand und steht für die Entscheidung, sich gegen alle Widerstände für eine bessere, sozial gerechte Zukunft einzusetzen. Oft wurde er mit Don Quijote verglichen, doch er führte keinen Kampf gegen Windmühlen. Fidel legte sich mit der stärksten Großmacht dieses Planeten an – und siegte. Unter seiner Führung wurde Kuba von einer De-facto-Kolonie der Vereinigten Staaten zu einem einflussreichen und beispielgebenden Land, das sich durch ein Bildungs- und Gesundheitswesen auszeichnet, das weltweit keinen Vergleich scheuen muss. Das revolutionäre Kuba demonstriert so trotz der bis heute bestehenden Blockade durch die USA, dass eine andere Welt möglich ist – wenn man bereit ist, die Grenzen des kapitalistischen Systems zu überschreiten.

Manchen geht das zu weit. Sie würdigen Fidel nur mit »Wenn« und »Aber«. Das Bündnis zur Sowjetunion sei zu eng gewesen, Oppositionelle seien verfolgt worden, er habe die Todeßtrafe nicht abgeschafft, in Kuba herrsche keine echte Demokratie.

Jeder einzelne dieser Punkte kann diskutiert werden. Und Fidel selbst gehörte zu denen, die zu dieser Diskussion bereit waren – was man unter anderem in unzähligen Interviewbänden nachlesen kann, in denen der Comandante zu all diesen Themen auch selbstkritisch Stellung nahm. Wer aber nicht in der Lage ist, ein Kondolenzschreiben zu verfassen, ohne darin zu versichern, dass man dem Verstorbenen gegenüber selbstverständlich »nicht unkritisch« sei, dem geht es um etwas ganz anderes. Dem geht es darum, die Persönlichkeit Fidel Castros von seinem Kampf und von seinen inhaltlichen Impulsen für das Ringen um eine andere, eine sozialistische Gesellschaft zu trennen. Denn nur dann kann man sich auf Fidel Castro berufen, ohne daraus Konsequenzen für die eigene Politik zu ziehen. Wenn man das jedoch tut, bleibt eine leere Hülle. Und genau das ist Personenkult.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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André Scheer
Junge Welt, 28.11.2016