Wird die Geschichte Fidel Castro freisprechen, so wie er es einst vor Gericht angekündigt hat?
Kann die Revolution ein Gesicht haben? Millionen auf dieser Erde werden mit Ja antworten: Es hat eine markante Nase, blaue Augen unter buschigen Brauen und ist gerahmt von einem stattlichen Vollbart. Oder einfach: Es ist das Gesicht von Fidel Castro. Ebenso verhasst bei den Reichen und Privilegierten wie vergöttert bei den Habenichtsen, den Ausgebeuteten und Hoffenden des amerikanischen Kontinents und weit darüber hinaus. Dieses zutiefst Umstrittene wird auch nach seinem Tod nicht an Trennschärfe verlieren, und das wird in seinem Sinne sein.
Revolution beginnt nicht mit Versöhnung, konnte sie nicht in einem Hinterhof der USA. Für den Riesen im Norden war Kuba nicht mehr als Bordell, Spielkasino und Zuckerdose. Und damit das so bleibe, stützten sie dort ein parasitäres Regime. Es zu beseitigen, war Ziel der von Castro angeführten Revolte.
Sie gelang, und die Helden der Sierra Maestra waren unversehens konfrontiert mit dem mächtigsten aller Feinde und hineingeworfen ins Räderwerk der Weltgeschichte. Castro und die Seinen mussten mit Bitterkeit erkennen, dass dieser große Staat im Norden zwar die grausamsten Diktaturen Amerikas tolerierte, wenn er sie nicht gar selbst erschaffen hatte, – nicht aber das neue Kuba. Das prägte das Handeln Castros und seiner Guerilleros, die nun Regierung waren. Zu sehr, zu lange?
Die Revolution muss sich wohl erst erst einmal behaupten, und wann dieser Zeitpunkt erreicht, eine tolerantere Gesellschaftsauffassung möglich ist, ohne alles Errungene aufs Spiel zu setzen, ist eine der großen Fragen auf der Suche nach dem linken Stein der Weisen. Nicht zuletzt die Castros, beide, wussten da trefflich mitzustreiten.
Im Gegensatz zu seinen grandios gescheiterten Verbündeten im Osten Europas vermittelte Fidel nie den Eindruck, er glaube, im Besitz vermeintlich ewiger Wahrheiten zu sein. Er war stets Realist, sah sich und seine Revolutionäre als mühevoll, aber mit Kühnheit und ohne Zaudern von Stein zu Stein sich vorwärts Tastende im reißenden Strom der Geschichte. Ausgang offen.
Das bewahrte vor jener Überheblichkeit und Blindheit gegenüber dem Leben, auch vor Eitelkeiten, die anderen Führern zu eigen waren, die sich wie er Kommunisten nannten. Und schuf Selbstbewusstsein. Genug, um das Lebenselixier der Hoffnung für einen ganzen Kontinent zu sein. Castro entgegnete seinen Anklägern nach dem gescheiterten Sturm auf die Moncada-Kaserne 1953: »Verurteilt mich, die Geschichte wird mich freisprechen.« Wird sie das? Zumindest die Geschichte der sozialen Revolutionen hat es längst getan.
Roland Etzel
Neues Deutschland, 28.11.2016